Kunsthalle Wien: Im Schlaraffenland der Kunst-Nerds

Drei Ziegeldächer dienen in der Kunsthalle als Regale für Hunderte Kunst-Publikationen. Überfliegen wäre eine Assoziation dazu.
Drei Ziegeldächer dienen in der Kunsthalle als Regale für Hunderte Kunst-Publikationen. Überfliegen wäre eine Assoziation dazu.(c) Stephan Wyckoff
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Die Ausstellung „Publishing as artistic Toolbox“ ist so fad, wie sie klingt. Für die Laufkundschaft. Für Künstler und ihre Fans ist sie wohl Papier gewordenes Paradies.

Dem nerdigen Beiprogramm von Biennalen und Kunstmessen – den avantgardistischen Bookshops und den Unmengen gratis verteilter Künstler-Drucksorten vor ihren Türen – widmet die Kunsthalle Wien jetzt eine Hauptausstellung. Auf einer sehr bemerkenswerten Ausstellungsarchitektur der Design-Studios Rio Grande und Dallas, die drei Reihen roter Ziegeldächer als Buchregale in die untere Kunsthalle bauten, werden Hunderte Künstler-Publikationen präsentiert. Die meisten kann man von den Dachschindeln klauben und in ihnen blättern, heiklere Exemplare sind mit Plexiglas abgeschirmt. Der Zeitraum wurde eingeschränkt, auf die letzten 20 Jahre in etwa, beginnend mit 1989, dem Aufkommen des Internets. Sonst wäre man ins Historische geglitten, denn seit Dada ist das Publizieren bei Künstlern groß in Mode. Das Ergebnis ist meist mühsam – grafisch und inhaltlich. Es sind Fanprodukte für die Szene.

Dem trägt diese Ausstellung nicht nur Rechnung, sondern überzeichnet diese Meta-Ebene noch, indem Kurator Luca lo Pinto zusätzlich Experten zur Mitarbeit bat, so findet man elf subjektive Kapiteln u. a. zu Künstler-Magazin, Künstler-Interventionen in Massenmedien oder zu Künstler-Buchtipps. Dafür wurden internationale Künstler, teils aus dem Kunsthallen-Programm, gebeten, ihre drei Bücher auszustellen, die ihre Sicht auf das Thema Publizieren verändert haben. Die Show-Off-Sektion der Szene, hier wird subtil geprotzt mit Intellekt, Subversivität und Nischen-Spezialismus. Für einen Normalbesucher unzugänglich, kennt der doch meist nicht einmal das Werk des befragten Künstlers, in das die Lieblings-Fachlektüre angeblich Einblick geben soll.

So liest man weniger, als dass man die Hausdächer mit den Namedropping-Ziegeln überfliegt. Ein wohl unbewusst passendes Bild: Sind rote Ziegeldächer doch Inbegriff des Häuslichen, des Cocooning, des Abschottens. Eigentlich das Gegenteil von dem, was Veröffentlichen heißt. Sagt eh alles aus.

„Der Antist“ kommt nicht vor

Es wundert nicht, dass eines der provokantesten Künstler-Magazine der jüngsten Wiener Zeit nicht hier vorkommt – zu wienerisch? Zu wenig Mainstream-links? Es ist aber ein Zufall, dass „Der Antist“ von Lukas Pusch und Tomak, in dem „ein anarchisches Mißtrauen gegen den Staat und die Institution Kunst“ vertreten wird, gerade heute, parallel zum Start der Kunsthallen-Schau, in der Galerie Knoll seine erste Gruppen-Ausstellung eröffnet. Eine ungewollte Dependance. Eine gewollte ist ein ehemaliges Privat-Atelier von Franz West in der Innenstadt, das zuletzt seine Frau Timuna Sirbiladze nutzte. Man kann es im Zuge der Kunsthallen-Ausstellung erstmals bei Führungen besuchen. Vor Ort haben Künstler mit der Bibliothek Wests gearbeitet. Man muss die Eingriffe in die einzelnen Bücher selbst suchen in den West-Regalen. Man kann sich aber auch einfach umschauen und Atelierluft schnuppern.

Publishing as an Artistic Toolbox: 1989-2017, Kunsthalle Wien im MQ, bis 28.1., tägl. 11-19 Uhr, Do. 11-21 Uhr. Der Antist, Eröffnung heute, 19h, Knoll Galerie, Gumpendorfer Straße 18.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.11.2017)

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