Kunsthaus Wien: Wie schön darf das Böse sein?

(c) Burtynsky, courtesy Admira, Milan
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Der kanadische Fotograf Edward Burtynsky hat seine Kamera acht Jahre lang nah am Wasser gebaut: Er fotografierte die irritierende Schönheit von Umweltschäden.

Über das Staunen fängt er uns: Das sollen Fotos von Landschaften sein? Unbearbeitete Fotos? Unmöglich. Ein mexikanisches Flussdelta sieht hier aus der Vogelperspektive wie das smaragdene Fossil eines Baumes aus (siehe Abbildung), die endlose Reihe spanischer Gewächshäuser wie ein metallenes Riesenpuzzle, grellgrüne Kreisbewässerungsanlagen in der Wüste Arizonas wie abstrakte Malerei, ein trockener Brunnenschacht in Indien mit endlosen Steinstiegen an den Wänden wie eine Fantasie M. C. Eschers – und die schwefelgelbe Gischt über dem chinesischen Drei-Schluchten-Staudamm wie ein Turner-Gemälde.

Der kanadische Fotokünstler Edward Burtynsky (*1955) ist zumindest in seiner Heimat und den USA berühmt für diese Effekte, gerade erst widmete „The New Yorker“ ihm eine lange Reportage. Jetzt stellt ihn das Kunsthaus Wien erstmals in Österreich mit einer Einzelausstellung vor, was nicht nur oberflächlich großartig zur Neuausrichtung des von Hundertwasser gebauten Hauses auf ökologische und nachhaltige Themen passt. Es ist auch nahezu ein Coup in der Nachbarschaft zur Hundertwasser-Dauerausstellung im Stockwerk darunter.

Auch Hundertwasser liebte die Vogelperspektive – was war die unregelmäßige Spirale, die sich so prägnant durch sein Werk zieht, anderes als „Der große Weg“ von oben gesehen, wie sein Schlüsselwerk von 1955 heißt? Hundertwassers Visionen einer besseren Welt wirken wie Gegenbilder zu Burtynskys Dokumentation des schaurig-schönen Grauens, das die Menschen in der Natur anrichten. Und zwar bewusst anrichten, denn Burtynsky hat sich bisher nur einmal zu Umweltkatastrophen-Journalismus hinreißen lassen und den fatalen Ölteppich fotografiert, den die Explosion der Deepwater-Horizon-Ölplattform ausgelöst hat. Das Foto, das Burtynsky davon schoss, ist allerdings dermaßen irritierend von Schwaden aus Wolken, Ölfilm, Wasser und Algen durchzogen, dass man die Orientierung verlieren könnte. Nach Katastrophe schaut hier gar nichts aus.

Das ist der Schlüssel wie auch das Problem bei diesen monumentalen Fotografien, die wie göttliche Naturvisionen daherkommen – sie sind einfach immer schön, immer formal spannend, weil faszinierend ornamental oder faszinierend uneindeutig in Perspektive oder Relation (Menschen kommen keine vor bei Burtynsky, sind dadurch keine Verhältnisgröße). Wie banal gegen diese irritierende, ja fast diabolische Ästhetisierung alltäglicher, meist sogar legaler industrieller Verschmutzung sind doch die begleitenden Aussagen des Fotografen („Ohne Wasser sterben wir“ oder „Zu meiner großen Freude ergaben sich immer wieder Bilder, die eine Verbindung zu meinen Lieblingsmalern herstellten“). Merkt er nicht den Widerspruch? Opfert er eine auch ästhetisch wahrnehmbare Kritik am Dargestellten einer absehbar größeren Popularität von Fotos mit „Universum“-Überwältigungseffekt? Ist die Schönheit eine Falle? Oder ist sie eitle Naivität angesichts der Verlockung einer so erreichten stilistischen Anbindung zur Kunstgeschichte? Zu William Turner, Jean Dubuffet, Caspar David Friedrich? Die mit ökologischem Bewusstsein ungefähr soviel tun hatten wie Jeff Koons mit Feminismus.

Mit Hubschrauber im Dienst der Umwelt

Darf man sich in diesem Zusammenhang eigentlich auch fragen, ob das Benzin, das die Hubschrauber und Drohnen verbrauchen, aus und mit denen Burtynsky seine Serien fotografiert, oder ob der CO2-Rucksack, den er seit 30 Jahren durch seine Reisen auf alle Kontinente auf seine Schultern geladen hat, wirklich so „im Dienst der Nachhaltigkeit und des Umweltschutzes“ stehen, wie im Katalog vermerkt ist? Oder ist das gar zu kleinlich angesichts dieser tatsächlich schwer faszinierenden Fotografien? Die Menschenleere und die Vogelperspektive machen übrigens den großen Reiz dieser Fotos aus. Verzichtet Burtynsky auf beides, wie in seinen Bildern dicht und bunt bevölkerter indischer Flussufer, werden sie schnell verwechselbar. Ob acht Jahre Arbeit am Thema Wasser hier Ermüdungsspuren hinterlassen haben? Nein. Die jüngsten Bilder aus Nigeria, in denen man die Zerstörung des Nigerdeltas durch die Ölpiraterie sieht, gehören zu den besten dieser Serie, in der wir auf ein surreales, finsteres Märchen hinunterblicken, das nur eben keines ist.

Fotographie, Kunst, Natur

Die Ausstellung „Wasser“ von Edward Burtynsky (*1955) umfasst über 50 großformatige Fotografien. Kuratorinnen sind Enrica Viganò und Bettina Leidl. Sie läuft bis 27. August, täglich 10–18 Uhr, Untere Weißgerberstr. 13, Wien 3.

Im Bank Austria Kunstforum auf der Freyung stellt ab 5. Mai (bis 16. Juli) ein weiterer US-Fotokünstler dieser Generation, der „postmoderne Modernist“ James Welling (*1951), aus.

Hilfesuchende können sich an das Kriseninterventionszentrum Wien wenden. Auf der Homepage www.kriseninterventionszentrum.at gibt es Informationen zum Thema.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.03.2017)

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