Wie Künstler auf die Atombombe reagierten

So dekorativ kann die Katastrophe sein: Roy Liechtenstein: „Atomic Burst“, 1965.
So dekorativ kann die Katastrophe sein: Roy Liechtenstein: „Atomic Burst“, 1965.(c) Katalog
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Die Ausstellung „Postwar“ im Haus der Kunst in München zeigt „Kunst zwischen Pazifik und Atlantik“ von 1945 bis 1965.

Das Ende des Zweiten Weltkriegs. Das Grauen des Holocaust, die Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki. In der Literatur wird 1945 oft als Stunde Null bezeichnet. Wie spiegelt sich diese Zeit in der Kunst wieder? Bisher antworteten die meisten mit einer klaren Polarisierung: Im Westen dominierte Abstraktion, im Osten die Figuration. Das Haus der Kunst in München sucht jetzt einen größeren Fokus. Die Ausstellung „Postwar“ will anhand von 350 Werken von 218 Künstlern aus 65 Ländern zeigen, dass es damals zwar viele künstlerische Entwicklungen gab, die aber eines gemeinsam hatten: 1945 als „Wendepunkt“, der, so die Kuratoren, zu einem neuen „Bewusstsein von der Welt als einer einzigen, geschlossenen Einheit“ geführt habe. So hätten Künstler vom Atlantik bis zum Pazifik ähnliche Formensprachen gefunden, ähnliche Themen aufgegriffen, ähnliche Materialien gefunden.

Die Welt als Einheit? Nach 1945 begannen der Kalte Krieg, Dekolonialisierungskämpfe, Unabhängigkeitsbewegungen. Im Westen kamen in kurzer Folge Abstraktion, Konkrete Kunst und Konzeptkunst. Auf der anderen Seite des Eisernen Vorhangs wurde der staatstreue Sozialistische Realismus praktiziert. Aber auch im Westen wurde die Kunst politisch instrumentalisiert. Der 1947 gegründete Auslandsgeheimdienst der USA begann 1950, über verdeckte Kanäle Ausstellungen des Abstrakten Expressionismus zu finanzieren: Kunst als Waffe im Kalten Krieg.

Aber von solchen politischen Zusammenhängen handelt die Ausstellung nicht. Im Gegenteil: Sie will zeigen, wie „sich Kunst und Politik zunehmend verzahnten“ und die Menschen ein allen gemeinsames Schicksal erkannten. Als zentrale Bild dafür gilt der Atompilz. Wie verschieden Künstler ihn aufgriffen, sehen wir gleich zu Beginn: Roy Lichtensteins dekorativ-harmloser Atompilz trifft auf die bedrückenden Tuschebilder von Iri und Toshi Marukis „Hiroshima-Tafeln“. Sie zeichneten Szenen aus ihrer Erinnerung und widersetzten sich damit dem US-Gesetz, das Berichte und vor allem Bilder der Atombombenverwüstungen verbot. Aber nicht alle reagierten so direkt, Henry Moore fertigte eine totenkopfähnliche Bronzefigur unter dem Titel „Atom Piece“ an und Isamu Noguchi entwarf gar Bilder der Hoffnung.

War Abstraktion doch typisch westlich?

Parallel zu solchen direkt auf die Zeitgeschichte bezogenen Werken entstand auch abstrakt-gestische Kunst, teils mit neuen Materialien, die unter dem sperrigen Stichwort „Form ist bedeutsam“ präsentiert werden: Kunstmarktstars wie de Kooning und Lygia Clark treffen auf weniger Bekanntes wie die auf dem Boden liegenden „Non-Sculpture“ des Koreaners Lee Seung-Taek oder die kaleidoskopische Abstraktion der 1901 in der Türkei geborenen, 1991 in Jordanien gestorbenen Prinzessin Fahrelnissa Zeid. Besonders global wird die Auswahl in den Kapiteln „Menschenbilder“ und „Realismen“ – offenbar bevorzugten die nicht-westlichen Künstler doch die figurative Kunst. Bestätigt das nicht doch die Abstraktion als vornehmlich westliche Entwicklung?

Hochinteressant ist das Kapitel „Kosmopolitische Moderne“: Hier verbinden Künstler die Ästhetik der Moderne mit indigenen, traditionellen Bildelementen, mit religiöser Symbolik wie Fateh Al-Moudarres aus Syrien, mit magischem Realismus wie Alexander Boghossian aus Äthiopien, mit Kalligraphie wie Ibrahim El-Salahi aus dem Sudan. Einige kannten die westliche Kunst von Reisen, andere lebten später in Europa oder New York. Aber es gibt auch Beispiele für den umgekehrten Weg wie die 1915 in Graz geborene Susanne Wenger, die 1950 nach Nigeria zog: Ihre Bilder basieren meist auf Geschichten der Yoruba-Gottheiten.

Oft möchte man gerne mehr von einzelnen Künstlern sehen, auch zur Überprüfung der vorgeschlagenen Gemeinsamkeiten. Zudem sind die Werke verwirrend dicht beieinander präsentiert – man ahnt, dass das Forschungsteam in den acht Jahren Vorbereitungszeit viel mehr Material zusammentragen konnte, als im Haus der Kunst unterzubringen ist. Entsprechend umfangreich ist der gefühlte 20 Kilo schwere Katalog – und das ist auch notwendig. Denn „Postwar“ betritt mit den Fragen zu kulturellen Vermächtnissen der globalen Kunstproduktionen nach 1945 ein bisher kaum bekanntes Terrain. Ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einer neuen, globalen Kunstgeschichte.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.02.2017)

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