Magritte: Die Bürgerlichkeit des Anarchisten

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René Magritte, dem seltsamsten aller Surrealisten, gilt eine große Retrospektive: Das ist stets willkommen, doch der Mehrwert dieser Ausstellung ist fraglich. Warum nicht einmal ein gewagterer Zugang?

Die oberste Galerie in der Albertina hat selbst etwas Surreales. Manchmal fühlt man sich hier wie in Dürrenmatts Tunnel – es hört einfach nicht auf. Eine Treppe hinauf, eine hinunter – und immer, hinter jedem Eck, in jedem neuen Raum: noch mehr Bilder von René Magritte.

Nicht, dass man davon genug bekommen könnte. Der in seiner konsequent vorgetäuschten Bürgerlichkeit seltsamste aller Surrealisten verdient jede Retrospektive, mag sie wie hier aus der Tate Liverpool kommen und jetzt auch der Albertina solide Besucherströme schenken. Trotzdem. Auch wenn es mit rund 150 über doppelt so viele Werke sind, wie einst im Kunstforum zu sehen waren – vor gerade einmal sechs Jahren. Und jetzt also wieder fliegende Felsbrocken, monströse Äpfel und zerstückelte Frauen. Warum nicht Gewagteres statt der ewigen Wiederholung von Einzelausstellungen, statt in 3-D wiederholten Taschenmonografien? Warum nicht eine These aufstellen, warum nicht Zeiten und Künstler verknüpfen – etwa im Werk von Österreichs Biennale-Vertreter Markus Schinwald nach Magritte suchen, die Wolkenbilder des einen neben die des anderen hängen? Oder die alle Schwerkraft auf den Kopf stellenden Bilder des einen in die alle Statik Lügen strafende Schwebearchitekturen des anderen hängen? Mais non!

Werbung im Atelier, Kunst in der Küche

Die Albertina besitzt kein einziges Blatt von Magritte (dafür über die Batliner-Sammlung ein Gemälde). Dennoch wird er hier, nicht im Mumok, das den einzigen Magritte in staatlichem österreichischen Besitz beherbergt, wieder aufgelegt. So hängt das düstere Wahnsinnsbild „Stimme des Blutes“ jetzt eben in der Albertina, in braver chronologischer Reihung, begleitet von tollen Leihgaben aus aller Welt. Doch was ist der Mehrwert der Ausstellung? Die einzelnen Motivgruppen sind zwar mit Hauptwerken vertreten: eine wahre Freude, daran vorbeizuflanieren. Aber das Flanieren, das nur noch beiläufige Wahrnehmen der ikonischen Bilder ist genau das Problem einer Magritte-Ausstellung heute. Die Methode des ästhetischen Schocks, des überraschenden Zusammentreffens von Gegenständen, die sich sonst nie treffen, ist längst von der Werbung absorbiert. Was bei einem Künstler, der nebenbei mit seinem Bruder eine kleine Werbeagentur betrieben hat, nicht überraschend ist. Er betrieb sie übrigens in seinem Atelier im Hinterhof seines Wohnhauses in Brüssel.

Seine Kunst dagegen entstand im kleinen, dunklen Esszimmer vor der Küche, in der Gattin Georgette werkte. Ein spießiges, bürgerliches Mittelstandsleben scheint hier zelebriert worden zu sein. Ein subversives Rollenspiel des bekennenden belgischen Surrealisten – schon diese Details waren damals ein Affront gegen das gängige Künstlerbild: Der Kommerz kam aus dem Atelier, die Kunst aus der Küche. Die verborgene anarchistische Absicht hinter Magrittes Lebensentwurf, den eisigen Schrecken hinter den Bildern wieder spürbar zu machen, das ist die Herausforderung, die diese Ausstellung nicht eben aufdringlich zu meistern versucht.

So müssen die absichtlich schlecht gepinselten Bilder der „Periode Vache“ erst gesucht werden – 1948 hat Magritte für die erste Einzelausstellung im ungeliebten Paris 39 grelle, seinen sonst so aalglatten Stil aggressiv brechende Bilder hingeworfen. Die entsetzten Surrealistenkollegen schlossen Magritte zum dritten Mal aus, seine Provokation schlug ein. Aus dem sicheren Nest heraus, getarnt mit bürgerlichen Accessoires – Gattin, Melone, Anzug und immer mehr auch finanziellem Erfolg –, war er unberechenbar. Wie sein Idol, der Gentleman-Verbrecher Fantomas: Das Faible ist eine weniger bekannte Facette Magrittes, die gut aufgegriffen wird: Die Ausstellung zeigt Magrittes Fantomas-Gemälde nach einem Buchcover. Seine Liebe zu Krimis, aus denen er Szenen übernahm, wird greifbar. Seine eigenen Experimentalfilme brauchten jedoch einen eigenen Raum, keine Videowand, die wenig zum ruhigen Sehen, zum Verweilen einlädt.

„Skurriles und Lustvolles“? Grauenhaft!

So scheint die Parade perfekt gemalter Bilderwunder zu dominieren: „Skurriles und Lustvolles“, wie das Straßenbahnmagazin „VOR“ den „Ausstellungshit“ bewirbt. Auf dem Cover dazu eines der erschreckendsten Werke Magrittes: „Der Pilger“ (1966) müsste gerade im frühmorgendlichen Berufsverkehr verstören. Ein dunkler Anzug mit Krawatte, eine schwarze Melone. Nur fehlt die Verbindung, das Männergesicht dazwischen, es schwebt daneben in der Luft. Der Businessanzug ist eine Hülle, der Mensch völlig austauschbar, alles Schablone. Ein grauenhaftes, eiskaltes Bild. Von wegen „skurril und lustvoll“. In Zeiten, in denen Weltuntergangsfilme wie Lars van Triers „Melancholia“ laufen, wirken am Himmel schwebende Felsen und Äpfel wie bedrohliche Planeten, wie Zeichen des Endes. Von den Tag-Nacht-Szenen Magrittes mit nächtlich-dunklen Häusern und Wäldern vor taghellem Himmel ganz zu schweigen. So bleibt vielleicht ein Schauer, jedenfalls eine bestätigte Erwartung.

Viele Themen bleiben angerissen weidwund auf der Strecke: das Filmische bei Magritte, die Künstlermythen um ihn als Geld- und Gemäldefälscher, sein enormer Einfluss auf die Werbung oder auf die Gegenwartskunst, wovon Magritte-Sammler wie Jeff Koons oder John Baldessari erzählen. Leider nicht in der Albertina. Bis 26. Februar.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.11.2011)

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