Zwist um das wahre Magritte-Museum

Zwist wahre MagritteMuseum
Zwist wahre MagritteMuseum(c) REUTERS (ARND WIEGMANN)
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In Brüssel wird um den Titel "Magritte-Museum" gerungen. Ein Rundgang auf den Spuren des Surrealisten im Vorfeld der großen Magritte-Ausstellung in der Wiener Albertina.

Die seltsamsten Bilder entstanden im normalsten Umfeld, das man sich nur vorstellen kann: Fassungslos starrt man ins schmale Esszimmer vor der kleinen Küche im ehemaligen Wohnhaus René Magrittes im Norden von Brüssel. Während seine Ehefrau Georgette nebenan die Waffeln buk, stand hier vormittags einer der populärsten Surrealisten an der Staffelei und dachte sich fliegende Steine, Bäume mit Türen und Männer mit Äpfeln vor und Melonen auf den Köpfen aus. Am Nachmittag wurde Schach gespielt.

Das kinderlose Ehepaar Magritte legte großen Wert auf eine fast ostentative Bürgerlichkeit, die ziemlich im Gegensatz zum provokanten Bourgeoisietum der Pariser Surrealisten-Kollegen stand. Weshalb es auch des öfteren Streit gab, etwa mit Andre Breton, der die sehr katholische Georgette Magritte bei einem Besuch in seiner Pariser Wohnung in antireligiöser Surrealisten-Manier aufforderte, ihr Kreuz abzulegen, das sie um den Hals trug. Die Magrittes verließen empört die Runde, zwei Jahre lang gab es keinen Kontakt mehr mit dem gestrengen Surrealisten-Mastermind Breton. Paris war allerdings nur eine Fußnote in Magrittes Biografie, in den drei Jahren, in denen er dort lebte, hatte er keinen Erfolg. In Brüssel war er verwurzelt, dort lebte der brave Ehemann zwischen 1930 und 1954 mit seiner angeheirateten Jugendliebe in einer kleinen Wohnung im Erdgeschoß der Rue Esseghem 135. Vor über zehn Jahren hat hier der ehemalige Vertraute der verstorbenen Magritte-Witwe Andre Garitte das „René-Magritte-Museum“ eingerichtet, ein kurioses, etwas ramschig wirkendes Puppen-Maler-Haus, in dem man nicht so recht weiß, welche Möbel jetzt original und welche nachempfunden sind.

Weißer Spitz auf dem Bett. „Wir haben versucht, alles zu rekonstruieren“, sagt Garitte. Auf dem Bett sitzt sogar ein ausgestopfter weißer Spitz, die Magrittes hatten im Laufe der Jahre mehrere dieser Hunde. Im Garten befindet sich das Atelier Magrittes, in dem er allerdings nie malte, sondern für die gemeinsam mit seinem Bruder betriebene Werbeagentur „Dongo“ arbeitete. Aus dem Garten gibt es lustige Fotos von Faschingsfesten, die die Magrittes mit ihren belgischen Surrealisten-Freunden hier feierten, „Die Außerirdischen“ nannten sich die Kostümierten. Das Foto und einige der Masken sind in den Vitrinen im Haus zu sehen, die voll von liebevoll gesammeltem Archivmaterial sind. Wenn Garitte erzählt, beginnt es zu leben – da erfährt man, dass Magritte nie Pfeife rauchte, obwohl diese eines seiner Hauptmotive war, sondern Zigaretten. Oder was es mit dem Flugblatt „Grande Baisse“ auf sich hat, auf dem Magritte seine Werke mit Sonderrabatten anzupreisen scheint.

Es stammt gar nicht von Magritte selbst, sondern erzählt von der zerrütteten Freundschaft mit Marcel Marien, dem Jüngsten und wohl auch Zerrissensten der Surrealisten-Gruppe, den Garitte noch vor seinem Tod 1993 im Krankenhaus besuchte. Magritte, selbst gut im austeilen, im Erfinden von Jux-Betrügereien, hatte wenig Humor, wenn es das eigene Werk betraf.


Falsches Flugblatt. 1962 – Magritte war ein Star, Marien war es nicht – ließ Letzterer in Magrittes Namen Werbezettel drucken, die aussahen wie die Ankündigung eines Ausverkaufs. Man konnte die Gemälde sogar in mehreren Größen bestellen, was auf Magrittes geschäftstüchtige Wiederholung seiner beliebtesten Motive anspielt. Das ganze Flugblatt war ein Scherz, auf den sogar Surrealisten wie Andre Breton hereinfielen, der Magritte zu diesem subversiven Akt, den Magritte allerdings gar nicht lustig fand, noch beglückwünschte.

