Ist Klimt noch zu retten?

Das Jubiläumsjahr als Anlass für eine Neuentdeckung des Secessionisten. Kreative und Künstler machen sich ihre Gedanken.

Heuer im Juli jährt sich zum 150. Mal sein Geburtstag,  2012 wurde von heimischen Kulturinstitutionen zum Gustav-Klimt-Jubeljahr ausgerufen. Wird dadurch ein neuer Blick auf sein Werk möglich? Oder – in Bezug auf die Nachnutzung seiner Werke auf Bonbonnieren, Schirmen und Kaffeedosen – ist Klimt noch zu retten?

Ulrike Lienbacher: Die Vereinnahmung Klimts durch die Populärkultur ist schon sehr früh passiert; für mich war Klimt tatsächlich immer eine besetzte Figur, schon in meiner Pubertät in den 1970ern hingen Klimt-Poster in diversen Mädchenzimmern. Das hat mich tatsächlich eher davon abgehalten, mich mit ihm zu beschäftigen. Eigentlich hat erst Hans Holleins Ausstellung „Traum und Wirklichkeit“ 1984 zu einer ersten näheren Auseinandersetzung mit Klimt und Wien um die Jahrhundertwende geführt.

Raimund Pleschberger: Klimt kennt man halt, auch wenn man sich nicht für Kunst interessiert. Mir war er schon in meiner Kindheit ein Begriff und dadurch, dass er in der Populärkultur dermaßen präsent ist, habe ich mich während des Studiums nicht großartig mit ihm beschäftigt. Was seine „Rettung“ betrifft – vor der Verwertungsindustrie ist Klimt sicherlich nicht zu retten.

Lienbacher: Ich finde es schade, dass die Vermarktung von Klimt seine Person so überdeckt, dass radikalere Elemente, die er als Secessionist und Reformer nicht weniger repräsentiert, in den Hintergrund treten und österreichisch weichgezeichnet werden.

Nina Levett: Klimt sollte überhaupt noch viel mehr gefeiert werden; immerhin ist er in einem weltweiten Ranking der am teuersten gehandelten Bilder als einziger heimischer Künstler mit gleich zwei Werken vertreten. Hierzulande wissen das viel zu wenige, dabei sollten gerade wir Künstler und Kreative selbstbewusster sein und uns Klimt auch dementsprechend nähern.

Könnte für die Klimt-Rezeption, besonders in Fachkreisen, die von Adolf Loos in seinem Aufsatz „Ornament und Verbrechen“ vorgezeichnete Skepsis gegenüber dem Ornamentalen, dem allzu Dekorativen, schlagend werden?

Pleschberger: Ich denke, dass sich gerade die dekorativen Aspekte seines Werkes besonders gut verwerten lassen und darum das potenziell Kontroversielle verdecken. 

Lienbacher: Es gibt aber diejenigen, die dagegenwirken möchten und auf anderes hinweisen, das um die Jahrhundertwende passiert ist. Dazu gehört auch die Diskussion über das Ornament, denn damals wurde viel losgetreten, was für die weitere Entwicklung der abstrakten Malerei von Bedeutung ist.

Als Absolvent der Kunstgewerbeschule zeigte Klimt auch in seiner Malerei Elemente der dekorativen Kunst wie schön gestaltete Interieurs oder Stoffmuster und er entwarf angeblich auch Mode: Ist das paradigmatisch für ein vielleicht spezifisch österreichisches Streben nach dem Gesamtkunstwerk?

Markus Hausleitner: Die Durchmischung von bildender Kunst und Design ist gegenwärtig ohnehin in vollem Gange, ich würde das jetzt keinesfalls auf eine spezifisch österreichische Tradition zurückführen. Mein eigener Zugang zu Klimt beruht auf seinen Reformkleid-Entwürfen, in Zusammenarbeit mit seiner Lebensgefährtin, der Modesalonbetreiberin Emilie Flöge. Das hat mich persönlich am meisten interessiert, in Verbindung mit Reformbewegungen, die Ende des 19. Jahrhunderts stattgefunden haben und Eingang in die Mode fanden, auch erste feministische Bewegungen, die Suffragetten zum Beispiel. Für mich war das Reformkleid außerdem Ausdruck der Unisex-Mode, auch wenn es vielleicht nicht so gemeint war.

Frau Levett, Sie geben an, sich in letzter Zeit intensiv mit Klimt beschäftigt zu haben – haben Sie ihn aber auch in Ihrer eigenen Arbeit aktiv rezipiert?

