Holocaust-Vergleich bei der Documenta

Die Performance soll am Donnerstag im Kasseler Fridericianum stattfinden.
Die Performance soll am Donnerstag im Kasseler Fridericianum stattfinden.(c) APA/AFP/ANTON ROLAND LAUB
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„Auschwitz on the Beach“ ist der Name einer Performance, die die Documenta in Kassel ankündigte. Im Text: Salzwasser habe mittlerweile Zyklon B ersetzt.

„Er ist wieder da, der Holocaust-Vergleich“, kommentiert die „FAZ“ lapidar: Die Documenta in Kassel kündigt für Donnerstag eine Performance namens „Auschwitz on the Beach“ an, die auf einem Gedicht des italienischen Schriftstellers und Philosophen Franco Berardi basieren soll. Ob in diesem der Name des NS-Konzentrationslagers vorkommt, ist unbekannt, doch auf der Homepage der Documenta steht ein Text Berardis, der so beginnt: „Der Archipel der Schande und Niedertracht breitet sich überall im Mittelmeer aus. Auf ihren eigenen Territorien errichten die Europäer Konzentrationslager und bezahlen ihre Gauleiter in der Türkei, Libyen und Ägypten dafür, die Drecksarbeit entlang der Küsten des Mittelmeeres zu erledigen, wo Salzwasser mittlerweile das Zyklon B ersetzt hat.“ Und weiter unten: „Die Externalisierung der europäischen Grenzen bedeutet Ausrottung. Das Wort Ausrottung beschreibt trefflich die Stimmung und das Verhalten der Mehrheit der europäischen Bevölkerung und der politischen Aktionen der europäischen Regierungen.“

Kritik an der offenkundigen Relativierung der NS-Verbrechen wurde bereits laut. So forderte Charlotte Knobloch, Beauftragte des World Jewish Congress für Holocaust-Gedenken, eine Absage der Performance: „Die Flüchtlingsthematik mit Termini aus dem Kontext der systematischen nationalsozialistischen Judenverfolgung zu beschreiben ist unhaltbar, zeugt von unsäglichem Unwissen und entbehrt jeglichen Schamgefühls.“

„Das unberührbare Wort Auschwitz“

Der zuständige Documenta-Kurator, der Queer-Theoretiker Paul B. Breciado, bekannt als Autor des „Kontrasexuellen Manifests“, verteidigte „Auschwitz on the Beach“ so: „Ich denke nicht, dass Franco Berardi eine direkte Analogie zwischen den Konzentrationslagern und Lagern für Geflüchtete herstellt. Er nutzt das unberührbare Wort Auschwitz, um unser Gewissen zu wecken.“

Berardi, in den Sechzigerjahren aus der Kommunistischen Partei Italiens wegen „Fraktionismus“ ausgeschlossen, gilt als ein Vater der autonomen Bewegung Italiens, die sich für den „Arbeiterkampf“ engagierte. In den Achtzigerjahren arbeitete er mit Félix Guattari an einer alternativen Psychoanalyse, in den Neunzigern propagierte er den Cyberpunk. In seinem Buch „Helden. Über Massenmord und Suizid“ (2016) erklärte er Täter wie den Massenmörder Anders Breivik zu Opfern des Kapitalismus; in einem Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“ skizzierte er seine Analyse des Anschlags auf das World Trade Center 2001: „In unserer Welt regiert der Neoliberalismus, jeder steht mit jedem in Konkurrenz. Dieser ständige Druck kann psychische Krankheiten auslösen. Man muss den Tätern kein Verständnis entgegenbringen, aber man muss einsehen: Das sind Monster, die wir mitgeschaffen haben.“ Seinen Auschwitz-Vergleich begründet er nun so: „Das Unmenschliche ist zurück.“ (tk)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.08.2017)

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