Ai Weiwei entlassen: "Nur ein erster Schritt"

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Der chinesische Künstler und Regimekritiker Ai Weiwei ist wieder zu Hause, darf aber keine Interviews geben. Wollte sich Premier Wen Jiabao bei seiner Europa-Tour lästige Fragen ersparen?

Peking. Wenige Tage, bevor Chinas Premier Wen Jiabao zu einer Europareise aufbricht, die ihn nach Ungarn, Großbritannien und Deutschland führen wird, haben die chinesischen Behörden am Mittwoch den Aktionskünstler und Regierungskritiker Ai Weiwei aus der Haft entlassen.

Seine Verhaftung am 3. April hatte internationale Proteste ausgelöst. Möglicherweise wollte sich der Regierungschef mit der Freilassung Ai Weiweis ständiges Nachfragen in Budapest, London und Berlin nach dem Schicksal des Künstlers ersparen. Denkbar wäre auch, dass sich Kräfte der Vernunft innerhalb der Partei gegen Hardliner durchsetzen konnten.

Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel, die sich persönlich für die Freilassung Ai Weiweis eingesetzt hatte, machte umgehend klar, dass sie die chinesische Seite weiter in der Bringschuld sehe. „Die Freilassung gegen Kaution kann nur ein erster Schritt sein. Nun müssen die Vorwürfe gegen Ai Weiwei in einer rechtsstaatlichen und transparenten Weise aufgeklärt werden“, erklärte der Regierungssprecher in Berlin.

Ai Weiwei war am Mittwochabend Pekinger Zeit freigelassen worden. Er musste, wie die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua berichtete, eine Kaution hinterlegen. Dies sei durch sein Geständnis ermöglicht worden, Steuern hinterzogen zu haben. Die Entscheidung der Behörden sei auch der Tatsache zu verdanken, dass Ai Weiwei sich gut geführt habe und „chronisch krank“ sei. Der Künstler habe sich bereit erklärt, Steuern nachzuzahlen, hieß es.

Juristische Farce

Das Pekinger Außenministerium erklärte gestern, gegen den Künstler werde weiter ermittelt. Er dürfe zwar sein Haus verlassen, nicht aber die Stadt Peking.

Ai Weiwei sagte nach seiner Freilassung vor Journalisten, er sei „körperlich gesund“, dürfe aber „keine Interviews geben, solange ich gegen Kaution auf mein Verfahren warte“.

Der Fall Ai Weiwei ist der vorläufige Höhepunkt einer rechtlichen Farce, die offenbart, wie willkürlich Chinas Mächtige mit dem Gesetz und mit ihren Untertanen umgehen. Der Künstler war am 3.April auf dem Flughafen festgenommen worden und verschwand zunächst spurlos. Seine Familie wurde wochenlang nicht über sein Schicksal informiert, Anwälte durften nicht zu ihm. Die Buchhalterin seiner Firma und mehrere Freunde und Mitarbeiter wurden ebenfalls an einen unbekannten Ort verschleppt. Die Polizei hielt sich nicht an gesetzliche Fristen und interpretierte das Gesetz nach Lust und Laune um. Eine formale Anklage scheint noch nicht erhoben worden zu sein. Stattdessen verkündete die Polizei über die Medien, Ai Weiwei habe ein Geständnis abgelegt. Die Firma „Fake Cultural Development“, die er kontrolliere, habe „vorsätzlich Buchhaltungsunterlagen vernichtet“.

Eine Brücke ins Ausland?

Dies alles legt den Verdacht nahe, dass es nicht um Recht, sondern um Politik geht. Ai ist ein unbequemer Mann, der jede Gelegenheit benutzte, der KP unerwünschte Wahrheiten zu sagen. Es wird sich zeigen, ob Ai Weiwei wirklich freikommt oder ob ihm die Behörden mit der Entlassung auf Kaution eine Brücke bauen, ins Ausland zu gehen. Vor seiner Festnahme hatte Ai erklärt, er plane ein zweites Atelier in Berlin.

An diesem Wochenende müsste auch der bekannte Bürgerrechtler Hu Jia nach mehr als drei Jahren aus der Haft entlassen werden. Seine Frau und seine Freunde fürchten, dass er Hausarrest erhält, obwohl er seine Strafe vollständig verbüßt hat. So erging es jedenfalls vielen anderen angeblich freigelassenen Aktivisten.

Auf einen Blick

Ai Weiwei (*1957) ist Chinas prominentester Gegenwartskünstler; er hat sich nie gescheut, Missstände in seiner Heimat öffentlich anzuprangern. Das KP-Regime ließ ihn deshalb am 3.April am Pekinger Flughafen verhaften und sperrte ihn zweieinhalb Monate an einem unbekannten Ort ein. Am Mittwoch wurde er überraschend wieder auf freien Fuß gesetzt – allerdings gegen strenge Auflagen. Ai Weiwei darf Peking nicht verlassen und keine Auskunft über seine Behandlung durch die chinesischen Behörden geben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.06.2011)

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