Levett: Rein formal nicht, aber was den Diskurs um das Ornament und seine potenzielle Rolle in dieser Frage spielt, indirekt natürlich schon. Ich finde, man kann sich leichter an eine Bildsprache anhängen, die allen vertraut ist. Klimt ist für mich fast ein Vertreter der Pop-Art avant la lettre. Der Vorwurf der Gefälligkeit ist nichts Neues, das gab es zu seinen Lebzeiten schon. Wo wir doch hier bei Madame Tussauds sind und gerade an der Wachsfigur von Madonna vorbeigegangen, ich sehe da durchaus Ähnlichkeiten zwischen ihr und Klimt: Ein Genie der Vermarktung und der Selbstvermarktung, das beim Publikum gut ankommt.

Lienbacher: Fallweise gibt es bei ihm durchaus Aspekte, die für mich als Künstlerin interessant sind – etwa Klimts Umgang mit Fläche und Körper in den Frauenbildnissen, die völlig entkörperlicht wirken, weil bis auf die Gesichter und Hände die Körper unter der Ornamentfläche wie aufgelöst scheinen. Auch in meiner Arbeit wird immer wieder das Ornament zitiert, Bezugspunkt war da aber nie Klimt. Mich interessiert vielmehr der Aspekt der Ordnung, der Wiederholung, der Reglementierung – und zwar nicht nur im formalen Bereich, sondern auch im Sinne der gesellschaftlichen Reglementierung. Ich habe also einen ganz anderen Ausgangspunkt für die Verwendung des Ornaments.

Herr Pleschberger, eine Arbeit von Ihnen wurde in der Schau „Die Macht des Ornaments“ im Belvedere gezeigt, wo auch Klimt zu sehen war – war diese Nähe zu Klimt für Sie überraschend?

Pleschberger: Ein wenig vielleicht, das hat sich aber aus einer Werkserie ergeben, die in Los Angeles im Rahmen meines Schindler-Stipendiums entstand. Der Titel war „The Extended Ornament“, und insofern war das Ornament gedanklicher Bezugspunkt, auch wenn sich das nicht unbedingt formal in den Arbeiten selbst widerspiegelt. Was nämlich die Ornamentsdiskussion betrifft, so gibt es meiner Meinung nach in Österreich eine ganz interessante Tradition, über das Ornament weltanschauliche oder ästhetische Fragen abzuhandeln. Ich halte in dem Zusammenhang den 1905 verstorbenen Kunsthistoriker Alois Riegl für eine sehr prägende Figur. Aufgrund meiner Interessenslage hat die Teilnahme an der Ornamentausstellung für mich im Belvedere also Sinn ergeben, Klimt selbst spielte ehrlich gesagt für mich in meiner Sozialisierung als bildender Künstler keine Rolle.

Wenn das Ornamental-Dekorative sich, wie gesagt wurde, eher einer Verwertungsmaschinerie anbietet, könnte dann eine nachrückende Avantgarde auch darum stets größere Affinität für eine reduzierte, minimalistische Ästhetik empfinden?

Hausleitner: Ich finde nicht, dass man das im Bereich von Design und Mode so klar feststellen kann. Ich sehe eher absolute Stagnation. Rein inhaltlich ist in der Mode überhaupt nichts mehr da, was zählt, ist höchstens der kommerzielle Erfolg einer Merchandising-Maschinerie. Das passt also zu Klimt, da können wir uns nämlich bestimmt auf eine neue Super-Merchandising-Welle gefasst machen.

Vor ein paar Jahren gab es eine Couture-Kollektion von Dior mit reihenweise Klimt-Zitaten bis ins grotesk Verkitschte. Ein österreichisches Label, das auf sich hält, würde wohl eher eine Saison auslassen, als so etwas zu zeigen . . .?

Hausleitner: Nicht unbedingt. Als ich noch an der Uni war, und als Jakob Lena Knebl noch gemeinsam mit mir Mode gemacht hat, haben wir aus Spaß Klimt-Reformkleider mit der Techno-Rave-Ästhetik gekreuzt – das war gar nicht unlustig.

Gibt es andererseits im Produktdesign noch Spielraum, sich auf Klimt zu beziehen, ohne dass man im Kitsch-Kaffeedosen-Eck landet?

Levett: Meine Arbeit ist ohnehin immer eine Referenzierung von Inhalten; ich scheue mich auf jeden Fall nicht, die Menschen mit etwas zu begeistern, das sie kennen und mit dem sie etwas anfangen können. Darum finde ich das Übervermarktete, Verkitschte häufig besonders interessant – das Kippen einer Ästhetik, damit spekuliere ich auch als Kreative.

Pleschberger: Natürlich gibt es den übertriebenen Kitsch, der quasi ungewollt wieder interessant werden kann. Mir hat einmal ein Freund ein „Iron Maiden“-Häferl geschenkt, und das finde ich als Objekt wieder schön. Wenn eine Heavy-Metal-Ästhetik sich mit so einer biederen Tasse trifft, kann das durchaus spannend sein; ob das bei Klimt auch möglich ist, weiß ich nicht. Per se kann die Übervermarktung aber interessante Blüten treiben.

