Vienna Art Week: Eine soziale Utopie, ganz nebenbei

Plakat einer Aktion: Marlene Haring kroch 2005 als Yeti kostümiert durch Wien 2.
Plakat einer Aktion: Marlene Haring kroch 2005 als Yeti kostümiert durch Wien 2.(c) Haring
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Die Promotion-Woche leistet sich erstmals eine Ausstellung. Sie gibt Einblick in junge Kunstszenen. Und zeigt mit Low-Budget-Flair Wiens Berliner Seite.

Bei anderen tritt man über niedliche Katzen oder grelle „Willkommen“ in die Wohnung, hier steht in silbernen Buchstaben „X-topia“ auf der fiktiven Türmatte. Die freie Kuratorin Ursula Maria Probst hat wieder zur Schere gegriffen und gebastelt – viele Künstler kuratieren ihre Ausstellungen selbst, warum sollten also nicht auch einmal Kuratoren künstlerisch arbeiten, fragt sie mit diesem Schriftzug.

„X-topia“, also Cross-topia, steht aber auch paradigmatisch für den Inhalt dieser Ausstellung, die nur eine Woche, nämlich die „Vienna Art Week“ lang dauert. Erstmals hat sich diese vor fünf Jahren vom Dorotheum erfundene Promotion-Woche für Wien als Kunststandort eine eigene Ausstellung geleistet. Für die neben der aufwendigen Werbelinie – eine Albinoboa soll das paradiesische Motto „Verführung zur Kunst“ zeitgenössisch illustrieren, ein fettes goldenes Programmbuch offiziellen Charakter verleihen – anscheinend nur das Minibudget von 7000 Euro übrig geblieben ist.

So zeigt Wien den eingeladenen internationalen Kunstbetrieblern eben seine Berliner Seite, gesetzt den Fall, dass sie sich hierherverirren. Und so entstand immerhin ein veritables Lehrstück für das gewählte Ausstellungsthema, „The Center of Attention. Kunst als Soziotopie“, das die sozialen Hintergründe von Kunstprojekten, die Vernetzung und Selbstausbeutung des Kunstbetriebs zeigen soll. Erster Einblick: der angemietete Ort, ein schäbiges, abgelegenes Gassenlokal im dritten Bezirk. Vormieterin war nämlich Brigitte Kowanz, die hier ihr Atelier hatte. Ein Zufall, meint Kuratorin Probst, aber ein ziemlich guter. Zweitens: die Künstlerauswahl. Die hat Probst nicht autoritär getroffen, sondern nur ansatzweise beeinflusst, indem sie sieben Künstler und Künstlerinnen einlud, wiederum andere Kollegen einzuladen.

Kontakte sammeln statt Kunst produzieren

So ergibt sich ein (interessanterweise ziemlich homogen wirkender) Einblick in gleich mehrere junge Wiener Kunstszenen – und ganz nebenbei auch ein superschöner Beweis dafür, dass Wien eine Drehscheibe für junge Künstler aus Ost- und Südosteuropa ist. Bei der Eröffnungsparty etwa haben Irina Gheorghe und Alina Popa das getan, was sie als Kulturkontakt-Gastkünstler hier erst einmal tun mussten – Kontakte sammeln. Kamen Stoyanov, Steven Guermeur und Ivan Moudov haben ihre gefinkelten Überlegungen, wie sie mit eigener Galerie durchstarten, auf Video aufgenommen. Die in Russland geborene Anna Ceeh zeigt auf grünem Rasen ein Visual, Giorgi Okropiridses schweren Papierflieger aus Eisen und Flyer vom clubbetreibenden Kunststudenten Wolfram aka Marflow aka Diskokaine.

Sofort zurücklieben muss man die Fotoarbeit von Catrin Bolt, die seit zehn Jahren große kalte Statuen umarmt, Anna Jermolaewas Fotoserie von Tauben, die auf einer Bahnhofsuhr sitzen, verschieden bequem, je nach Zeigerstand („Good times, Bad times“). Oder Lazar Lyutakovs alte Jacobsen-Sessel, die er mit Mieder und Ketten plötzlich recht dominant erscheinen lässt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.11.2009)

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