Gustav Mahlers Leid an der Seine

(C) Gesellschaft der Musikfreunde (Wien)
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Die Gesellschaft der Musikfreunde bestückt eine exzellente Pariser Mahler-Schau mit Leihgaben, die auch in Wien noch nie zu sehen waren. Mahlers Welt nimmt unausweichlich gefangen.

Gustav Mahler in Paris – das sorgt für Menschenschlangen vor dem Haus. Diesfalls nicht vor einem Konzertsaal, sondern vor einem Museum. Das Musée d'Orsay lud Montag zur Eröffnung einer Ausstellung, die tausende Interessenten schon zum Einstandstermin lockte. Das Publikum, das Mahlers Symphonien und Lieder mit Begeisterung hört, ist auch bereit, sich stundenlang anzustellen, um dem Menschen Mahler auf die Spur zu kommen.

Solche Forschungsarbeit ermöglicht den Musikfreunden der französischen Hauptstadt eine Schau mit 150 ausgewählten Exponaten. Zu einem kleinen Teil hat sie erwartungsgemäß der französische Mahler-Experte Henri Louis de la Grange bestückt. Der Löwenanteil der Manuskripte, Fotografien, Gemälde und Zeitdokumente kommt allerdings aus Wien. Otto Biba und Ingrid Fuchs vom Archiv der Gesellschaft der Musikfreunde breiten in Paris ihre Schätze aus: Eine Präsentation von Mahleriana, die auch in Wien noch nie – jedenfalls nicht in dieser Kombination – zu sehen waren.

Aufregende Konfrontationen

Aufschlussreich bereits die Gegenüberstellungen von Bühnenbild- und Kostümskizzen aus den Sammlungen des Theatermuseums (das den Nachlass von Alfred Roller beherbergt) und des Musikvereins, dessen Sammlung von Skizzen und Entwürfen Heinrich Leflers für Aufführungen der Hofopern-Ära Mahlers erstmals den legendären Bildern Rollers gegenübergestellt werden. Eine beachtliche Bereicherung der theaterhistorischen Anschauung, war doch Lefler als Ausstattungschef weit intensiver als Roller mit dem Direktor Mahler verbunden.

Völlig neu, weil erst seit Kurzem der Musikvereins-Sammlung einverleibt, sind für den Betrachter fotografische Porträts der Wagner-Heroine und treuen Mahler-Begleiterin Anna Bahr-Mildenburg. Ein Porträt Alma Mahlers demonstriert die liebevolle Aufbereitung der Pariser Schau durch die Wiener Gestalter. Im Archiv der Gesellschaft der Musikfreunde finden sich nämlich auch Rahmen aus der Jugendstil- und Art-déco-Zeit, die der Ausstellung singulär intimes Gepräge geben.

Im Zentrum des Interesses freilich: Mahlers Manuskripte. Ebenfalls erst seit Kurzem in der Wiener Sammlung finden sich Skizzenblätter zur Achten Symphonie. Fesselnd für alle, die des Notenlesens kundig sind: Die Konfrontation von Entwürfen und der endgültigen Partitur-Niederschrift eines Satzes aus dem „Lied von der Erde“, und natürlich die Partituren der Vierten und Sechsten Symphonie. Zwei Blätter aus der Neunten hat nebst mancher handschriftlichen Notiz des Komponisten Henri Louis de la Grange beigesteuert.

Die Vierte aus dem Autograf „mitlesen“

Für den Clou der Ausstellung aber sorgen wiederum die Wiener Leihgeber. Einzigartig in der Geschichte der Musikpräsentation dürfte die Anordnung der komplett faksimilierten Partitur der Vierten Symphonie als eine Art Manuskript-Zierleiste um die gesamte Schau herum sein. Der Interessent kann sich langsam an ihnen vorbei bewegen, während die von Jascha Horenstein dirigierte Aufnahme des Werks zu hören ist. Ein Lichtstrahl beleuchtet jeweils die aktuelle Partitur-Seite. Wer mag, kann also eine gesamte Symphonie lang in Mahlers Manuskript mitlesen.

Philharmoniker, Fink, Kirchschlager

Aber selbst, wer das nicht tut, wird kaum weniger als die 55 Minuten, die das dauern würde, im Musée d'Orsay verbringen. Mahlers Welt nimmt hier unausweichlich gefangen. Österreichische Beiträge zur musikalischen Umrahmung sind auch geplant. Die Ausstellung (bis 29. Mai) wird von Konzerten begleitet, die noch von Kurator Pierre Korzilius arrangiert wurden, bevor er kürzlich von seinem Posten im Pariser Museum auf den des Leiters des Institut français nach Düsseldorf wechselte. Unter den Mahler-Interpreten: „The Philharmonics“ (22. März), Bernarda Fink mit Solisten der Wiener Philharmoniker (24. März) und Angelika Kirchschlager mit Helmut Deutsch (31. März).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.03.2011)

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