Albertina: Bruegel, Wien und der Kannibalismus der Fische

„Die großen Fische fressen die kleinen“, Vorzeichnung von Pieter Bruegel mit Feder und Pinsel, 1556. Hier steht noch über dem Ruder seine Signatur. Im Kupferstich gab es der Verleger dann marketingtechnisch gefinkelt als „Erfindung“ von Hieronymus Bosch aus.
„Die großen Fische fressen die kleinen“, Vorzeichnung von Pieter Bruegel mit Feder und Pinsel, 1556. Hier steht noch über dem Ruder seine Signatur. Im Kupferstich gab es der Verleger dann marketingtechnisch gefinkelt als „Erfindung“ von Hieronymus Bosch aus.(c) Albertina, Wien
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Ein Jahr vor der großen Jubiläums-Ausstellung zu Pieter Bruegels 450. Todesjahr im KHM zeigt die Albertina ihre Bestände in einer intimen, sehr intensiven Schau. Wie diese Chance einer großen Kooperation vergeben wurde.

Das Bild ist nicht nur ein Schlüsselwerk der Bruegel-Rezeption, es steht auch sinnbildlich für Wiens Museumsszene: „Die großen Fische fressen die kleinen“ (siehe Abbildung). Trotz all der in dieser Kunst-Weltstadt versammelten Exzellenz scheint es in der derzeitigen Konstellation der Führungs-Persönlichkeiten nicht möglich, den Standort international so zu platzieren, wie er platziert werden könnte, auch touristisch, nämlich grandios.

Nehmen wir das Jahr 2018: Das Todesjahr unserer Aushängeschilder Gustav Klimt, Egon Schiele und Otto Wagner. Schon etwas von häuserübergreifenden Retrospektiven gehört? Eben. Dabei hätte man – wie es das niederländische Städtchen S'Hertogenbosch 2016 zu Hieronymus Boschs 500. Todestag vorbildlich geschafft hat – Wien 2018 zusätzlich auch als große Bruegel-Stadt inszenieren können, jährt sich doch sein Todesjahr zum 450. Mal. Das wird das KHM nächsten Herbst allerdings im Alleingang stemmen müssen. Was möglich ist, verwahrt man hier doch die weltgrößte Gemälde-Sammlung Bruegels, die auf dieses Datum hin penibel aufgearbeitet und (per Röntgen) durchleuchtet wird.

Seit Jahren durchforstet auch Albertina-Kuratorin Eva Michel die grafischen Bruegel-Bestände ihres Museums, wo ein Zehntel aller erhaltenen Handzeichnungen des niederländischen Renaissance-Stars zu finden ist, ganze sechs Stück. Und, wie Michel feststellen konnte, das gesamte, rund 100 Motive reiche druckgrafische Werk Bruegels gleich in mehrfachen Ausführungen. Die Idee einer gemeinsamen Sache von KHM und Albertina zerschlug sich jedenfalls. Was Albertina-Direktor Klaus Albrecht Schröder bei der gestrigen Presseführung mit unlösbaren Differenzen der beiden Häuser über die kuratorischen Konzepte erklärte (was das KHM auf Nachfrage bestätigte).

Erst ein einziges Mal alle Zeichnungen

So musste die Albertina, in diesem Fall der kleinere Fisch, auf das weltweite Einsammeln von Bruegels zeichnerischem Gesamtwerk verzichten – was übrigens erst einmal, 2001, im Metropolitan Museum in New York und im Bojmans Van Beuningen in Rotterdam (fast) gelang. Man konzentrierte sich auf eigene Bestände (inklusive 14 Leihgaben), was zu einer intensiven Kabinett-Ausstellung in den Tietze-Galerien im obersten Stock führte. Und das „Bruegel-Jahr“ 2018 somit „einläutet“. (In dem man – parallel zum Bruegel im KHM – in der Albertina ausgerechnet Dürer zeigt, wie man auf der Homepage liest).

Soviel zu den großen und kleinen Fischen. Die Federzeichnung Bruegels stammt aus seinem Frühwerk, aus 1556. Bruegel ist damals um die 30, hat gerade eine Italienreise beendet, sich gerade als Meister in Antwerpen niedergelassen, der damaligen Wirtschaftsmetropole Europas (ein in der Albertina jetzt erstmals ausgestellter Panorama-Stich zeigt deren Kirchturm-„Skyline“ zu Bruegels Zeit). Und gerade hat er angefangen, hier mit dem Verleger Hieronymus Cock an seiner Karriere zu arbeiten (die als Maler startete er erst später). Erst ging es ans Geld verdienen, und das tat er mit populären humoristischen bis gesellschaftskritischen Stichen in Auflagen von 2000 Stück – im Stil von Hieronymus Bosch. So kam es auch, dass der Kupferstich der fischefressenden Fische vom Verleger tatsächlich mit „Bosch“ signiert wurde. Wohingegen auf der in der Albertina befindlichen Vorzeichnung an gleicher Stelle noch eindeutig „Brueghel“ zu lesen ist.

Bald jedoch war Bruegel eine eigene Marke, wenn er auch den Titel „neuer Bosch“ behielt. Spielerisch zitiert er bewusst die Figuren, Monster und Drolerien Boschs, der über zehn Jahre vor Bruegels Geburt gestorben ist. Ein bewusster Rückgriff, um die Grausamkeiten seiner Zeit – Inquisition, Bildersturm, Aufstände – zu kommentieren. Im Unterschied zu Bosch, wo das Böse vorwiegend auf die Hölle beschränkt war, säkularisierte es Bruegel, plötzlich war es mitten unter uns, so Kuratorin Eva Michel.

Das intime, schummrig ausgeleuchtete Format der Ausstellung (80 Werke) tut dem Verständnis der Vorbilder und des künstlerischen Wollens Bruegels fern aller touristischen Überlegungen jedenfalls gut. Man sieht die großen Qualitätsunterschiede bei den Kupferstechern. Man sieht sich ein bei seinen Errungenschaften in der Landschaftsdarstellung, bei der er näher heran ging als andere (wie er es auch bei den bäuerlichen Genreszenen tat, ganz der „Bauernbruegel“ eben). Man begegnet diesem genialen Künstler, der nur knapp über 40 wurde, zwar nie auf Augenhöhe (ein Selbstporträt hat sich nicht erhalten). Aber spürt seine sich zuletzt gar ins Wagemutige aufschwingende Kraft in einer seiner letzten Zeichnungen, dem „Sommer“ (1568, aus der Hamburger Kunsthalle): Einem Kalenderblatt, bei dem Sense und Fuß des trunkenen Jünglings plötzlich den Bildrand überschreiten, hineinstechen in unsere Gegenwart. Bis dahin reicht auch sein Selbstverständnis als melancholischer Schöpfer in kapitalistischen Zeiten, das er in der Zeichnung „Maler und Käufer“ festhielt: Man sieht einen Künstler bei der Arbeit, mit finsterem Gesicht und strubbeligem Haar. Hinter seinem Rücken der Sammler, den Mund vor Erwartung leicht geöffnet, die Hand schon am Geldbeutel. Das Klischee lebt. Hier liegt sein Ursprung.

Bruegel. Das Zeichnen der Welt, 8. 9. bis 3. 12, tägl. 10–18h, Mi. 10–21h.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.09.2017)

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