Dressed for Fun: Giacometti im roten Kleid

Giacomettis „Stehende“ im Kleid von „House of the very Island’s“, inszeniert von Jakob Lena Knebl.
Giacomettis „Stehende“ im Kleid von „House of the very Island’s“, inszeniert von Jakob Lena Knebl.(c) mumok/Foto: Lisa Rastl
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Sammlungs-Neuaufstellungen in Museen sind meist fad. Nicht, wenn man damit die queere Wiener Künstlerin Jakob Lena Knebl beauftragt. Da kommen Glamour und Hintergründiges, Mode, Kunst und Design zusammen.

Immer dieselben Namen, immer die gleichen Werke – die Dauerausstellungen von Moderne-Museen ähneln sich weltweit ziemlich. Der kunsthistorische Kanon bekommt dann erst seinen paranoiden Wortsinn, wenn man sich in diesen White Cubes in Dauerschleifen aus Mondrians, Pollocks, Rauschenbergs, Warhols wiederfindet. Es braucht seltsame Geister wie Jakob Lena Knebl, um einen da rauszuholen. Die 1970 in Baden geborene Künstlerin ist in Wien eine Größe der queeren Performancekunst, also der aktionistischen Kunst, die sich meist auf ästhetisch anspruchsvolle bis glamouröse Weise mit Geschlechterrollen befasst – manisch-depressive Identitätsbildung im Zeitalter des Pop, für alle glücklichen Kunsttheoriefernen könnte man das grob mit dem Stichwort Lady Gaga umreißen.

Dass bei dieser Neuaufstellung der Wiener Mumok-Sammlung eben alles anders ist, machte sich schon bei der Pressekonferenz durch Tränen der Rührung bemerkbar, die Direktorin Karola Kraus mit der anwesenden Künstler-Gastkuratorin teilte. Man verstand: Freie radikale Subjektivität und Emotionen herrschen jetzt hier. Aber auch schonungsloser Humor, denkt man etwa an eine der bekanntesten Fotoarbeiten Knebls, für die sie sich nackt in eine Ecke legte, um die Beuys'sche „Fettecke“ zu persiflieren. „Oh...“ Das wäre auch schon das Motto der auf zwei Geschoßen untergebrachten Neuaufstellung.

Mode, Kunst, Design – alles gleich

Es ist eine für kanonische Gemüter völlig respektlose Mischung von Mode, Kunst, Design und Clubkultur – samt Special-Appearance der Seventies, der 1970er-Jahre, die Knebl besonders am Herzen liegen. Denn hier sieht sie die Urzellen der sexuellen Befreiung und des politischen Bewusstseins liegen, die sich zu bequemen Sitzsäcken ausgewachsen haben. Von diesen und anderen Sitzgelegenheiten gibt es genug in der Ausstellung – etwa eine Sofalandschaft, von der aus man in einem biederen hölzernen Wandverbau kunsthistorischen Nippes bewundern kann, einen Messingkopf von Sophie Täuber etwa, aber auch einen männlichen Rückenakt Johanna Kandls oder ein Video mit einem sozusagen fokussierten männlichen Vorderakt, nämlich einem Penis (der hier Erleuchtung bedeutet, also den Lichtschalter bedient) von Anna Jermolaewa. Derartige assoziative Gruppen – „Begehrensräume“ – bilden den Rhythmus der ganzen Ausstellung, manchmal hat Knebl sie in Interieurs inszeniert, manchmal auf bühnenartigen Aufbauten mit Spiegeln und Stoffdraperien, manchmal in wunderkammerartigen Kojen, von denen sie zwei etwa dem Gugginger Art-Brut-Künstler August Walla widmet, dessen wüste Selbstinszenierung sie sich mit Perücke und grünem Kleid aneignet und auf Fototapete drucken ließ. Immer wieder mischt sie sich selbst (beziehungsweise ihre eingenommenen Rollen) darunter. Ob sie sich in ein Botero-Bild photoshoppen lässt. Oder als Avatar in einer ganzwandigen Projektion eines interaktiven Onlinespiels durch die Ausstellung wandert, wo sie dann die Dinge tut, die ihr wirklich niemand erlauben würde: den Mumok-Picasso ausrahmen etwa. Oder die ausgemergelte Giacometti-Stehende füttern. Dieser ist sie auch „in echt“ näher getreten, als es sich je zuvor jemand erlaubte: Sie hängte dieser Ikone existenzialistischer Geworfenheit tatsächlich ein kardinalsrotes Kleid um. Stand in der Kunst bisher die Nacktheit für die schiere Identität, für „Wahrheit“, sucht man diese heute so viel komplexere Angelegenheit in modischer Verhüllung zu formulieren.

Ein Sessel für Alexander Calder

Dafür hat Knebl, die bei Heimo Zobernig Bildhauerei und bei Raf Simons Mode studiert hat, mit dem Modelabel House of the very Island's sogar eine eigene schillernde „Capsule-Kollektion“ entworfen, die sie dann an den Klassikern der Moderne drapiert wie an Modepuppen: eine Glitzer-Bomberjacke für Louise Bourgeois' „Beobachter“, eine schwarze Federnjacke für Hans Arps „Idol“. Es kann aber auch ein Schreibtischsessel (immerhin von Prouvé) für Alexander Calders „Römischen Reiter“ sein, der dadurch fast zur Psyche (dem Möbel) wird. Herrlich.

„Fraulich“ ist mancher „Schüler-Witz“, wie Knebl gesteht – etwa die um 90 Grad gedrehte kühl-minimalistische „Blaue Kurve“ von Ellsworth Kelly von 1964, die in zusätzlichen Fotos ganz direkt auf prinzipielle Körperlichkeit getestet wird. Eine wunderbare Idee sind auch die Spiegelfolien, die verschwommene Blicke auf Rückseiten und verborgene Ecken frei machen. Denn auch dort sind manchmal Werke angebracht, etwa Magrittes „Stimme des Blutes“. Das Unbewusste der Sammlung? Eine tatsächlich mittlerweile fast entschwundene Sammlungsgeschichte kommt durch Knebels exzentrische Auswahl jedenfalls wieder ans Licht: Die Ankäufe der 1990er- und frühen 2000er-Jahre unter Lorand Hegyi, die pastellige Installation „Farben eines Sees“ von Ettore Spalletti etwa, der zurzeit wieder entdeckt wird. Hier werden eben nicht nur Körper und Augen, sondern auch das Bewusstsein geöffnet.

„Oh . . . Jakob Lena Knebl und die Mumok Sammlung“, bis 22. Oktober. Mo 14–19 h, Di–So 10–19 h, Do 10–21 h.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.03.2017)

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