Belvedere: Die Antike als Impuls und Ausrede

Gustav Klimt: Sitzender weiblicher Halbakt, 1904, reproduziert in „Die Hetärengespräche des Lukian“.
Gustav Klimt: Sitzender weiblicher Halbakt, 1904, reproduziert in „Die Hetärengespräche des Lukian“.(c) Leopold Museum Wien
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„Klimt und die Antike – Erotische Begegnungen“ nennt sich eine kleine Ausstellung in der Orangerie: Im Mittelpunkt stehen Illustrationen der „Hetärengespräche“.

Nehmen wir Lukian: Der Dichter lebte im zweiten Jahrhundert nach Christus, war ein scharfer Beobachter und Spötter und widmete sich in seinen „Hetärengesprächen“ dem Drama der (käuflichen) Liebe. Da klagt ein Matrose über die schöne Myrtale: Alles, alles hat er für sie ausgegeben, und jetzt wirft sie ihn hinaus. Die 18-jährige Musarion schwärmt von ihrem Chaireas, der „so schön ist und jung und er sagt mir, dass er mich liebt und weint dabei“. Doch die Mutter sieht, dass der Kerl mehr kostet als bringt: „Du wirst noch an mich denken!“ Von lesbischer Liebe ist die Rede und dem „Schrecken der Ehe“, und eine Kurtisane singt der anderen ein Lob der Eifersucht.

Lukian lebte in der Zeit des erstarkenden Christentums. Die „Hetärengespräche“ verlegte er freilich ins Griechenland des fünften Jahrhunderts vor Christus: Da waren Hetären sozial anerkannt, die Darstellung von erotischen Begegnungen auf kostbaren Amphoren und Trinkschalen erlebte einen Höhepunkt. Etliche davon sind in dieser von Tobias Natter kuratierten Ausstellung in der Orangerie zu sehen.

Ja, die Antike als Deckmäntelchen: All diese Geschichten von geraubten Sabinerinnen, von Danaë, über die Zeus als goldener Regen hereinbricht, vom entführten Ganymed – Möglichkeiten, ein bisschen Erotik an die Wände der Palazzi zu bringen. Und bei Klimt ist es nicht viel anders.

Das heißt: Zunächst war das Verhältnis Klimts zur Kunst der alten Griechen und Römer, das Natter mit dieser Ausstellung als Erster untersucht, noch ein vorwiegend nachahmendes – und vergleichsweise keusches. Das Stiegenhaus des Kunsthistorischen Museums schmückte er mit Allegorien, in frühen Blättern zitiert er etwa den Kapitolinischen Dornauszieher und den Musensarkopharg: Von beidem finden sich hier Gipsabdrücke, man kann also vergleichen.

Über allem wacht Pallas Athene

Später wurde Klimts Umgang mit den Vorbildern gelöster: Auf einem griechischen Mischgefäß ist etwa nur eine einsame Lyra zu sehen, sonst nichts, auch keinerlei Ornament. Dasselbe Schweben sieht Natter im Beethovenfries realisiert, von dem in der Orangerie Repliken zu sehen sind: Klimt arbeitete ab da mit der freien Fläche. Und seine Darstellung der Poesie wirkt wie eine freie Interpretation einer Kitharaspielerin auf einer Amphore aus dem fünften Jahrhundert vor Christus – das geht bis hin zur Armstellung.

Über die Antike bezog die Secession, die 1898 gegründet wurde, auch einen Teil der Legitimation: Man rief das „ver sacrum“ (den heiligen Frühling) aus, die Auseinandersetzung zwischen dem Künstlerhaus und der Secession wurde als Kampf Minotaurus gegen Theseus dargestellt, und über allem wachte Pallas Athene, die Göttin der Weisheit. Sie wurde, sagt Tobias Natter, zum Logo der Secession. Corporate Identity, meint er, kannte man schon damals.

Und schließlich die letzte Stufe der Annäherung – eben Lukian und seine „Hetärengespräche“ in der Ausgabe von 1907: Franz Blei hat sie neu übersetzt, Klimt illustriert, wobei illustriert vielleicht das falsche Wort ist. Die jungen Frauen, die wir hier sehen, stammen nicht aus dem antiken Griechenland, es sind deutlich Klimts Zeitgenossinnen. Er zeichnete sie mit zartem Strich, dabei sich ihrer Wirkung bewusst. Im Schlaf versunken. Mit sich selbst beschäftigt. Zuweilen äußerst gewagt. Die Antike nutzte Klimt hier wohl weniger als ästhetischen Impulsgeber denn in guter alter Tradition als Ausrede. So konnte er mit seinen erotischen Zeichnungen an die breitere Öffentlichkeit gehen.

Im letzten Raum schließlich finden sich weitere Blätter, darunter ein liegendes Paar, das fast in der Zeichnung zu verschwinden scheint. Davon hätten wir gern mehr gesehen, dafür hätten wir auf ein paar Fotos gern verzichtet.

„Klimt und die Antike – Erotische Begegnungen“: Orangerie im Unteren Belvedere, bis 8. Oktober.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.06.2017)

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