Hannah Rieger: "Art brut ist mehr als Gugging"

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Die ehemalige Bankerin Hannah Rieger ist eine der wenigen Art brut sammelnden Frauen in Österreich. In Krems stellt sie erstmals ihre Sammlung aus.

Einst schwirrten durch diese Gewölbe die Träume von Mönchen, jetzt hängen in dem ehemaligen Schlafsaal des Kremser Dominikanerklosters Bilder, die direkt aus diesem Unbewussten kamen, vielleicht direkter als bei anderen Künstlern – derart interpretiert man jedenfalls gern die „Kunst der Geisteskranken“, wie das früher hieß. Ein natürlich nicht mehr korrekter Begriff, heute ist das, was man hierzulande mit Gugging in der Kunst assoziiert, ein (wichtiger) Teil der internationalen „Outsider-Art“.

Rund um dieses historisch gewachsene Gugginger Zentrum, das durchaus auch eines mit Marktmacht ist, gruppierten sich hierzulande einige große Sammler, die sich der Art brut, so der von Jean Dubuffet geprägte Name, der hier hochgehalten wird, leidenschaftlich widmen: Der Maler Arnulf Rainer ist ein solcher, andere sind der Unternehmensberater Helmut Zambo oder Novomatic-Generaldirektor Franz Wohlfahrt.

„Dagegen bin ich mit meinen 450 Werken eine kleine Sammlerin“, meint Hannah Rieger. Die ehemalige Bankerin (Investkredit) ist eine der wenigen Kunst- und eine der noch exotischeren bzw. diskreteren Art-brut-Sammlerinnen des Landes. Erstmals gibt sie hier im Kremser Stadtmuseum auf Einladung der 20. Globart Academy einen umfassenden Einblick in ihre Kollektion, mit 123 Werken von 17 Künstlerinnen und 40 Künstlern, kuratiert von Monika Jagdfeld, der Direktorin des St. Gallener Museums im Lagerhaus. Die beiden Schwerpunkte von Riegers Sammlung ergaben sich fast logisch, liegen sie einerseits im Lokalen, auf den Gugginger Künstlern, andererseits auf Künstlerinnen, die in der Art brut – „wie auch sonst in der Gesellschaft“, so Rieger – von ihren Kollegen an den Rand gedrängt würden.

Große Museen sollen Art brut zeigen

So jedenfalls erklärt sich Rieger die auffällige Unterzahl an Künstlerinnen in diversen Ausstellungen, auch in Gugging. Seit Langem schon warte sie auf eine Ausstellung speziell zu den Künstlerinnen dieser Kunstrichtung, die es sehr wohl gegeben habe. Wie man nicht zuletzt an dieser Sammlung erkennt. Rieger warte aber nicht nur darauf, dass das im Gugginger Museum einmal geschehe – „Art brut ist mehr als Gugging“, sagt sie und meint damit sowohl die unsere Wahrnehmung dominierenden, hier geförderten Künstler als auch den Museumsstandort. Einer ihrer großen Wünsche wäre, dass sich endlich ein großes österreichisches Museum des Themas annehmen würde. In der Nachhut der vergangenen zwei Biennalen Venedig, in denen Outsider-Künstler eine große Rolle spielten, wäre das aufgelegt.

Zwei der in Venedig vertretenen Künstler sind auch in Krems zu sehen: eine der großen roten Zeichnungen der berühmten chinesischen Art-brut-Künstlerin Guo Fengyi sowie abstrakte Blätter des Amerikaners Dan Miller. Rieger sammelt, was sie berührt, wie sie 1980 erstmals eine Zeichnung Tschirtners in einer Ausstellung im 20er-Haus berührt hat. Dafür reiste sie rund um die Welt, vernetzte sich in der Sammler-Community. Die hier herrschenden strengen Ausschlussregeln dafür, was als Art brut zu gelten habe, wären ihr egal. Wie auch die Wertsteigerung der vergangenen Jahre. Sie sehe sich als Mittlerin, sagt sie, ihr gehe es darum, diesen Künstlern den gleichen Rang wie „akademischen Künstlern“ zukommen zu lassen.

Besonders intensiv arbeitet sie dafür mit der einzigen im Gugginger Atelier arbeitenden Frau zusammen, Laila Bachtiar (*1971), von der mehrere Blätter aus dem malerischeren Frühwerk (siehe Abbildung) und einige der späteren schwarz-weißen Zeichnungen ausgestellt sind. Was zu „vielen großen weißen Lücken“ in ihrem Zuhause führte, „die mich schrecklich unglücklich machen“, so Rieger. Schließlich sei ihr Sammlerinnen-Motto „Living in Art brut“. Sie lebt nicht „nur“ mit der Kunst, sondern in ihr. Die Kunst infiltrierte auch ihr berufliches Leben nach der Investmentkreditbank: Die Ökonomin verdient zwar ihr Geld, das sie in Kunst und Indien-Reisen investiert, als freischaffender Coach in der Beraterszene, ist mittlerweile aber auch stellvertretende Vorsitzende des Universitätsrats der Angewandten in Wien.

Im Rückblick, meint sie, war es wohl kein Zufall, dass sie Kunst, vor allem Art brut, zu sammeln begann: Riegers Großonkel war der Schiele-Sammler Heinrich Rieger, der von den Nazis ermordet und dessen Sammlung zerstreut wurde. Schiele experimentierte mit der Gestik psychisch Kranker, die Expressionisten beschäftigten sich mit „naiver“ Kunst. Anders als ihr Großonkel es tat, möchte Rieger ihre Sammlung jedenfalls, so gut es geht, dokumentieren. Wozu sie ihr anlässlich der Einbettung in die Kremser Schlafsäle einen ausführlichen Katalog schenkte.

AUSSTELLUNGEN

„Leben in Art brut“ zeigt von heute bis 23. Oktober im „Museum Krems“, Körnermarkt 14, 123 Werke von rund 60 Künstlern aus der Sammlung von Hannah Rieger. Tägl. 11–18h.

Im Museum Gugging sind ebenfalls ab heute neue Ausstellungen von Karl Vondal und Johann Garber zu sehen. Bis 7. Jänner. In der Sommerzeit noch von Dienstag bis Sonntag, 10–18h.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.09.2017)

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