Alfred Hrdlicka: Der letzte Bilderhauer

Alfred Hrdlicka: Der letzte Bilderhauer
Alfred Hrdlicka: Der letzte Bilderhauer(c) EPA (Georg Hochmuth)
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Alfred Hrdlicka starb Samstagabend mit 81 Jahren in Wien. Das Ende eines exzessiven Lebens. Und ein Endpunkt in der österreichischen Kunstgeschichte. Mit ihm ging eine Tradition genialischer, männlicher Bildhauerei.

Sonntagvormittag vor der Albertina, Helmut-Zilk-Platz. Vor dem Mahnmal gegen Krieg und Faschismus, vor dem Tor der Gewalt, sammeln sich Touristengruppen. Ein junger Spanier lässt sich vor Hrdlickas schwerer Büste Dietrich Bonhoeffers digitalfotografieren. Die Geschichte des NS-Widerstandskämpfers? Keine Ahnung, den Jungen fasziniert mehr das abstehende Ohr, in das er scherzhaft zu kneifen scheint. Ein vertrockneter Kranz liegt vor dem „Straßenwaschenden Juden“. Im Hintergrund schwellen die Kirchenglocken an. Der Wiener Alltag ist längst achselzuckend über diesen einst so umkämpften Platz gewuchert, der über Nacht auch zum Denkmal des letzten, im Genie wie im Exzess megalomanen österreichischen Bildhauers geworden ist.

Nur wenige Luftmeter weiter, nur wenige Stunden zuvor, Samstagabend, ist eine der schillerndsten und polarisierendsten Figuren des Nachkriegs-Wien gestorben. Einer der berühmtesten Bildhauer im deutschen Sprachraum, Alfred Hrdlicka, in seiner Wohnung in der Dorotheergasse, im Beisein seiner Frau Angelina. Es wäre gelogen, hier das Wort „überraschend“ zu benutzen. Es schien schon ein Wunder, dass dieser künstlerische und menschliche Berserker seinen 80.Geburtstag voriges Jahr überhaupt noch erlebte. Viele glaubten ihn schon endgültig gebrochen. Doch für diese letzte Lebensfeier tauchte er noch einmal auf aus der Welt eines von Alkohol und Arbeit Verwüsteten.

Er klammerte sich an seine exzentrische Muse und durchschritt erhobenen Hauptes und Schnauzbarts das Aufgebot – rund zwanzig Ausstellungen hat sein treuer Galeristenfreund Ernst Hilger ihm zum Jubiläum organisiert. Bei der Geburtstagsfeier im Februar gratulierten der deutsche Politiker Oskar Lafontaine, der Hrdlicka als „heimlichen Pate der neuen Linken“ in Deutschland beschrieb. Auch Helmut Zilk war noch dabei, in dessen letzten Folge der Sendung „Lebenskünstler“ Hrdlicka zu Gast war, bei der ihm mehrmals die Tränen kamen, die Kamera respektvoll das Weite suchte.

Der von ihm selbst so benannte „Fall Flora“ hat Hrdlicka nie losgelassen, die junge Geliebte, eine unter vielen, nahm sich vor fast elf Jahren das Leben. Sie war dem so wüst Liebenden hörig, wollte ihn mit in den Tod nehmen, tat Gift in den Cognac. Doch sie unterschätzte seinen Lebenswillen, seine viehische Stärke. Vielleicht wäre diese ohne Alkohol ja auch nicht zu ertragen gewesen. Und so soff Hrdlicka das Zeug, den Wodka, seit seiner Jugend täglich und literweise, nicht nur wie Wasser, auch wie Kaffee, etwa bei Interviews am Vormittag.

Schnappschüsse des Pathos

Trotzdem diese unglaubliche Energie: Die lautstarken politischen Auseinandersetzungen, die der Marxist mit allen, inklusive „seiner“ KPÖ, führte, für die er sogar einmal als Spitzenkandidat in den Ring stieg. Die jahrzehntelange Lehrtätigkeit an vier Universitäten in Deutschland, an der Wiener Angewandten – „ich war überberufen“, jammerte er in der „Presse“ um diese Jahre, „ein Unterrichtstier“. Und dann der knochenzermürbende Kampf seiner eigenen Kunst, mit der Physis, mit den monströsen Steinen – es wundert nicht, dass gerade seine frühen geschundenen Körper der Nachkriegszeit, der späten 50er- und 60er-Jahre, die er roh und fragmentarisch, wie Schnappschüsse des Pathos, aus dem Marmor hieb, seine eindrucksvollsten Arbeiten sind.

