Malerin Amerikas: Cool mit Gefühl

O'Keeffe bediente den Mythos US-Kunst durchaus ironisch: „From the Faraway, Nearby“, 1937.
O'Keeffe bediente den Mythos US-Kunst durchaus ironisch: „From the Faraway, Nearby“, 1937.(c) BKP/Metropolitan Mus
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Georgia O'Keeffes Bilder sind Ikonen in den USA. Dementsprechend selten sind sie in Europa zu sehen. Dabei sind sie wesensbegründend für Amerikas Moderne.

Sieht man eine Blüte in der modernen amerikanischen Kunst, in Andy Warhols Siebdrucken, in den Schwarz-Weiß-Fotos von Robert Mapplethorpe, sieht man immer auch Georgia O'Keeffe. Sieht man immer auch Sex. Jedenfalls ist das die Gedankenkette, die in den USA tradiert wurde. Denn die 1887 auf der Milchfarm ihrer Eltern in Wisconsin geborene Malerin ist eine nationale Legende. Sie markiert nicht nur den Beginn der frühen Moderne in den USA. Sie markiert den Beginn einer von Europa emanzipierten Moderne in den USA. Mit ihren großen, starken Blüten in extremer Nahsicht. Mit ihren organischen Landschaften. Mit ihren Himmelsbildern. Mit ihrem Sinn für Ewigkeit und Abgründigkeit, sei es bei den Blüten, dem Blick in menschenleere Weiten oder den gebleichten Tierknochen, die O'Keeffe in ihrer Wahlheimat New Mexico fand.

All das erfüllt das Klischee, das die US-Moderne brauchte, um sich eine eigene Ikonografie zu schaffen. Dass das nur ein lonely Cowgirl schaffen würde, war O'Keeffe klar, die schnell ein Star wurde und ihre Figur, ihre Erzählung selbst bestimmte. Am Ende sieht man sie als Grande Dame der US-Avantgarde, als greise Eremitin – sie starb mit fast 100 Jahren 1986 – auf dem Cover des „Time Magazine“: Sie sitzt auf dem Dach ihrer berühmten „Ghost Ranch“, noch heute ein Pilgerort, verschmolzen mit einer Art Phallus-Kamin im Hintergrund. Autark, schroff, unnahbar wie ihre Umgebung, es könnte auch Louise Bourgeois sein, die da sitzt, sie war wohl O'Keeffes legitime Nachfolgerin, gar nicht viel jünger.

Nein, das ist kein Geschlechtsteil

Was beide verbindet, ist die freudianische Deutung ihrer Arbeit, bei O'Keeffe passierte das noch von ihr ungewollt, es war ihr Entdecker und einflussreicher späterer Ehemann Alfred Stieglitz, der New Yorker Fotograf, der schon in ihre ersten abstrakten Kohlezeichnungen, die er ausstellte, das Geschlechtliche hineininterpretierte. O'Keeffe verwehrte sich dagegen zeitlebens – nein, die Blütenstände der Callas sind nicht phallisch. Und das faltige Gebirgsmassiv ist keine Vulva. Ein vorfeministischer Kampf gegen die Sinnlichkeit, der heute obsolet erscheint.

Man kann sich des Geschlechtlichen in den Bildern, abstrakt oder nicht, nicht erwehren. Man sollte sich ihm gleich ergeben, um krampfhaftes Wegschauen nicht in den Mittelpunkt zu rücken. Viel spannender ist es, der Idee von Kuratorin Heike Eipeldauer zu folgen, die in der gemeinsam mit der Tate Modern zusammengestellten Ausstellung im BA-Kunstforum versucht, die Gleichzeitigkeit der Stile bei O'Keeffe herauszuarbeiten, diese Vielfältigkeit, die dazu führte, dass sie aus heutiger Sicht so gegensätzliche Strömungen wie abstrakten Expressionismus à la Mark Rothko, aber auch Pop und Minimal Art beeinflussen konnte. Man muss sich vorstellen – Agnes Martin, die Künstlerin, die ihr Leben lang nur Streifen malte, lebte mit nur einem Bild an der Wand, einem Blumenposter von O'Keeffe, so Eipeldauer. Es sei diese Verschmelzung von Gefühl und Coolness gewesen, die die beiden verband. Aber auch der gewählte Wohnort, New Mexico.

Die Gegend war und ist noch immer bekannt als Rückzugsort, als Asyl für die Exoten der reichen East-Coast-Gesellschaft. Kein Wunder, dass Stieglitz seine Frau dort nie besuchte, er stand für die andere Welt. Sie konnte dort frei leben und arbeiten, sie war eine Femme fatale wie ihre europäische Verwandte im Geiste, Tamara Lempicka, liebte Frauen wie Männer, fuhr tagelang durch die Wüste, arbeitete bei Sandsturm im Auto, unter dem sie manchmal auch schlief. Der Gedanke der Lebensreform, und zwar europäischer Ausprägung, steht interessanterweise auch bei O'Keeffe am Beginn: Ihre frühen, so frei schwingend, lichtdurchflutet wirkenden abstrakten Aquarelle erinnern eindeutig an theosophische Kunst, an die Ästhetik von Rudolf Steiner. Seine Schriften waren in den 1910er-Jahren gerade übersetzt worden, wie übrigens auch Freuds Traumdeutung.

Mit diesem Rüstzeug machte sich die junge Kunsterzieherin vom Lande in der Zwischenkriegszeit auf, erst New York und Stieglitz, dann ganz Amerika zu erobern. Ihre strahlend weiße, riesige Blüte von 1932, die auch im Kunstforum zu sehen ist, ist mit 35,5 Mio. Euro heute das teuerste Bild einer Frau, das je versteigert wurde. Es ist eine Stechapfelblüte, die in der nativ-amerikanischen Kultur als Heil- und Rauschmittel eingesetzt wird. Man sollte der Oberfläche und Schönheit von O'Keeffes Kunst einfach vertrauen. Sie führt einen jedenfalls weiter.

Bis 26. 3. Tägl. 10–19 Uhr, Fr. 10–21 Uhr. Freyung 8, Wien 1.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.12.2016)

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