Und die Ausstellungen, die auf uns zukommen – werden die eher als Publikumsmagneten für die breite Masse wirken, während das Fachpublikum zu Hause bleibt?

Pleschberger: Ich weiß gar nicht, ob das Fachpublikum an und für sich die Nase rümpft, sondern es ist oft eher die Masse der Ausstellungen, die einen Negativreflex bedingt. Einen entspannten Zugang zu finden, ist schwierig, wenn man das Gefühl hat, das Thema wird einfach ständig neu aufgekocht.

Lienbacher: Andererseits wäre das Jahr eine Gelegenheit, neue, weniger bekannte Aspekte aufzuarbeiten. Ich habe noch keinen Überblick, aber ich hoffe, dass es zu neuen Arten der Auseinandersetzung kommt. Mehr als das einzelne Bild interessiert mich ohnehin das Gedankengebäude dahinter.

Ein Aspekt, der in jeder Monografie, auch in Raoul Ruiz' „Klimt“-Film aus dem Jahr 2006 gern aufgegriffen wird, sind seine Affären, die unehelichen Kinder, die offene Beziehung mit Emilie Flöge. Man stürzt sich also auf das Thema „Klimt und der Sex“, obwohl es, im Unterschied zu den zum Teil sehr erotischen Arbeiten aus seinem grafischen Werk, aus den bekannten Frauenporträts komplett ausgeblendet ist.


Pleschberger:
Naja, das entspricht einfach dem heldenhaften, machoiden Künstlerklischee – der Maler, der mit seinen Aktmodellen ins Bett geht; das wollen ja viele hören.

Levett: Wo wir schon früher von Madonna geredet haben, ich sehe da wirklich einige Parallelen. Auch bei ihr gab und gibt es dieses Spekulieren mit der Nacktheit, und bei Klimt gab es das aus meiner Sicht genauso. Was die Inszenierung betrifft, wenigstens in dem Bild, das wir heute von ihm haben, entspricht das fast einer perfekten PR-Strategie.

Kommerziell unerfolgreich war Klimt zu Lebzeiten jedenfalls nicht – denken Sie, das würde in der aktuellen Kunstmarkt-Konstellation in Richtung eines Damien Hirst gehen?

Hausleitner: Das denke ich schon. Er hat ja auch seine ganze eigene Corporate Identity geschaffen und war auch darum, wie bereits angemerkt, Wegbereiter der Merchandising-Maschinerie, die sein Werk später überrollt hat. Das ist für mich schon ein spannender Aspekt in seiner Arbeit, also dass er viel von dem vorweggenommen hat, das heute passiert. Und Selbstvermarktung sehe ich nicht als etwas automatisch Negatives.

Pleschberger: Es mag sein, dass er ein guter Selbstvermarkter war, aber ich sehe in seiner Arbeit schon reformistische Bemühungen in Richtung Kunsthandwerk, auf der klassisch-bildnerischen Ebene, und ich würde ihm auf jeden Fall auch dieses Anliegen unterstellen. Ich gehe jedenfalls nicht davon aus, dass er seine künstlerischen Entscheidungen primär kunstmarktkompatiblen Kriterien unterworfen hat.

Vielleicht hätte eine ganze Generation ganz anders auf Klimt reagiert, wenn statt der Porträts oder der „goldenen Phase“ sein grafisches Werk in Posterbooks verbreitet worden wäre?

Pleschberger: Auf jeden Fall habe ich, wenn ich mir die Blattgold-Arbeiten anschaue, einen Reflex der kategorischen Ablehnung. Aber ich finde auch, Begriffe wie „gefällig“ und „dekorativ“, das ist alles relativ – wenn ich mit Fäkalien arbeite, kann das im Prozess der künstlerischen Produktion genauso zu „dekorativen“ Resultaten führen.

Levett: Meine Theorie ist, dass das Blattgold einfach nicht adäquat reproduzierbar ist, weil die Textur und die unmittelbare Wirkung der goldenen Bilder, wenn man vor ihnen steht, eine andere ist.

Lienbacher: Es gibt genug seiner Bilder, die sich ausreichend gut reproduzieren lassen, sodass der Gesamteindruck von Klimt in der Öffentlichkeit nicht verfälscht oder getrübt ist. Die Frage der Reproduktion stellt sich bei Klimt nicht im Speziellen, sondern betrifft die bildende Kunst im Ganzen.

TIPP


Auch die Klimt-Literatur erhält Zuwachs – etwa den „Kunst- und Kulturführer zum Klimt-Jahr“ von Michael Schmid (Echomedia, 18 Euro).

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.