Albertina: Reiches Mädchen, armes Mädchen

Erotisch aufgeladen: Jean-Honoré Fragonards „Das Mädchen mit dem Murmeltier“, 1780er-Jahre.
Erotisch aufgeladen: Jean-Honoré Fragonards „Das Mädchen mit dem Murmeltier“, 1780er-Jahre.(c) Albertina
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Die Albertina zeigt Hauptwerke ihrer Bestände an französischer Zeichnung aus Barock und Rokoko. Der Höhepunkt feudaler Dekadenz. Wir wissen, wie das endete.

Zwei entzückende Mädchenköpfe, die in ihrer Bedeutung unterschiedlicher nicht sein könnten: Hier „Das Mädchen mit dem Murmeltier“ von Jean-Honoré Fragonard, es blickt den Betrachter direkt und offen an, mit keckem Lächeln, tiefem Ausschnitt, eine Hand in die Hüfte gestützt, in der anderen ein leicht geöffnetes Kistchen, aus dem ein Murmeltier lugt. Die erotisch aufgeladene Darstellung einer armen Schaustellerin, wie aus einem Rokoko-Kostümfest in Versailles entsprungen. Dort die Mädchen-Kopfstudie von Jean-Baptiste Greuze, eine ähnlich arme junge Mutter, die im ausgeführten Gemälde zusieht, wie ihr Sohn das karge Mahl mit einem Hündchen teilt.

Von der reizvollen Oberfläche zur moralisierenden Belehrung, von der Lust weniger zum Leid vieler – der gesellschaftliche Wandel im Frankreich des 18. Jahrhunderts, am Vorabend der Revolution, wird in einer sehr klassischen Zeichnungs-Ausstellung der Albertina anschaulich. So bekommt ein auf den ersten Blick hermetisch kunsthistorisches Thema – der Albertina-Bestand an französischen Zeichnungen von Poussin bis David – ungeahnte politische Relevanz. Von der zwar keine direkten Parallelen auf unsere zeitgenössische Kunst und Kultur zu ziehen sind, die einen aber sensibilisiert für einen lange gültigen Zyklus von Eskapismus und Realismus, der seit der Postmoderne nicht nur künstlerisch in eine Gleichzeitigkeit, in ein Nebeneinander aufging. Wird das so bleiben? Werden wir an der bildenden Kunst überhaupt noch ablesen können, wohin die Reise geht?

Der Maler der Moral und Güte

Im Frankreich der Barock- und Rokoko-Zeit sieht das im Rückblick dieser Ausstellung ganz klar aus: Den verspielten Traumwelten eines Watteaus, Bouchers, Fragonards, die im Auftrag der französischen Könige die Dekadenz-Olympiade mit großartigen ästhetischen Würfen ausstatteten, folgten die „Klassizisten“, folgten die zart, fast schon biedermeierlich sozialkritischen Bilder eines Jean-Baptiste Greuze, der u. a. von Diderot zum Maler der Moral, der Güte und der schönen Seele stilisiert wurde, und zu guter letzt die pathetisch-heroischen Historienbilder eines Jacques-Louis David, der später Napoleons Hofmaler wurde.

Mit Davids großformatiger, über zwei Meter langen antikisierenden Wimmel-Zeichnung „Die Kämpfe des Diomedes“ (1776) endet auch die von Christine Ekelhart-Reinwetter kuratierte Schau, für die sie aus den insgesamt 2800 Blättern französischer Zeichnung nur schlanke 70 erwählte. Wirkt überschaubar, ist es auch, am Ende ist man trotzdem satt: Denn mit Text wurde hier einmal nicht gespart, man darf schwelgen in technischem Detailwissen, Querverweisen und Bildbetrachtungen, beginnend erst einmal mit der Entwicklung der Zeichnung von der reinen Skizze zur eigenständigen Bildgattung mit Claude Lorrain und Nicolas Poussin.

Ihre idealen Landschaften Anfang des 17. Jahrhunderts, ihre opulenten Baumkronen, die theatralisch umgeknickte Birke sind ein wunderbarer Auftakt zum Höhepunkt der Dekadenz, zu den innig aneinander gekuschelten drei Genien-Pummelchen Francois Bouchers (um 1747), den hollywoodesken Ruinen-Fantasien Hubert Roberts (1760) oder dem fast pointillistisch flirrenden „Römischen Park mit Brunnen“ von Fragonard (1774) – alles nur Schein, irreal, eine Fatamorgana. Das wird das ganze feudale Treiben auch bald nur gewesen sein, inklusive der so lieblich-lässig hingestreckten Madame Pompadour, der mächtigen Geliebten Ludwigs XV., die Francois Guérin 1748 mit ihrer kleinen Tochter Alexandrine zu ihren Füßen in schnellen, duftigen, blauen und rosa Kreidestrichen aufs Papier warf. Man beachte das „Fallhütchen“, das Alexandrine trägt, eine Art gepolsterten Sturzhelm, den Kinder bis fünf Jahre damals zum Schutz trugen. Ein aus heutiger Sicht exotisches Accessoire, das wie eine zynische Vorahnung auf das Köpferollen gut 40 Jahre später wirkt.

Tugend und Terror verdichteten die Formen und Inhalte, und erst im Impressionismus, über 100 Jahre später, stellte sich künstlerisch wieder Leichtigkeit ein, begannen die formalen Auflösungstendenzen, der nächste Zyklus führte schon in die Abstraktion. Aber das ist eine andere Geschichte.

Von Poussin bis David, bis 25. 4., tägl. 10–18 h, Mi.–21 h.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.01.2017)

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