Im Prado-Museum in Madrid fanden Experten eine Kopie des berühmten Werks von Leonardo da Vinci, die von einem seiner Schüler gemalt worden sein dürfte. Vermutlich war es Leonardo da Vincis Lieblingsschüler.
Madrid. Es war seit Wochen das bestgehütete Geheimnis und sollte eigentlich erst nach Abschluss der Restaurierung gelüftet werden: Das Madrider Prado-Museum beherbergt tatsächlich eine „Zwillingsschwester“ des weltberühmten Bildes „Mona Lisa“ des italienischen Künstlers Leonardo da Vinci (1452–1519). Museumschef Miguel Zugaza wollte den spektakulären Fund der „Gemälde-Schwester“ an sich erst Ende Februar der Weltöffentlichkeit vorstellen, doch die Sensation ist jetzt schon durchgesickert.
Die Mona-Lisa-Doublette wurde demnach von einem Da-Vinci-Schüler zeitgleich mit der „richtigen“ Mona Lisa des Meisters vor über 500 Jahren im Atelier des Renaissancemalers geschaffen – und zwar tatsächlich parallel zu diesem wohl bekanntesten aller Werke da Vincis. Und mit allen Farb-, Licht- und Pinselstrichkorrekturen, die auch der Meister selbst vornahm.
Vermutlich war es Leonardo da Vincis Lieblingsschüler Francesco Melzi, der im Atelier in Florenz dem großen Künstler genau über die Schulter schaute. Abkupfern war in dieser Zeit auch nicht verpönt, sondern zur Übung der Kunstschüler erwünscht.
Demnächst findet eine „Familienzusammenführung“ im Pariser Louvre statt. Dort ist die so rätselhaft lächelnde Original-Mona-Lisa hinter dickem Panzerglas zu Hause. Ende März wird im Louvre die Da-Vinci-Ausstellung „Heilige Anna“ mit den beiden Mona-Lisa-Bildern eröffnet – dann wird das wohl berühmteste Lächeln der Kunstwelt gleich doppelt erstrahlen. Die Kunsthistoriker jubeln auch, weil der Madrider Zwilling, der zudem fast das gleiche Format wie das Original hat, in einem besseren Zustand daherkommt als das Gemälde in Paris.
„Diese Entdeckung lädt uns ein, das Original mit anderen Augen zu sehen“, schwärmt Miguel Falomir, Experte für italienische Renaissancemalerei im Madrider Prado-Museum. Die zweite Mona Lisa hing übrigens auch schon länger als eher „verunglückte“ Kopie des Meisterbildes im spanischen Prado-Kunstpalast: Sie war aber bisher von den Historikern einem unbekannten flämischen Maler zugeordnet worden.
Eine verkannte Schönheit
Erst als die Madrider Experten vor zwei Jahren begannen, das verkannte Bild zu restaurieren, kamen sie der Wahrheit auf die Spur: Sie fanden hinter dem düsteren Farbhintergrund, der das zunächst traurig wirkende Frauenbildnis umgab, genau jene freundliche toskanische Landschaft, vor der da Vinci seine Mona Lisa gemalt hatte. Die Restauratoren haben das Bild wieder so freigelegt, wie es ursprünglich vor rund 500Jahren gemalt wurde, sodass nun auch das berühmte Lächeln wieder zur würdigen Geltung kommt.
Nur ein kleiner Unterschied fällt ins Auge: Die auf dem Madrider Bild zu sehende Dame scheint etwas jünger zu sein als jene im Louvre. Die Neuentdeckung wirkt eher wie eine „Signorina“ und nicht wie eine reife „Signora“.
Rätselhaft wie das Lächeln der Damen ist übrigens bis heute, wer da Vinci und seinem Schüler Modell saß: War es tatsächlich die Kaufmanns-Ehefrau Lisa del Giocondo aus Neapel? Vielleicht auch die Mailänder Herzogin Isabella von Aragon, wie andere Historiker meinen. Oder gar eines seiner männlichen Modelle, angeblich ein heimlicher Geliebter da Vincis, der den Meister inspirierte?
("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.02.2012)