Auch nicht gelacht haben soll Magritte, als Max Ernst eines seiner Werke fälschte. Im Gegenzug allerdings nur – denn zuvor hatte Magritte einen Max Ernst gefälscht. Wie schon zuvor in den 1940er-Jahren einige andere Werke der Klassischen Moderne, um seinen ersten Katalog zu finanzieren.

Anekdoten über Anekdoten finden sich hier in den Vitrinen. Gemälde sind im kleinen „Magritte-Museum“, an dem Ort, an dem etwa die Hälfte seiner insgesamt 1100 Ölbilder entstanden, aber keine zu bewundern. Das einzige Original, die „Olympia“, hängt heute nur noch in Kopie neben dem Kamin. Sie wurde 2009 geraubt, erzählt etwas hämisch ein anderer ehemaliger Vertrauter von Magrittes 1986 verstorbener Witwe, Charly Herscovici, bei einem Mittagessen im „Goudbloummeke“, so etwas wie dem Gutruf von Brüssel, ein Surrealisten-Beisl, wo etwa Magritte seine Freunde um assoziative Titel zu seinen Bildern bat.

Der Erbe aller Bildrechte.
Herscovici scheint einen besseren Draht zur Witwe gehabt zu haben als Garitte, der sich mit seinem kleinen Museum durchfrettet. Herscovici erbte die Bildrechte zu allen Magritte-Werken. Das heißt – ohne Zustimmung von und Zahlung an Herscovici darf kein Magritte-Bild veröffentlicht werden. Mit diesem Vermögen gründete Herscovici die Magritte-Foundation, die er zur „moralischen Autorität“ für alle Fragen, die das Werk Magrittes betreffen, etabliert hat, wie er erzählt. Er finanziert wissenschaftliche Arbeiten zu Magritte, überwacht die Merchandising-Maschinerie, dass Magrittes Werke vielleicht noch auf Kalender, nicht aber etwa auf Kochschürzen gedruckt werden.

Über die Jahre konnte er für seine private „Eclipse Collection“ viele Werke Magrittes erwerben, 59 davon hängen als Leihgabe im staatlichen „Musée Magritte“, das 2009 in Brüssel eröffnet wurde. Wegen des Namens überwarf er sich mit Garitte, der auf das Label „Magritte-Museum“ für seine Magritte-Gedenkstätte nicht verzichten wollte. Es ist das „Haus der dunklen Tage“, sagt Herscovici, „dort ist nichts von Interesse“. Eine Ansicht, die wohl auch die Witwe Georgette teilte, wie Garette selbst erzählt.

Magritte schlägt Mondrian. Der zentral gelegene Neubau des Musée Magritte ist natürlich kein Vergleich: Jährlich lockt er rund eine halbe Million Besucher an. „Es ist interessant – Leute aus aller Welt können etwas mit diesen Bildern anfangen“, erzählt Chef-Kurator Frederik Leen. „Das ist bei Mondrian, unserem zweiten großen Maler der Moderne, nicht so.“ Auf drei Stockwerken werden rund 85 Gemälde Magrittes, dazu Dokumente und Filme gezeigt.

Einige der Bilder sind als Leihgaben in die große Magritte-Ausstellung in der Tate Liverpool gewandert. Ab 9.November ist „Das Lustprinzip“ in der Albertina zu sehen. Eine Version von „The Empire of Light“ etwa – das Haus wirkt dunkel wie in der Nacht, der Himmel darüber aber ist taghell. „Das ist gar nicht so surreal, das habe ich selber schon gesehen“, meint Leen, um Magrittes lakonischen Zugang zu seiner Kunst zu betonen. Und vielleicht war es ja tatsächlich gar nicht so seltsam, wie es für viele scheint, was da gemalt wurde in dem schmalen Esszimmer vor der Küche von Georgette.

Magritte in der Albertina

„Das Lustprinzip“
Von 9. November bis 26. Februar zeigt die Albertina eine zwei Jahre lang von der Tate Liverpool vorbereitete Retrospektive von Magrittes Werk. Mehr als 150 Gemälde und Papierarbeiten sowie Schriften, Foto- und Filmmaterial über Magrittes Leben sind zu sehen. Kuratorin der Wiener Station der bereits in Liverpool gezeigten Schau ist Gisela Fischer.

Öffnungszeiten: Täglich 10–18 Uhr, Mittwoch bis 21 Uhr.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.10.2011)

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