Trutzige Thujen: Kunst im Schrebergarten

(c) Gisela Erlacher
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Eine Fotografin dokumentiert „Mikrolandschaften“. In Berlin werden Kunstobjekte in den Schrebergarten verpflanzt.

(c) Gisela Erlacher
(c) Harry Schnitger
(c) Harry Schnitger

Wegen neugierige Blicke wirken sie sowieso, aber auch gegen die bösen. Und natürlich gegen ebensolche Absichten. Hinter den Hecken verschanzt sich die Welt des Kleinbürgertums vor jenen, die ihr vermeintlich nichts Gutes wollen. Auch die Kunst geht mit Spießigkeit und ihren Symbolen meist nicht ganz zimperlich um. Da lassen Künstler schon mal Gartenzwerge explodieren oder mit Hitlergruß aufmarschieren. Alles schon gesehen. Doch man kann auch ganz unaufgeregt und aus sicherer Entfernung einen sachlich-dokumentarischen Blick auf die kleinbürgerliche Welt werfen, auf ihre Gärten zumal, die grünen Trutzburgen, mit denen sich die Besitzer gegen die Außenwelt und ihre ästhetischen Ansprüche verteidigen. 
Im kleinen Fotoband „Cut“ bündelt die Fotografin
Gisela Erlacher 50 fotografische Beobachtungen von gestutzten und getrimmten „Mikrolandschaften“. Der unbeugsame, beherzte, kleinbürgerliche Gestaltungswille verbindet sie. Aber auch ihre visuelle Identität, die ästhetische Aussichtslosigkeit des uniformen Selbermacher-Gartendesigns. Von Tulln bis Pörtschach, von Linz bis Eisenstadt zeigt Erlacher eine „Phänomenologie des Missglückens“, wie Schriftsteller Franz Schuh in seinem Essay zum Buch schreibt. „Scheitern am Schönen“, titelt er. Das klingt zunächst nach einer neuen Chance auf Schadenfreude, auf mitleidiges Belächeln vergeblichen Bemühens, doch der fotografische Blick gerät nicht zum voyeuristischen. Das Lächeln von Erlacher ist kein mitleidiges oder boshaftes. Eher „ein Lächeln, das von einem Berührtsein von der Naivität und der Kindlichkeit mancher Bemühung kommt“, sagt die Fotografin. Voyeurismus, meint sie, „hieße außerdem etwas erspähen zu wollen, was andere uns nicht wirklich zeigen möchten“. Doch die Gartengestaltung ist für alle sichtbar, sogar zur Schau gestellt. Hundertfach gesehen, aber trotzdem kaum wahrgenommen. „Das Unbedeutende, das Zufällige, das Alltägliche unter der Wahrnehmungsgrenze, das interessiert mich“, sagt Erlacher. Die Frage des „Eigenen“ beschäftigt sie, „wie jeder von uns sich im Leben einrichtet, wie wir den uns umgebenden Raum gestalten.“ Schon vor ein paar Jahren hat sie Schrebergartenhäuschen fotografiert, das „Universum der Selbermacher“, die selbst an der Ausgestaltung ihrer Sehnsüchte feilen und sie nicht den Designern, der Industrie und ihren Marketingabteilungen überlassen. 

Kunst im Schrebergarten. Die Gartenzwerge sind die Armee der wahren Stadthelden, der Schrebergärtner, die ihr Terrain verteidigen, auch dann noch, wenn die Kräne als verlängerte Arme der Immobilieninvestoren bedrohlich über ihnen kreisen. Die Schrebergartensiedlung am Gleisdreieck, mitten in Berlin, wurde diese Woche zum Kunstschauplatz für die Ausstellung „Stay Hungry“. Ein besonderer Ort. „Allein durch die absurde Nähe der improvisierten, individuell gestalteten Welt und der von den Stadtplanern konzipierten“, sagt Ausstellungskurator Theo Lighart. Vom Potsdamer Platz bis zum Sehnsuchtsgartenidyll sind es vielleicht 400 Meter. Dann kommen schon die Hecken.
1,25 Meter dürften sie gesetzlich nur hoch sein, sagt die zweite Kuratorin Anne Redeker. Hier sind es mindestens zwei. Kein Wunder, dass die Zäune auch Thema mancher Künstler sind, die hinter ihnen austellen. Oder auch der Schrebergarten selbst, wie in den Detailaufnahmen der Fotografin Stella Geppert etwa.
Die Kunst hat es im individuellen Allerlei des Selbstgezimmerten und Selbstgebastelten nicht ganz leicht. „In solchen Räumen gibt es natürlich immer Überlagerungen“, sagt Lighart. Da kann man schon mal den Performancekünstler mit dem Schrebergärtner verwechseln. Und auch das Kunst- mit dem Alltagsobjekt. Doch hier nähern sich zwei Welten an, die sich ohnehin vielleicht schon ähneln.  Der Schrebergarten als „Ort der sozialen Utopie“, wie Lighart sagt, könnte gut und gern auch Sehnsuchtsort der Kunst sein, denn der Kunstbetrieb gerät schon zur Schrebergartenbewegung mit massiven eskapistischen Tendenzen, rundum geschützt von Riesenthujen. „Läuft die Kunst nicht Gefahr, sich zu isolieren?“, formuliert Lighart demnach eine der Fragen, die „Stay Hungry“ stellt. Argwöhnisch waren manche Schrebergärtner anfangs schon, berichtet Redeker. Doch als sie sahen, wie viel Arbeit hinter der Ausstellung steckt, zollten sie den Schrebergartenrespekt: den vor dem Selbstgemachten und ehrlicher Arbeit.

TIPP

„Cut“ von Gisela Erlacher, mit einem Essay von Franz Schuh, Verlag Wieser. Fotografien daraus sind auch zu sehen in der Ausstellung „Im Garten“, die noch bis 16. Oktober im Nordico Stadtmuseum Linz stattfindet.

„Stay Hungry“ noch bis 29. Mai in der Schrebergartenkolonie am Gleisdreieck in Berlin.

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