MAK: Architekten mit strengen Trinkgewohnheiten

Auch Josef Hoffmann hat im Ersten Weltkrieg „patriotische Kriegsgläser“ entworfen, 1916.
Auch Josef Hoffmann hat im Ersten Weltkrieg „patriotische Kriegsgläser“ entworfen, 1916.(c) MAK
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„Das Glas der Architekten“ versammelt die experimentelle Glaskunst der Wiener Jugendstilzeit in vielen verspiegelten Vitrinen.

Stellen Sie sich ein Restaurant vor, mit farbigen Tischtüchern, kein Porzellan auf dem Tisch, sondern ordinäres Steingut, mit einer Speisekarte, die der Wirt, auf einer Tafel mit Kreide geschrieben, mit aufgeschlagenen Hemdsärmeln herumträgt, so haben Sie das Bild eines hypermodernen Restaurants!“ Für genau so ein Lokal gelte es nun, ein Glas-Service zu zeichnen. Schrieb Adolf Loos im Mai 1931 an Stefan Rath, Chef des Wiener Glaswaren-Handelshauses Lobmeyr. Heraus kam aus diesem Briefwechsel das lapidar TS248 genannte Trinkservice, das bis heute zu einem der erfolgreichsten des Traditionsunternehmens zählt – schlichte zylindrische Gläser mit geraden Wänden, was zum Schwierigsten überhaupt in der Glasbläserei gehört. Nur wer das Glas zu Ende neigt, wird belohnt: Der Boden ist nicht klar wie der Rest, sondern mit zart mattem Brillantschliff gekachelt, nach der Idee des sogenannten Napoleon-Glases in der Schatzkammer des KHM von 1829. Denn das Ornament, das es in aller Perfektion schon gebe, solle man kopieren. Nur ja nicht variieren, so Loos. Genau das taten seine ästhetischen Feinde der Wiener Werkstätten rund um Hoffmann allerdings mit Leidenschaft. So viel zum Kampf der Geschmacksgiganten, der bis heute nicht eindeutig entschieden ist.

Ausgetragen auf dem Schlachtfeld Glas der Wiener Moderne kann man ihn zurzeit im Wiener MAK beobachten. In recht ungewöhnlichem Ambiente, nämlich nur einer Hälfte der großen Ausstellungshalle. Es ist der Auftakt zum großen Glas-Schwerpunkt des Museums in diesem Frühjahr – der erst mit 1. Februar vollständig wird, wenn nämlich im Hauptteil der Halle die Schau „Gläser der Empire- und Biedermeierzeit“ eröffnet; beide kuratiert vom hauseigenen Glasexperten Rainald Franz. Eine seltsame Teilung, die zumindest volle Aufmerksamkeit für beide Teile garantiert, die nämlich stärker als man glaubt zusammenspielen.

Vorbild für Loos: Das Biedermeier

Denn die Bewunderung für das Biedermeier war so ziemlich das Einzige, was Loos und Hoffmann miteinander verband. Was aber verbindet Avantgarde-Architekten überhaupt mit dem Werkstoff Glas, der uns heute so tantig vorkommt, so unmodern, so elitär? Nur in Frankreich habe es eine ähnliche Situation gegeben, erklärt Kurator Franz, aber in Wien war sie speziell: Da kamen beim Werkstoff Glas mehrere Faktoren zusammen: die Besessenheit vom Gesamtkunstwerk einer jungen Architektenschaft aus Kunstgewerbeschule, TU, Akademie. Die Offenheit etablierter Glasmanufakturen wie Bakalowits & Söhne und J. & L. Lobmeyr. Und die Möglichkeit, durch deren Kontakte direkt in den Glasbläsereien in Böhmen zu arbeiten.

Ein Parcours äußerst eleganter, am Boden verspiegelter Vitrinen (Michael Embacher) stellt diese Jugendstil-Blüte der experimentellen Glaskunst hier im MAK in fast pornografischer Rundumsicht aus. Zuvor war die Ausstellung ausgerechnet in der Glasmetropole Venedig zu sehen, wo sie dem Glaskunstzentrum Le Stanze del Vetro eine der bisher bestbesuchten Ausstellungen überhaupt bescherte. Die Bandbreite ist auch tatsächlich enorm, von einfärbig bis streng gerastert bis bemalt, von mordsschweren, dickwandigen, neobarocken Schalen bis zu hauchdünnen Glasserien, Musselin-Glas genannt, etwa der Ambassador-Serie von Oswald Haerdtl für Lobmeyr. Die wie die von Loos, der nur eine einzige Serie zeichnete, oder die schwarz-weiß-eingebrannte Hoffmanns immer noch produziert wird.

Interessant ist die Rolle der Künstlerinnen, man könnte ja denken, dass sie in dieser ephemeren Nebenschiene mehr zur Tat gekommen wären. Aber nein, nur drei Namen entdeckt man (Lotte Fink!), und in lukrative Serie ging nahezu nichts von ihnen. „Die Künstlerinnen der Wiener Werkstätte“, diese Ausstellung wäre ein Traum des Kurators Rainald Franz. Man sollte ihn ihm erfüllen.

Bis 17. April. MAK-Ausstellungshalle, Eingang Stubenring. Di 10–22 h, Mi–So 10–18 h. Dienstagabends Eintritt frei.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.01.2017)

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