Moderne Werbewelt begann mit dem Schaufenster

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Die Fotoausstellung über "Windowshopping" im Wien-Museum als Startschuss für den Massenkonsum. Erstaunlich, was alles im Schaufenster an Kulturgeschichte steckt. Auch ein trauriges Thema wird abgehandelt.

Windowshopping, da denkt man an das, was man anschauen, sich aber nicht leisten kann – und an die kommende Shopping-Hauptsaison, die Vorweihnachtszeit. Beides war freilich sekundär für die Überlegung des Wien-Museums, eine Fotogeschichte des Schaufensters zu präsentieren. Es ging schlicht um einen Beitrag zum Monat der Fotografie (bis 4.Dezember).

Erstaunlich, was alles im Schaufenster an Kulturgeschichte steckt: Dort erprobte sich die Reklame. Es ersetzte das Fernsehen. Es warb für alle noch weithin unbekannten Produkte, die der Mensch im heraufdämmernden Zeitalter des Massenkonsums glauben sollte, haben zu müssen. Küchenmaschinen, Spielzeug, Möbel. Hauptzielgruppe war zunächst die bürgerliche Frau, die noch keinen Beruf hatte und also – Kinder und Haushalt erledigte im Idealfall das Personal – reichlich Freizeit, die sie anders als in früheren Jahrhunderten ohne männlichen Schutz verbringen durfte: zum Beispiel in den Modesalons.

Die ersten Geschäfte mit Schaufenstern waren im 19.Jahrhundert Luxusläden am Graben oder am Kohlmarkt. Sie konnten sich die kostspieligen Verglasungen leisten, zunächst waren sie mit Holzrippen unterteilt, mit wachsender Verbesserung der Technologie wurden die Glaselemente immer größer. Wiens Geschäftsleute eiferten England, Frankreich nach.

Neben Glas war die zweitwichtigste Technologie die Elektrizität: 1895 gab es in Europa 148 Kraftwerke, 1913 waren es bereits 4040, wobei am Beginn nur bestimmte Teile in den Städten wie Inseln erleuchtet waren, vor allem die Theater, wo katastrophale Brände durch Öl- und Gasbeleuchtung dazu führten, dass Elektrifizierungen am frühesten stattfanden.

Die visuellen Sensationen, die der Überfluss der Waren in wie von Zauberhand entfachtem hellem Licht für die Betrachter bedeuteten, kann man sich heute kaum mehr vorstellen. Der expressionistische Wiener Schriftsteller Robert Müller erzählt die Geschichte von Irmelin Rose, die mit ihrem Mann vom Land in die Stadt kommt: „Gierig stürzten ihre Augen sich in Schönheit, badeten sich in Glanz und Buntheit. Ein Gefälle fantastisch roter Seide, ein zerwühlter Sprudel von Bauschen, Pludern, Falten, ein Schauer von Lichtern, sprunghaft schillernden Reflexen ergoss sich von der Höhe...“

Unfalltod nach Kaufrausch

Für Irmelin endet der Schau- und Kaufrausch tödlich. Sie und ihr Begleiter werden im Getümmel auseinandergetrieben, abgedrängt, von einer elektrischen Straßenbahn überrollt und getötet. In die frühen Erzählungen von modernen Städten mischte sich immer auch reichlich böse Dämonie.

Die meisten der Fotos im Wien-Museum wirken eher anheimelnd nostalgisch. Unvorstellbar, dass man in einem winzigen, schäbigen Geschäft Mode verkaufen konnte. Mancher wird sich auch noch an die prunkvollen, mit Holz vertäfelten Läden in Wien erinnern, in denen man Globen, Fotos, Geschirr, Wäsche kaufen konnte. Lang ist es her, dass in Geschäften noch etwas produziert, die Schaufenster von Dekorateuren individuell gestaltet wurden. Schaufensterdekorateur, einst nach Friseur der zweitgefragteste Job für Mädchen, ist heute nicht einmal mehr ein eigener Lehrberuf. Heute kommt die Mode aus der globalen Massenproduktion – auch die Werbekampagnen werden zentral hergestellt. Produziert werden die Textilien in fernen Ländern unter sozialen Bedingungen, die womöglich noch schlechter sind als jene in den Nähateliers der nur angeblich guten alten Zeit.

Verschwunden sind auch weitgehend die auf Fotos verewigten Delikatessengeschäfte: Interessant, dass die Kolonialwaren nichts mit den Koloniakübeln zu tun haben, in denen sie mitunter endeten: Die Koloniakübeln kamen ursprünglich aus Köln, wo sie erzeugt wurden – die Kolonialwaren dagegen kamen aus den Kolonien. Da hängen sie nun, die Gänse, türmen sich Zuckerwaren in den Schaufenstern, von denen die Menschen erst wegen allgemeiner Armut, dann wegen Kriegszeiten lange nur träumen konnten. Die kunstvollen Skulpturen im Demel-Schaufenster werden viele Wiener noch im Kopf haben.

Nur kursorisch wird in der Schau ein trauriges Thema abgehandelt: die Plünderung und Vernichtung jüdischer Geschäfte in der NS-Zeit. Hakenkreuze prangen an Wänden und einer nicht näher erläuterten „Zellwollschau“ in der Gumpendorfer Straße (1938). Das Wien-Museum sollte bei seinen Ausstellungen auch düstere Seiten der Historie stärker beleuchten.

Auf einen Blick

„Windowshopping“, eine Fotogeschichte des Schaufensters, ist bis 13.März 2011 im Wien-Museum zu sehen. Die Wiener Einkaufsstraßen sponsern die Schau. Es geht um die Entwicklung des Schaufensters als wichtiger Reklameträger und „Leimrute“ für Konsumenten.
Geöffnet: Di bis So, Feiertag, 10–18Uhr. Eintritt: 6Euro. Der Katalog kostet 15Euro.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.11.2010)

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