Galerienrundgang: Weil Zeichnung Liebe ist

Weil Zeichnung Liebe
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Die Zeichnung feiert ein Comeback: In Wien startet am Donnerstag ein neuer Spezial-Galerienrundgang mit 21 Teilnehmern. Die Galerie Georg Kargl zieht unabhängig davon eine fantastische "Fine Line".

Ein Kritiker in meinem Haus sieht ein paar Gemälde. Außerordentlich verstört fragt er nach meinen Zeichnungen. Meine Zeichnungen? Nie! Sie sind meine Briefe, meine Geheimnisse.“ Paul Gauguin wäre wohl dementsprechend entsetzt gewesen, seine intimsten Gedanken in Messekojen von Grafik-Kunstmessen oder in Galerieausstellungen anlässlich groß angelegter Grafikrundgänge dem gemeinen Publikum vorgesetzt zu finden. Er muss es immerhin nicht mehr erleben.

Die Zeichnung feiert dieser Krisentage ein Comeback auf dem Kunstmarkt, ist man fast versucht zu sagen. „Die Zeichnung hat die Turbulenzen der vergangenen 18 Monate besser überstanden als irgendein anderes künstlerisches Medium“, kommentierte der Branchendienst „artprice.com“ eine Statistik. Die zeigt, dass der Wert von Zeichnungen um nur elf Prozent gefallen ist – im Vergleich zum Absturz des globalen Kunstpreisindex um ganze 36 Prozent zwischen Jänner 2008 und Oktober 2009. Und in diesem Jahr weist die Statistik für die Zeichnung sogar wieder einen eindeutigen Trend nach oben aus.

Neuer Rundgang „Zeichnung Wien“. Nicht zuletzt auch in Museen und Kunstvereinen bekamen Papierarbeiten wieder mehr Aufmerksamkeit. Auf bedeutenden internationalen Kunstmessen wie der Tefaf in Maastricht entstanden eigene Grafiksektionen. In der Albertina wurde voriges Jahr die erste Grafikkunstmesse abgehalten. 21 Wiener Galerien haben sich jetzt zu einem gemeinsamen, dezidiert der Zeichnung gewidmeten Rundgang zusammengeschlossen, der kommenden Donnerstag beginnt.

Und einer der renommiertesten Wiener Galeristen, Georg Kargl, setzte von diesem ganzen Wirbel unbeeindruckt die herausragende Gruppenausstellung „Fine Line“ von Zeichnungen älterer und jüngerer Künstler wie Maria Lassnig, Elizabeth Peyton, Raymond Pettibon oder Nedko Solakov aufs Programm. „Es liegt eben in der Luft“, meint er zu dieser Häufung nur lapidar. Erstaunliche Entdeckungen sind hier zu machen: Gerwald Rockenschaub etwa, bekannt für seine harten abstrakten Pop-Geometrien. Er hat in den 80er-Jahren auch gezeichnet! Und zwar in einer dichten, urigen Manier, die an Gugging und Keith Haring gleichermaßen erinnert. Oder die abstrakten Brandzeichnungen des 1930 geborenen Wieners Erwin Thorn, die ironisch invertierte Augenspiele Victor Vasarelys sein könnten.

Zeichnung ist mehr als Blei auf Papier. „Fine Line“ zeigt, dass Zeichnung nicht nur heute, sondern schon lange nicht mehr nur eine Skizze mit Bleistift auf Papier ist: Sie kann auch ein Umriss aus Eisen im Raum sein, wie es Oswald Oberhuber und Christoph Weber vorführen. Aber auch Liddy Scheffknecht, die Ähnliches entlarvt, wenn sie am Computer Baugerüste freistellt. Eine Zeichnung kann aber auch eine Linie sein, die Magnete in Metallstaub ziehen (Attila Csörgö). Experimentierfeld radikaler Selbstverstümmelung, wenn Günter Brus sich als Menschenknäuel an die Steckdose anschließt. Eine reizend komische Kurzgeschichte des Neides („Envy“), wie Nedko Solakov sie uns schenkte: „Envy“ hat nämlich seit seiner Erfindung ein gravierendes internes Problem. Der Buchstabe „v“ ist auf seinen direkten Nachbarn „y“ äußerst neidisch...

Mehr Muße zum Schauen. Vorbei also die Nebenwirkungen des Kunstmarkt-„Booms“ der Nullerjahre, der immer stärker, immer schneller von sensationsheischenden, hochglänzenden Riesenformaten immer gleicher Künstler getrieben wurde? Zumindest bleibt jetzt, in der Flaute, wieder mehr Muße zum Schauen, Gustieren, Versinken. Nicht zu vernachlässigen ist aber auch der niedrigere Preis von Papierarbeiten. Wobei diese Aussage natürlich relativ ist: Eine der so skurrilen wie unheimlichen Zeichnungen des jungen Moussa Kone kostet bei Kargl 825 Euro. Ein gleichformatiges Mädchenporträt der renommierten Elizabeth Peyton dagegen schon 22.000 Euro.

Der vergleichsweise niedrige Preis ist aber nur eine Seite der Medaille, die die Zeichnung in der Krise verliehen wird, bestätigt der Wiener Galerist Manfred M. Lang, der den Rundgang „Zeichnung Wien“ organisiert: „Echte Sammler wollen auch in der Krise weiterkaufen und weichen deshalb auf die günstigere Zeichnung aus. Investoren allerdings suchen gerade jetzt möglichst teure Kunst, da diese beständiger ist als eine Aktie.“

Lang ist vor derlei zeitgeistigen Umtrieben jedenfalls gefeit. Seine Liebe gehört seit Jahrzehnten der Zeichnung. Dementsprechend positiv fällt seine Beschreibung des typischen Grafiksammlers aus: „Er ist treuer und hat mehr Liebe zum Werk.“ Als Einsteiger sollte man sich von „Voodoo-Theorien“ nicht abschrecken lassen. Etwa dass man Zeichnungen einmal im Jahr „lüften“ müsse, so Lang. Bei der Verglasung sollte man trotzdem nicht sparen (spiegelfrei, UV-abweisend) und auf säurefreie Kleber und Passepartouts achten. Heizungsluft und Sonneneinstrahlung sind ebenfalls zu vermeiden.

Vorbild London. Mit dem – nach dem Vorbild der Londoner „Master Drawings Week“ gegründeten – Galerienrundgang will Lang jetzt in Wien der Zeichnung „jenen zentralen Stellenwert bieten, der ihr zusteht“. Trotzdem war er überrascht, dass so viele Kollegen so schnell zusagten und halfen, 16.000 Einladungen zu verschicken. Die meisten tun sich sogar die Mühe an, für die drei Tage neue Ausstellungen zu hängen. Kurator Peter Weiermair etwa soll in der Galerie Krinzinger die „Aktualität eines Mediums“ beweisen. Die Galerie Mauroner verlegt sich auf die Schönheit („La beauté du dessin“). Wolfgang Exner zeigt Adolf Frohner und Martha Jungwirth. Und bei Robert Keil findet man als einzigem auch ältere Werke – nämlich aus vier Jahrhunderten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.04.2010)

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