Wiener Ursuppe der Moderne

(c) Clemens Fabry
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Das darf niemand versäumen, der sich für österreichische Kulturpolitik interessiert: Zwei Stockwerke sind deren Vätern Viktor Matejka und Werner Hofmann gewidmet.

Durch und durch zufrieden, man könnte sogar „triumphierend“ interpretieren, sieht er aus, der Herr im Nadelstreif-Dreiteiler im Hintergrund des Schwarzweißfotos. Den rechten Arm herrschaftlich aufgestützt, den linken lässig in die Hosentasche gesteckt, richtet er sein Lächeln direkt in die Kamera hinein, lächelt uns heute also an, was für eine Begegnung! Im Vordergrund des Fotos spielt sich währenddessen großes Theater ab, da schwingt der hemdsärmelige Kokoschka den Pinsel mit weit ausholender Gebärde, vor ihm sitzt Wiens weißbärtiger Bürgermeister Theodor Körner Modell.

1949 war das, kurz nach Kriegsende. Der Mann im Hintergrund hieß Viktor Matejka, damals nannte man ihn gern das „Gewissen Österreichs“. Er war der erste Stadtrat für Volksbildung und Kultur in Wien, gestellt von der kommunistischen Partei und alleinig dafür verantwortlich, dass viele der ins Exil vertriebenen Künstler zumindest eine Einladung erhielten, nach Österreich zurückzukehren. Die Rückkehr Kokoschkas, der in London und der Schweiz lebte, betrieb Matejka besonders intensiv. Aber Professuren und andere Ideen, wie etwa eine Malschule in Wien zu errichten, wurden vereitelt. Immerhin das Körner-Porträt kam zustande.

Interessiert man sich für die Anfänge der modernen Kulturpolitik in Österreich, kommt man um Matejka (1901–1993) nicht herum, der sich mit seiner unkonventionellen Art (er sammelte alles mit Hähnen drauf!) gegen ein wohliges Mehrheitsgefühl im „Opferland“ stellte. Nur vier Jahre war er im Amt, 1945 bis 1949, sein Medienarchiv über Themen aus Politik, Kultur und Zeitgeschichte, das er in Form von „Pickbüchern“ sogar im KZ Dachau führte, wo er interniert war, übergab er Ende der 1970er-Jahre dem Mumok. Jetzt wurde es erstmals für eine Ausstellung aufbereitet, begleitet von Werken der Künstler, um die es immer wieder kreist.

Vor allem aber wurde es auch diagrammatisch ausgewertet, was die Unzuverlässigkeiten solcher als sakrosankt betrachteten Archive entlarvt: So sind in den 300 Mappen zwar sehr wohl Künstlerinnen wie Maria Lassnig und Kiki Kogelnik vertreten, dafür fehlen Hauptfiguren der damaligen Szene wie Wolfgang Hollegha, Markus Prachensky, Arnulf Rainer oder Rudolf Hoflehner völlig.

Weibels „Vertreibung der Vernunft“

Die Wiener Aktionisten verfolgte Matejka wieder intensiv. Peter Weibel war es auch, der Matejka 1993 eines seiner Hauptwerke widmete, die bei der Biennale Venedig 1993 gezeigte Videoarbeit „Die Vertreibung der Vernunft“: eine nüchterne Auflistung von 4000 von den Nazis verfolgten und ermordeten österreichischen Wissenschaftlern und Künstlern. Jetzt läuft sie im Mumok in memoriam.

Es ist der erste Teil, der erste Stock der Ausstellung „Wir Wegbereiter“, die man nicht versäumen sollte, sie ging im Schatten von großen Ausstellungen wie Julius Koller oder Painting 2.0 unter. Der zweite Wegbereiter, den die Kuratorinnen Susanne Neuburger und Therese Hochwartner, würdigen, ist der Mumok-Gründungsdirektor Werner Hofmann, der das Moderne-Verständnis von Generationen österreichischer Schulkinder der Prä-Internet-Zeiten prägte. Als sie das Pathos ihrer existenziellen Teenager-Nöte staunend in Magrittes „Stimme des Blutes“ oder Giacomettis „Großer Stehenden“ wiederfanden. Hofmann wusste, dass er keine umfassende internationale Sammlung für das erste Moderne-Museum dieses Landes mehr anlegen konnte, das ging auch nach dem Krieg nicht mehr. Also beschloss er, eine repräsentative Lehrsammlung anzulegen, sie ist bis heute die Basis der Sammlung des Mumok.

Staunend geht man durch den hier in seiner eindrucksvollen Gesamtheit auf große Archivgitterwände gehängten Kernbestand des Mumok. Chronologisch nach Erwerb angeordnet, hängt hier ein Moderne-Substrat, das – überspitzt formuliert – den alten Nazis als ästhetisches Heilmittel auf den Weg in die Zukunft eingeflößt werden sollte. In der anonymen Masse sieht das gar nicht so gut aus, wie man das jetzt gern hätte, vor allem nicht für Einzelwerke. Lehrreich ist es allemal, zwar gelangen Hofmann große Ankäufe wie André Derains „Kauernder“ oder Richard Gerstls „Familie Schönberg“ – hier begannen schon die Überschneidungen mit dem Belvedere. Viele Namen aber sind nicht mehr geläufig, viele Bilder belanglos. Wie bei Matejkas Archiv ist Hofmanns einst als „absolut“ angesehene Lehrsammlung auch ein Lehrstück für alle heutigen Kritiker von Museumssammlungen und -ordnungen, die nie objektiv und allgemeingültig sein können. Nur durch die Bewahrung dieser unvermeidbaren Makel aber bleiben sie historisch interpretierbar und können sinnvoll Geschichte erzählen.

„Wir Wegbereiter“: Bis 26. Februar, Mo 14–19 h, Di–So 10–19 h, Do 10–21 h.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.01.2017)

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