MAK: Klassenkampf in der Zirbenwiege

Der Boulevard der bunten Stoffmuster führt nicht zu den Näherinnen in Indien, sondern zu historischen und zeitgenössischen Ball- und Brautkleidern.
Der Boulevard der bunten Stoffmuster führt nicht zu den Näherinnen in Indien, sondern zu historischen und zeitgenössischen Ball- und Brautkleidern.(c) MAK/Mayer
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Die Ausstellung „Handwerk“ beginnt kämpferisch bei Hephaistos und Denis Diderot, mündet aber in der vorhersehbaren Gasse des elitären Luxusguts, die bis ins Heute führt.

Das handgeschmiedete Küchenmesser, der selbst gestrickte Schal, die Maßschuhe, das Einzelstückrennrad aus der kleinen Werkstätte nebenan. Handwerk hat dieser Jahre eindeutig wieder Aura gewonnen. Und zwar nicht nur als qualitativ hochwertiges Luxusgut im Hochpreissegment, das wissen wir seit der Wiener Werkstätte. Sondern auch als Markenzeichen moralischer oder ästhetischer Überlegenheit alternativer Bewegungen – von der Do-it-yourself-Bewegung zu den bärtigen Hipstern, zu all den anderen ökologischen, sozialen oder gerade familiär bedingten Weltverbesserern und Achtsamkeitsfanatikern, zum Beispiel der von der eigenen Nachhaltigkeit in ihrem bisherigen Konsumverhalten gerade schwer erschütterten Jungfamilie.

Das MAK rennt mit seiner Sonderausstellung „Handwerk“ also offene Türen in einer Art von verwirrenden „Alice im Wunderland“-Situation ein – unendlich viele Türen und Wege führen weg von diesem märchenhaft nach Leder, Holz und viel Liebe duftenden Begriff. Das Dilemma ist nun, dass einen naturgemäß die interessieren, die nicht geöffnet wurden. Die Kuratoren Tina Zickler und Rainald Franz hätten vielleicht manche Türschnallen gar nicht erst probehalber drücken sollen, etwa den Hinweis im Untertitel, „Tradiertes Können in der digitalen Welt“, denn vom Programmierer eines 3-D-Druckers fehlt später jede Spur.

„Gegenstand schrecklicher Verachtung“

Auch der Spalt, durch den der Klassenkampf in diese Halle des Luxusguts hereinleuchtet, irritiert mehr, als er weiterführt. Denis Diderots Verteidigung des einfachen Handwerkers in seiner im Vorfeld der Französischen Revolution veröffentlichten „Encyclopédie“, die man jetzt im MAK überfliegen kann, bevor man zu den Brautkleidern von „Elfenkleid“ und der metallfreien Zirbenbabywiege von Christian Leidinger weiterwandelt: „Der Dichter, der Philosoph, der Redner, der Minister, der Krieger, der Held liefen nackt herum und hätten kein Brot, wenn nicht jener Handwerker wäre, den sie zum Gegenstand ihrer schrecklichen Verachtung machten.“ Ein paar Revolutionen, industrielle und globale, später hat sich das Ansehen des Handwerkers zumindest im Westen völlig verkehrt, heute hüllt das gemeine Volk sich in billige Massenware, während die Helden mit den Käse- oder Hutmachern ihres Vertrauens Tee aus handgemachter Keramik trinken. Davon können die Näherinnen in Indien wohl nicht einmal träumen.

Der Widerspruch zwischen völlig unterschiedlichen Handwerksrealitäten rund um die Welt wird hier schlicht ignoriert. Man folgt von den ersten Werkzeugen der Menschheit an, prähistorischen, wunderschön symmetrisch gearbeiteten Faustkeilen aus dem Naturhistorischen Museum, dem ästhetischen Pfad, eher dem Prachtboulevard, den die Reformbewegungen um 1900 ursprünglich mit bestem Gewissen einschlugen: als sie nämlich höchste Qualität für alle forderten, indem sie Kunst, Handwerk und Alltag zu einer noch nie gesehenen ästhetischen Perfektion vereinten. Am Ende aber doch nur Kunsthandwerk für die Eliten produzierten.

Bis heute funktioniert dieses Programm, wenn auch ästhetisch unendlich differenzierter. Man kann das in einem großen Teil der Ausstellung verfolgen, wo historische und zeitgenössische Paare präsentiert werden: Das hochglänzende Zierschränkchen etwa, das eine der wenigen Frauen unter den Jugendstilmöbelentwerfern gestaltet hat, Rosa Krenn, wird von einem ähnlich kunstvollen Eichenholzkästchen der Möbelmanufaktur Heinz Baumann von 2013 flankiert. Derlei macht natürlich Spaß, man sieht die Verwurzelung, man sieht Rückgriffe, man sieht Innovationen, technische und ästhetische. Es ändert nichts an der Verengung des Handwerksbegriffs. Wohin hätte Diderot geführt? Was ist mit dem Handwerk der Fotografie zum Beispiel? Was mit der Kochkunst? Oder gar der Waffenindustrie, wenn man schon mit einer antiken Schale beginnt, die Schmiedegott Hephaistos zeigt, als er die Waffen für den Trojanischen Krieg übergibt?

Türen über Türen. Welche man selbst öffnet oder lieber geöffnet hätte, wie man sich selbst durch dieses Begriffsgemenge aus historischem und zeitgenössischem Handwerk, Design, autonomem und/oder angewandtem Kunstwerk durchwurstelt, ist allerdings allein schon spannend zu beobachten.

Bis 9. April, in der oberen MAK-Ausstellungshalle. Di 10–22 h, Mi–So 10–18 h. In einer Livewerkstätte sind jede Woche andere Handwerker zu Gast, vom Schuhmachermeister zum Glasgraveur.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.01.2017)

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