Belvedere: Was für Frauen! Was für Kunstgeschichten!

Roter Faden der Schau ist Broncia Koller-Pinells Werk. Hier: „Silvia Koller mit Vogelkäfig“, 1907/08.
Roter Faden der Schau ist Broncia Koller-Pinells Werk. Hier: „Silvia Koller mit Vogelkäfig“, 1907/08.Slg. Eisenberger]
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Die lang erwartete Ausstellung „Stadt der Frauen“, die endlich die vielen Wien-um-1900-Künstlerinnen in einem großen Überblick vorstellt, ist so epochal geworden, wie man es sich wünschen durfte. Ewig gestrig, wer das versäumt.

Es fängt so völlig anders an, als man sich das von einer „Frauenausstellung“ erwarten würde. Einer „Frauenausstellung“, diesem mit so unglücklicher Opfergeschichte belegten Unwort. Also nicht zierlich, detailverliebt, zögerlich, gar schön. Sondern mit voller Wucht. Mit monumentaler Bildhauerei eines Stars der Wiener Kunstszene um 1900, den heute – Schande! – nur Fachleute kennen: Teresa Feodorowna Ries.

1874 in Moskau geboren, flog sie dort wegen unbotmäßigen Benehmens von der Kunstakademie, ging nach Wien, wo sie gezwungenermaßen Privatunterricht nahm und die Kunstszene rockte, muss man sagen. Ihr Foto zeigt sie als wahre Diva, ihre teilweise überlebensgroßen Skulpturen zeigen sie als exzentrische Künstlerin: eine extrem starke, in sich eingerollte Marmor-Eva, eine wilde Hexe, die sich für die Walpurgisnacht gerade die Zehennägel manikürt, eine Schlafwandlerin, für die das Dienstmädchen Modell stehen musste, das sich in größter natürlicher Eleganz aus dem rohen Stein löst.

Die Fratze der Hexe löste bei der ersten Ausstellung von Ries im Künstlerhaus 1896 einen Skandal aus. Der beste Einstieg, schon damals – die Russin konnte sich eine eigenständige Karriere aufbauen, sie malte auch in groben Hieben, sich selbst etwa mit steinhartem Blick. Gemeinsam mit u. a. Olga Wisinger-Florian gehörte sie zur Gruppe der „Acht Künstlerinnen“, Klimt himself suchte sie im Atelier auf, um sie zur Secessions-Ausstellung einzuladen. Ab 1906 befand sich dieses Atelier in einem Nebengebäude des Palais Liechtenstein. 1938 wurde es von der SS geräumt, 1942 emigrierte sie in die Schweiz.

Klimts Lebenslauf ist dagegen fad

Was für eine Geschichte. Eine von 60 ähnlich spannenden, wenn nicht spannenderen, die einem Kuratorin Sabine Fellner hier als Ergebnis extrem aufwendiger Recherchen serviert, gefügt zu einer epochalen Ausstellung, die der männlich besetzten Moderne ihre nicht unbedingt bessere, aber fehlende Hälfte schenkt. Gegen diese Künstlerinnenleben lesen sich Lebensläufe von Klimt, Schiele, ja Kokoschka fast langweilig. Allein Friedl Dicker-Brandeis, die Kommunistin, Innenarchitektin und visionäre Malerin, die von ihrem verheirateten Partner zu Abtreibungen gezwungen wurde, vor den Nazis floh, ihren Cousin heiratete, in Auschwitz mit Kindern malte, sich wissentlich zur Ermordung meldete. Ihr Schicksal ist so intensiv wie ihre Bilder, die man selten in dieser Qualität versammelt hat. Im Nebenraum eine Amazone anderen Formats: Stephanie Hollenstein, die lesbische, pathetisch-expressive Malerin, die als Mann verkleidet in den Ersten Weltkrieg zog, enttarnt zur Kriegsmalerin wurde und dann früh der NSDAP beitrat. Neben ihren Kriegsbildern hängt die frühe Ahnung der 1900 in Wien geborenen Bauhaus-Schülerin Trude Waehner. In dieser Zeichnung sah sie 1932 die „Zukunft der Jugend“ voraus: lauter Skelette, mit Hakenkreuzhelmen auf dem Kopf.

Wo anfangen, wo aufhören mit der Hebung dieser großteils unbekannten Schicksale? Bei einer Femme fatale der Neuen Sachlichkeit wie Mariette Lydis? Der als „malende Hausfrau“ bezeichneten Klimt-Vertrauten Broncia Koller-Pinell, deren Werk, das immer das Neue suchte, wie ein roter Faden durch die Ausstellung führt? Wie diese Werkfragmente, die den Kriegen, der Unwissenheit nur knapp entkommen konnten, einordnen? Von nur wenigen der Künstlerinnen hier, von Stars wie der Pionierin Tina Blau etwa, existieren Werkverzeichnisse. Trotzdem darf man sich keine Illusionen machen, sie werden hier auch nirgends bewusst genährt: Dem Genie eines Klimt, eines Schiele kann keine das Wasser reichen. Aber welcher Kollege konnte das schon? Dennoch wurden die teilweise nur mediokren Herren und ihre Werke von Kunstgeschichte und Kunsthandel bewahrt.

Können Frauen überhaupt kreativ sein?

Man darf nicht vergessen: Bis in die 1930er-Jahre diskutierte man noch, ob Frauen überhaupt eine Seele haben (Otto Weininger) bzw. zu kreativer Eigenleistung fähig wären. Bis 1920 waren Frauen als ordentliche Studierende auf der Kunstakademie nicht zugelassen. Auch in den Künstlervereinigungen blieb ihnen die Mitgliedschaft verwehrt, mögen sie noch so Avantgarde gewesen sein wie Hagenbund oder Secession – sie blieben Gäste, wenn auch gern gesehene. Etwa bei der Kunstschau 1908, der Statement-Ausstellung der Klimt-Gruppe: Ein Drittel der Eingeladenen war weiblich. Eine Quote, die auch heute in Galerien und musealen Ausstellungen durchaus üblich ist.

Es war also ein fulminanter feministischer Aufbruch. Die Künstlerinnen organisierten sich, im Verein der bildenden Künstlerinnen Österreichs (VBKÖ), von dem sich 1926 unter Führung einer der besten Holzschnitt-Künstlerinnen ihrer Zeit, der völlig vergessenen Fanny Harlfinger-Zakucka, die „Wiener Frauenkunst“ abspaltete. Hier konzentrierte man sich auf den Alltag infiltrierende Ausstellungen, die Design, Kunst, Architektur umspannten. Eines der Kataloghefte hat Fellner im Faksimile aufgelegt: „Wie die Frau sieht“, mit so unterschiedlichen Statements wie denen von Rosa Mayreder und Reichskunstwart Redslob. Hier sitzt man, liest, schaut und grübelt, was sich seither verändert hat. Jedenfalls die Offenheit, all das sogar im schmalsten Heft zu vereinen.

„Stadt der Frauen“, bis 19. Mai, Unteres Belvedere, täglich, 10–18 Uhr, Fr. bis 21 Uhr.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.01.2019)

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