Das Ende der Boomphase

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Die Zeiten, in denen Meisterwerke mehr als 100 Millionen Dollar erzielten, sind vorerst vorüber. Der High-End-Markt wurde 2016 selektiver.

Ein Bild eines Heuhaufens wurde 2016 zum teuersten Werk des Jahres. Irgendwie passend zur Verfassung des internationalen Hochpreismarktes. 72,5 Millionen Dollar erzielte Claude Monets „Meule“ am 16. November bei Christie's in New York und setzte sich als teuerstes Werk des Jahres an die Spitze des Auktionsmarktes. Zum Vergleich: 2015 lag das Höchstgebot bei 179,4 Millionen Dollar für Pablo Picassos Ölbild „Les Femmes d'Alger“ gefolgt von 170,4 Millionen Dollar für den Akt „Nu Couché“ von Amedeo Modigliani. 2016 schaffte also kein einziges Werk eine neunstellige Summe. Da hilft es auch nicht, dass „Meule“ dem französischen Impressionisten einen neuen Rekordpreis bescherte. Was sich in der zweiten Jahreshälfte 2015 ankündigte, ist spätestens bei der Bilanz 2016 klar: Die ungebremste Rekordjagd ist vorerst vorbei. Die Spitze des Auktionsmarktes kühlt sich ab. Grund zur Sorge gibt es aber keinen. Es ist weder ein Absturz noch eine geplatzte Blase. In der Wirtschaft würde man die Situation als „soft landing“ bezeichnen, eine Abschwächung der Wachstumsrate, die aber zu keinen signifikanten Einbrüchen führt.

Ökonomische Einflüsse. Klar sehen muss man, dass sich bei aller Robustheit auch der Kunstmarkt nicht gänzlich von den ökonomischen Einflüssen abkapseln kann. Brexit, die Wahlen in Amerika, aus denen Donald Trump als Sieger hervorging, und nicht zuletzt die Angst vor Terror sorgen für Verunsicherung. „Die Kunden sind in einer Zeit selektiv geworden, in der der Finanzmarkt und die politische Weltsituation sich geändert haben“, sagt Philip von Württemberg, Europa-Chef von Sotheby's, zur Nachrichtenagentur DPA. Auch bei den Schätzungen seien die großen Häuser konservativer. „Wenn ich heute etwas zu hochpreisig ansetze, dann fällt es durch“, fügt er an. Zudem sei das Angebot im Spitzensegment ausgetrocknet. Bei den niedrigen Zinsen ist Kunst eine hervorragende Veranlagung. Warum also sollte jemand, der nicht muss, ein herausragendes Werk verkaufen, wenn der Erlös nicht besser veranlagt werden kann? Zudem zählt das Segment der Superreichen weltweit ein paar Tausend Sammler. Aufgrund der hohen Preise machen sie aber rund 80 Prozent des Umsatzes aus.

Erfreulich und überraschend zugleich hat es 2016 ein Altmeistergemälde unter die teuersten Werke geschafft. Peter Paul Rubens „Lot und seine Töchter“ von 1614 erzielte bei Christie's 44,9 Millionen Pfund und belegt im Jahresranking damit immerhin Platz vier. Alte Meister, einst Hauptumsatzträger des Kunstmarktes, fristen heute ein deutlich abgeschlagenes Dasein. Heute macht das Segment laut European Fine Art Foundation nur mehr rund zehn Prozent des Gesamtmarktes aus. Trotz dieses herausragenden Zuschlags für „Lot und seine Töchter“ konnte der Auktionsrekord für ein Altmeisterwerk von 2002 nicht überboten werden. Immer noch ist Peter Paul Rubens' „Das Massaker der Unschuldigen“ mit 49,5 Millionen Pfund die Nummer eins.

