Kein Formkünstler, aber Pionier des sozialen Wohnbaus

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Der Wiener Architekt Harry Glück ist am Dienstag 91-jährig gestorben, wenige Tage vor seinem geplanten Pensionsantritt.

Er war mit 18.000 Wohnungen der meistbauende – und zugleich wohl umstrittenste Architekt Österreichs. Grund für die breite Ablehnung des 1925 in Wien geborenen, ursprünglich als Bühnenbildner tätigen Harry Glück durch viele seiner Kollegen war vor allem sein pragmatischer Funktionalismus. Im sozialen Wohnbau verzichtete er auf vieles Unwesentliche, das ein Gebäude für manche Baukünstler freilich erst zu Architektur machte. Umso befremdlicher wirkte es, dass ausgerechnet er mit so voluminösen und nüchtern wirkenden Bauten wie dem Wohnpark Alt Erlaa meinte, den Kollegen die Prinzipien eines menschengerechten Planens demonstrieren zu können.

Wer mit seiner Arbeit näher vertraut war, kam meist zu einem anderen Urteil – wobei am gewichtigsten wohl jenes der Nutzer selbst ist: Studien zufolge ist die Zufriedenheit in Wiens gefördertem Wohnbau nirgends so groß wie in Häusern von Harry Glück, auch wenn diese schon 40 Jahre alt sind. Wohnbaugesellschaften schätzen an seinen Gebäuden ihre Dauerhaftigkeit und Wirtschaftlichkeit sowie die geringe Fluktuation der Mieter. Und unvoreingenommenen Experten aus dem Ausland gilt Glück schon lang als Pionier des sozialen, ja nachhaltigen Wohnbaus.

Die Gründe dafür sind evident. Mit seinen Terrassenhäusern gelang es Glück, bis zu zwölf Geschoße so übereinanderzustapeln, dass er jeder Wohnung eine große bepflanzbare Terrasse unter freiem Himmel vorlagern konnte. So entstand trotz hoher städtebaulicher Dichte eine Wohnqualität, die jener in einem Reihenhaus mit Garten kaum nachsteht. Die Konzentration des Bauvolumens ließ bei vielen von Glücks Anlagen Platz für großzügige Grünräume, deren Gestaltung und Nutzbarkeit sich augenfällig vom Standard städtischer Innenhöfe abheben. Ein weiteres Merkmal seiner Bauten sind die vielen Gemeinschaftseinrichtungen, etwa die berühmten Dachschwimmbäder.

Doch Glück beschränkte sein Modell eines vollwertigen Wohnens nicht auf Großsiedlungen für mehrere tausend Menschen, er plante auch kleinmaßstäbliche Wohnbauten in den Cottage-Vierteln am Westrand Wiens. Zudem war er einer der wenigen heimischen Architekten, die konsequent autoverkehrsfreie Siedlungen im verdichteten Flachbau schufen – die wohl ressourcenschonendste Alternative zum frei stehenden Einfamilienhaus in suburbanen Lagen. Auch diese Siedlungsform wertete Glück durch Schwimmbäder, Saunen, Sportplätze etc. auf. Mit dieser Bandbreite zeigte er, dass nicht Größe, Höhe, Struktur oder Form einer Anlage über ein zufriedenstellendes Wohnen entscheiden, sondern die Orientierung an den Bedürfnissen der Menschen. Diese Gesinnung scheint bei der jüngeren Architektengeneration wieder Anklang zu finden, die Glück in den vergangenen Jahren wiederentdeckt hat. Auch die Stadt Wien fand angesichts des Bevölkerungswachstums und der notwendigen Rückkehr zu großvolumigem Wohnbau wieder Gefallen an seinem Modell. So wurden ihm 2015 zu seinem 90. Geburtstag sowohl durch das Rathaus als auch durch die TU Wien spät, aber doch offizielle Ehren zuteil. Noch lieber, so ließ Harry Glück dem Rathaus ausrichten, wäre ihm freilich ein weiterer Auftrag für einen sozialen Wohnbau gewesen. [ APA ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.12.2016)

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