Diese ausgemergelten und dennoch gestählten Körper – der große „Sterbende“ etwa, dessen linke Hand mächtig wie von Michelangelo ins Weltliche herunterzieht, während der zum Bogen gespannte Körper sich im Emporfahren schon aufzulösen scheint. Oder die vielen Versionen des gehäuteten Marsyas, für Hrdlicka ein Symbol antiautoritären Verhaltens, wie er es vorgelebt hat. Denn Faschismus, das betonte er immer wieder, war für ihn „Empirie“, er hat ihn erlebt.

Die Eltern Kommunisten, erlebte Hrdlicka seine erste Hausdurchsuchung mit fünf Jahren. Trotz heftigen Werbens der SS, folgte der Junge dem Vater in den Untergrund, überlebte mit Gelegenheitsjobs. Ausgebildet worden war er zum Zahntechniker, ein Umstand, der beim puren Gedanken an Hrdlickas Werk Panik hervorrufen kann. Es ist nur eines der vielen anderen Leben in diesem einzigen – wie auch das des Schachspielers, Hrdlicka beherrschte das Spiel meisterlich.

Letztendlich aber verschrieb Hrdlicka sich nur einem, der ewigen linken Revolution mithilfe der Kunst, der Bildhauerei vor allem, aber auch der Grafik und der Malerei. Jedes Bühnenbild, jeder große Grafikzyklus waren eine Gesinnungstat – gegen das Erbe des Faschismus und gegen die Klischees selbstzufriedener Vergessenheit. Auch wenn diese die Pornografie betrafen. Denn eines darf man bei aller Achtung vor dem humanistischen Überbau des Werks Hrdlickas nicht vergessen – er war der öffentliche Künstler des Fleisches wie Nitsch der des Blutes ist. Erotik, Sex, Geilheit nahm er in seiner Kunst, seinen Radierungen vor allem, aufs Korn, sie trieben ihn gleichzeitig aber auch an.

Ein letzter Skandal traf den bekennenden Atheisten und „Bibel-Trunkenen“ rechtzeitig zum Achtziger: Kardinal Schönborn ließ im Dommuseum Hrdlickas Version des Abendmahles nach Pier Paolo Pasolini abhängen, eine derbe Orgie unter Schwulen. Als „Trost“ wurde der Bildhauer mit einer Büste der von den Nazis hingerichteten Ordensfrau Restituta Kafka für die Barbarakapelle im Stephansdom beauftragt, ein Bronzerelief, denn in Stein konnte er zu seinem Leidwesen schon seit Jahren nicht mehr arbeiten, er war zu schwach, es blieb sein letzter, unerfüllter Wunsch.

Mit Hrdlickas Ende ist ein doppeltes in der österreichischen Kunstgeschichte erreicht – er war der letzte Dinosaurier einer ideologischen Kunst auf höchstem Niveau. „Kunst ist Arbeit“, war sein bewusst proletarisches Motto. Und er war das Relikt einer mächtigen, stark männlich dominierten, naturalistischen Bildhauertradition – ein Mann, ein Stein. Deren österreichische Linie, die von Anton Hannak über Fritz Wotruba reichte, ist jetzt mit Hrdlickas Tod abgerissen. Die letzten Worte hat Erich Fried vorweggenommen: „... wo das Wort so hart zuschlägt/wie der Meißel den Stein schlägt/dort war/oder ist/immer wieder/dieser Eine/am Werk/ das ihn/ überdauern wird.“

AUF EINEN BLICK

Alfred Hrdlicka wurde 1928 in Wien geboren. Seine Eltern waren Kommunisten, er tauchte wegen der Nazis unter. Nach dem Krieg studierte er an der Akademie u.a. Bildhauerei bei Wotruba. 1964 vertrat er Österreich bei der Biennale in Venedig, unterrichtete in Wien, Stuttgart, Hamburg, Berlin. Hrdlicka war auch ein gefragter Bühnenbildner (Faust, Nibelungen-Ring), arbeitete viel für den öffentlichen Raum, u.a. das Mahnmal gegen Krieg und Faschismus vor der Albertina (Abb.). [Bruckberger]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 7. Dezember 2009)

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