Doch in das Altmeistersegment kommt gerade Bewegung. So veranstaltete Christie's im Vorjahr seine erste Classic Week, bei der auch der Rubens verkauft wurde, und Altmeister-Doyen Johnny Van Haeften verkaufte im Dezember seine Galerie in der Londoner Duke Street, um mit mehr Reiseaktivität die steigende Nachfrage aus China für dieses Genre besser befriedigen zu können. Seine Räumlichkeiten bleiben jedoch nicht lang leer, hat sie doch der junge italienische Altmeisterhändler Fabrizio Moretti gekauft und das daneben gelegene Gebäude gleich dazu, um einen modernen großen Schauraum zu schaffen. Bezeichnend ist auch die Fusion der jungen spanischen Händler Jorge Coll und Nicolás Cortés mit dem Londoner Altmeistertraditionshaus Colnaghi. Sie haben gerade nagelneue Schauräume in der Bury Street bezogen. Die Präsentation der Werke in einem Ambiente von dunkelroten Wänden und schwerem Samt ist Geschichte und einem zeitgenössischen Setting gewichen. Der frische Wind durch junge Händler und der Umstand, dass Sammler wieder vermehrt auf etablierte Werte setzen, könnte dem Altmeistermarkt heuer entgegenkommen.

Italiener gefragt. Gut gelaufen ist es im Vorjahr übrigens auch für italienische Kunst. Künstler wie Lucio Fontana oder Alberto Burri knacken spielend die Millionengrenze. Seit 1999 hält Sotheby's in London einen eigenen „Italian Sale“ ab. Beim letzten im Oktober gelangte dort Alberto Burris Werk „Rosso Plastica 5“ aus dem Jahr 1962 zur Versteigerung und erzielte 4,1 Millionen Pfund. Und für Enrico Castellanis „Superficie Bianca“ wurden 1,1 Millionen Pfund fällig.

Mit italienischer Avantgarde reüssierte übrigens auch das Wiener Dorotheum. Allen voran erlöste Lucio Fontana blaues Monochrom mit dem Schlitz in eine andere Dimension, „Concetto spaziale, Attese“, 735.000 Euro. 320.000 Euro erzielte Enrico Castellanis „Superficie Bianca“, aber auch weniger bekannte Namen, wie Carla Accardi, machten gute Figur. Für ihre Komposition „Biancobianco“ gab es einen Auktionsrekord von 234.800 Euro. Auch die österreichische Kunst mischte vorn mit: Weltrekordpreise gab es bei der Klassischen Moderne für Bilder des Secessionisten Josef Engelhart. Neun seiner nahezu lebensgroßen, für die Weltausstellung 1904 in St. Louis angefertigten Sagenfigur-Werkzeichnungen „Merlinsage“ kamen auf 582.400 Euro, das Vielfache des Schätzwerts. Bei der Auktion von Gemälden des 19. Jahrhunderts war mit 50.000 Euro auch das Stillleben von Franz Xaver Gruber, dem sogenannten Distlgruber, der bis dato höchste Auktionspreis für ein Bild des Künstlers. Bei der Gegenwartskunst gehörten Franz West und Maria Lassnig zu den begehrtesten Künstlern mit Spitzenpreisen. West spielte auch bei den Design-Auktionen eine wichtige Rolle. Zu den teuersten Entwürfen zählten seine sechs „Kodu-Stühle“ für 106.250 Euro.

Bestes Altmeisterergebnis. Den höchsten Preis erzielte das Dorotheum allerdings mit „Die Geburt Christi“ von Hans Memling Werkstatt. Überhaupt sei es laut Dorotheum das beste Jahr für Gemälde Alter Meister in der Geschichte des Hauses gewesen. Das mag auch an einigen Neuentdeckungen liegen, wie von Jacopo Tintoretto. Das Schlachtenbild mit der Kampfszene Davids gegen Goliath, als Hauptwerk des venezianischen Manierismus-Meisters erstmals zuordenbar, erreichte 907.500 Euro. 868.733 Euro brachte „Das Urteil des Paris“, eine Neuentdeckung von Peter Paul Rubens Werkstatt. Ebenfalls eine Neuentdeckung war das für die frühe Werkphase von Guido Reni bedeutende Gemälde „Der kreuztragende Christus“, das für 491.000 Euro den Besitzer wechselte.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.01.2017)

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