21er-Haus

Hau das Haus: Erwin Wurms Vorführung der Wut

Ironische Relikte eines selbstreflexiven Wutkünstlers: Erwin Wurms „Performative Skulpturen“ im 21er-Haus. Die von ihm per Hand oder Auto zerstörten Tonmodelle wurden später in Harz, Alu, Eisen gegossen.
Ironische Relikte eines selbstreflexiven Wutkünstlers: Erwin Wurms „Performative Skulpturen“ im 21er-Haus. Die von ihm per Hand oder Auto zerstörten Tonmodelle wurden später in Harz, Alu, Eisen gegossen.(c) Belvedere/Stoll
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Die große Halle ist voller kaputter Skulpturen, Häuser, Handys, Sofas mit Dellen und Löchern. Und das soll auch so sein. An den „Performativen Skulpturen“ hat Erwin Wurm seinen Zorn ausgelassen. Ab Freitag dürfen wir ihm das nachfühlen.

An der großen Fensterwand des 21er-Hauses hinaus zum Skulpturengarten prangt fett ein pinkfarbener Spritzer. Was wie ein Farbanschlag auf die ganz in gedämpften Tönen gehaltene neue Erwin-Wurm-Ausstellung im Inneren wirkt, ist ein echter Franz West. Ein Überbleibsel aus der West-Kollaborationen-Ausstellung, die zuvor hier in der der Haupthalle gastierte. Was Erwin Wurm „gar nicht stört“, kommentierte er bei der Pressekonferenz am Montag gelassen, „der soll nur weiter spritzen“. Schließlich ist neben dem 2012 verstorbenen West er der zurzeit international bekannteste österreichische Künstler. Und der rosa Spritzer markiert durchaus eine, wenn auch unbeabsichtigte, Verortung in der Kunstgeschichte.

Denn in der neuen Wurm-Ausstellung geht es um Wut und Zerstörung, um Abreaktion und Handarbeit, was eine ewige Tradition hat, nicht zuletzt in der Wiener Avantgarde. Hier haben die Aktionisten schon die Freud'sche „Abreaktion“ auf die Kunst bezogen und nach dem Krieg die Bilder zerstört. Es ging ihnen um Aggressionsabbau, darum, das Innerste nach außen zu kehren, womit sie sich 1966 beim legendären „Destruction in Art Symposium“ in London in bester Gesellschaft befanden, wo Klaviere zertrümmert wurden und Gustav Metzger seine „Auto-Destruction“ vorführte, bei der Chemikalien automatisch die Leinwand zersetzten. Was Franz West ironisch-wörtlich nahm und 2001 im MAK tatsächlich mit einer lila Gießkanne auf einen Maserati stieg, um diesen, inklusive des ganzen etwas pathetischen Destruktionseifers, mit rosa Lack durch Lächerlichkeit ebenfalls zu „zerstören“.

Wurm verband diese beiden Stränge – die Entblößung der Peinlichkeit des öffentlichen Wutausbruchs sowie die momentane Befreiung durch die Abreaktion. 2012 begann er seine Demolition Art, auf historisierenden Schwarz-Weiß-Fotos sieht man diese erste Aktion festgehalten, bei der er auf das rohe Tonmodell eines Hauses eintritt, sich draufsetzt, es mit ganzer Körperkraft versucht zu zerdellen. Er wollte wieder selbst anpacken an seiner Kunst, die damals von einem Werkstattbetrieb ausgeführt wurde, während Wurm selbst vor allem mit der Planung und Organisation einer beeindruckenden Karriere auf dem internationalen Markt beansprucht war. Also begann er, Häuser, Möbel, Alltagsdinge wie Mobiltelefone, Plastikflaschen, Uhren aus Ton zu demolieren und dann in Aluminium, Bronze, Eisen, Kunstharz abgießen zu lassen; dieser Werkgruppe der „Performative Sculptures“ ist jetzt die 21er-Haus-Halle gewidmet. Er würde das gern als Abschluss einer Trilogie gesehen haben, so Wurm am Montag – nach den bereits eröffneten Teilen im Kunsthaus Graz und bei der Biennale Venedig, wo die „Wortskulpturen“ nur im Kopf des Betrachters und die „One Minute Sculptures“ nur mit tatsächlichem Körpereinsatz der Betrachter entstehen können.

Empathie mit dem Künstler

Selbst draufhauen im 21er-Haus ist dagegen nicht so erwünscht, das hat schon der Künstler erledigt mit seiner selbstironischen Hinterfragung des Geniestreichs, der ikonisierten, authentischen Künstlerhandschrift. Nein, gefragt ist hier die Empathie des Betrachters, um die Skulptur gewordenen Künstleremotionen nachempfinden zu können, was in Kombination mit den derart behandelten Gegenständen teilweise blendend nachvollziehbar ist, wie bei der nervösen Zerwühlung einer (mittlerweile veralteten) Handy-Tastatur. Besonders brutal in ihrer „Automatisierung“ aber wirken die Zerstörungen der Objekte, die Wurm Tarantino-„Death Proof“-mäßig mit dem Auto überfahren hat, man sieht noch die Reifenspuren.

Die Geschichte des Reifenabdrucks in der Kunst wäre einmal eine eigene Ausstellung wert, genauso wie eine über den im Vergleich zu Erwin Wurm wenig präsenten, in etwa gleich alten österreichischen Bildhauer Hans Kupelwieser aussteht, bei dem es einige interessante Parallelen zu Wurm gäbe: Konzentriert sich doch auch er auf die Erweiterung des Skulpturbegriffs, allerdings weniger ins Performative wie Wurm als ins Fotografische. Von Kupelwieser stammt auch der prominenteste Wiener Reifenabdruck, zu finden an einer Galeriewand in der Dorotheergasse – ein Aluminiumabguss von 1988.

Österreicher waren bei der Autokunst immer ganz vorn dabei: Stammt zwar der allererste in die Kunstgeschichte eingegangene „Automobile Tire Print“ vom US-Künstler Robert Rauschenberg, der 1953 den Komponisten John Cage dazu anhielt, mit seinem Ford über einen langen Streifen Papier zu fahren, hat nur ein Jahr später schon in Österreich Oswald Oberhuber das Ganze skulptural gedacht – und einen Gipsabdruck von einer Autoreifenspur genommen. Der übrigens vor gut einem Jahr ebenfalls hier im 21er-Haus zu sehen war, in der Oberhuber-Retrospektive von Alfred Weidinger, der gemeinsam mit Severin Dünser jetzt auch Wurms „Performative Skulpturen“ kuratierte.

Geöffnet: 2. Juni–10. Sept., Mi., 11–21 h, Do–So, 11–18 h.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.05.2017)

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