Ausstellung: Geistesblitze im Kunstnebel

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In der Secession und im „Weißen Haus“ warten Schwärme von Elektronen, um uns auch heute davon zu überzeugen: „Es lebe die Maschinenkunst!“

Kalte, feuchte Luft weht einem entgegen, der Raum ist düster, in der Mitte prangt eine mächtige, wummernde Maschine, die aussieht, als hätte Bruno Gironcoli sich in russischen Forschungslabors ausgetobt und nicht in österreichischen Skulpturenparks. Es wird einem aber rasch klamm ums Herz: Aus den beiden großen Tellern der Maschine steigen zwei Säulen Wasserdampf auf, hellgraue Wolken, die sich dräuend-romantisch in Richtung der Oberlichte der Secession verziehen und alle zehn Minuten von einem massigen Industrieventilator auf den Karlsplatz geschaufelt werden. Elektrosmog. Wenn sie immer schon einmal wissen wollten, wie dieser aussieht – voilà!

Die junge italienische Künstlerin Micol Assaël lädt hier Wasserdampf mit 10.000 Volt auf und erzeugt dadurch ein sichtbares elektrostatisches Feld. Ist man über acht Jahre alt, nicht schwanger und trägt keinen Herzschrittmacher darf man dieses auch durchschreiten – von groben elektrischen Schocks kann nicht berichtet werden, die Haare stehen einem auch nicht gleich zu Berge, nur die Härchen im Gesicht beginnen sich aufzurichten, was höchstens ein angenehmes Kribbeln erzeugt.

Ungläubiger kleiner Technik-Thomas

Trotzdem. Ganz wohl ist einem nicht bei diesem Ausstellungsbesuch und zwar nicht nur, weil man an die Stromrechnung des Künstlervereins denkt (sie ist in diesem Fall Teil des Ausstellungsbudgets). Aber Strom plötzlich „sehen“ zu können! Und derart mächtigen Maschinen auf Augenhöhe gegenüberzustehen! Das ist der Generation Wlan seelisch nur noch zumutbar, wenn sie das Glück hat, sich gerade noch an einen Physikunterricht erinnern zu können, bei dem Energie noch durch simple Reibung auf einer drehbaren alten Funkenschleuder aufgeblitzt ist. Danke, Frau Fessor! Sonst wäre ich heute ein ungläubiges Thomasinchen und müsste die Maschine – streng verboten! – betatschen, wie der Hl. Thomas Jesus' Wunde, um glauben zu können.

Technikgläubigkeit, daran spielt wohl der Titel der Installation an, „Fomuska“, auf Russisch kleiner Thomas. Das ungläubige Staunen und die russische Maschinenkunst, die Wladimir Tatlin Anfang des 20. Jahrhunderts begründete, das bringt Micol Assaël heute, in einer Zeit ohne Utopien, in ihren Versuchsanordnungen zusammen, zeichnet dabei auch durch ihre Herkunft eine historische Spur nach. Stand doch die russische Avantgarde in Beziehung zum italienischen Futurismus, und arbeitet die Italienerin Assaël doch eng mit dem Moskauer Elektroenergetischen Institut zusammen.

So geht „Fomuska“ etwa auf eine russische Versuchsanlage zurück, in der die Blitzentladung simuliert wurde. Würde man etwa eine Neonröhre in den extremen Elektrosmog halten, begänne diese zu „blitzen“.

Kleine elektrische Schläge

Ausprobieren kann das, wer sich traut, im Wiener Kunstverein „Das weiße Haus“, wo David Moises und Chris Janka einen „Geistesblitzgenerator“ zur großzügigen Verfügung stellen: Einen Hometrainer, der über eine Apparatur wie in einem Lift Elektronen nach oben, in eine auf Kopfhöhe des Fahrers montierte metallene Kugel schickt, erklärt Moises. „Und dann wollen die Elektronen eben aussteigen.“

Was man daran erkennt, dass die Neonröhre leuchtet, die man in Richtung Kugel halten kann. Oder spürt, wenn einen der „Geistesblitz“ trifft, manchmal unerwartet heftig, handelt es sich immerhin um eine, vor allem im Vergleich mit „Fomuska“ hohe Spannung, 700 Kilovolt – „das Rad wehrt sich eben gegen seine Benutzung“, meint Moises. Am Samstag erklärt er dieses Eigenleben der Maschine in einer Lecture noch ein wenig genauer. Zehn jüngere Künstler, vor allem Jungs, wurden vom jungen Kunstverein eingeladen, ihre „Funky Machines“ zu zeigen. Ein Trend? Heißt es etwa immer noch, wie 1920 bei der ersten Dada-Messe „Die Kunst ist tot. Es lebe die neue Maschinenkunst Tatlins“? „Von 300 Einreichungen für unser Jahresprogramm fiel uns dieses Thema eben auf“, ist sich Elsy Lahner nicht ganz trendsicher. Maschinenkunst, Kinetik, Bricolage, also Bastelkunst, haben nun einmal eine lange, ungebrochene Geschichte, die von Leonardo an erzählt werden könnte und mit Tatlin und Tinguely in der Moderne Höhepunkte hatte.

Was sich allerdings sowohl in der Secession als auch im „Weißen Haus“ durchzieht, da eben sowjetische Rohheit, dort eher Ikea-Sperrigkeit, ist die Bastelästhetik, die zum Teil kongenial, zum Teil verschroben ist: Achim Stiermanns raumhohe Maschine aus Strohhalmen etwa, die Tischtennisbälle in einen unerwarteten Kreislauf bringt, der über eine schräge Platte, den Parkettboden und einen aufgespannten Regenschirm führt. Oder Peter Fritzenwallners Hochsitz, der über Seile die Bewegungen des Sitzenden zur Musik, etwa YMCA, auf eine Art „Schießscheibe“, ein Diagramm überträgt. Bewusst unperfekt auch die unebenen Keramikkugeln von Korinna Lindinger, die den Raum erforschen, sich selbstständig von einer Wand zur anderen wuchten, aneinanderprallen, aber bisher doch nicht zerschellten. Spielerisch, poetisch und erfindungsreich. Unbedingt ansehen. Bis Samstag noch. Danach folgen zwei Einzelausstellungen, von Bernhard Hosa und Zweintopf. Und im April zieht das „Weiße Haus“ dann weiter, in ungewisse Weiten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.11.2009)

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