Holzfällen im neuen 21er Haus

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Der Kärntner Bildhauer Hans Schabus war im Wald, hat gefällt, geschnitzt, gedacht. In der zentralen Museumshalle hat er jetzt einen Abenteuerspielplatz der Moderne installiert. Es ist eine Wucht geworden.

„Da ich nun einmal nicht imstande war, die Menschen vernünftiger zu machen, war ich lieber fern von ihnen glücklich.“ Mit diesem Voltaire-Zitat, das Thomas Bernhard seinem Roman „Holzfällen“ voranstellte, könnte man auch die vergangenen Karrierejahre von Hans Schabus untertiteln. Schabus, das war der Bildhauer, der Österreich einen seiner besten, wenn nicht den besten Auftritt bei der Biennale Venedig verdankt. 2005 war das, der Österreich-Pavillon verschwand damals unter einem riesigen grauen Bergmassiv aus Geschichte und Geschichten. Und man dachte, jetzt kommt der Kärntner, Jahrgang 1970, groß heraus.

International passierte das dann auch eher als in Österreich; es bildete sich eine gut vernetzte Fangruppe aus Kritikern und Kuratoren, es gab institutionelle Einzelausstellungen u. a. in London, Lissabon, Lyon. In Wien aber – niente, bis auf kleine Einblicke in der Galerie Kerstin Engholm. Umso gespannter durfte man sein, als das Belvedere ankündigte, gerade mit Schabus die Reihe der großen Einzelprojekte im neu eröffneten 21er Haus eröffnen zu wollen. Am Donnerstag war es dann so weit. Und es ist eine Wucht geworden.

Schnitzeljagd durch Moderne-Wald

Massive Waldviertler Fichtenstämme liegen scheinbar kreuz und quer in der zentralen Ausstellungshalle. Tonnen toter Natur, gefallene Riesen, Bernhards „Holzfällen“ – das Hirn geht einem über vor flotten Assoziationen. Man schleicht herum, streicht zaghaft über Harz und Rinde. Dabei dürfte man hier einmal Birgit Minichmayr spielen und wie sie in Martin Zehetgrubers Bühnenbild des „Weibsteufels“ von 2007 die rohen Stämme besetzen, besteigen, belaufen. Ein Abenteuerspielplatz für die einen. Eine kunsthistorische Schnitzeljagd für die anderen. Perfekt.

Schabus wird seinem Ruf als subtiler Vernetzer von Orten, Zeiten, Bezügen gerecht. In Teile der Stämme gemeißelt entdeckt man Zitate von vier Säulenheiligen der modernen Bildhauerei: die „Unendliche Säule“ von Constantin Brancusi, die figürliche Abstraktion Fritz Wotrubas, dessen Archiv ein Stockwerk darunter behütet wird, eine von großen Schrauben verschlossene Zeitkapsel, in der eine geballte Faust liegt, stellvertretend wohl für die Monumentalskulptur politischer Propaganda. Und immer wieder Joseph Beuys mit seiner sozialen Plastik. Ins Holz gebohrte Löcher erinnern etwa an dessen pathetische Steinstelen-Installation „Das Ende des XX. Jahrhunderts“. Eine mit Filz bedeckte, mit Holz verschlossene, mit Gurten verbundene „Wunde“ an die auratischen Materialien des großen Bildhauer-Schamanen. Bleierne Keile geben den Baumstämmen Halt.

Doch der Wald liegt geschlägert vor uns, die großen Monolithe der Moderne sind wie Beutestücke in den gläsernen Ausstellungspavillon Karl Schwanzers geschleppt worden. Nur von oben, von der Balustrade des ersten Stocks aus, kann man die Botschaft dieses Schlachtfelds entziffern, mit etwas Mühe: „Museum“ steht da, gebildet von den übereinanderliegenden Stämmen. Mitten unter ihnen, da sieht man das Wort, den Wald vor lauter Bäumen nicht. Naturgemäß.

Es ist eine archaische Installation, mit der Schabus den Ort selbst infrage stellt, mit der er über den Sinn eines Museums des 21. Jahrhunderts diskutieren will. „Im Zweifel für den Zweifel“, zitiert der Künstler und Musiker in seinem archivarischen Katalog einen Text von „Tocotronic“. Was muss ein Museum für Gegenwartskunst leisten? Kann es eine Kunstproduktion fassen, die sich immer öfter bewusst der Musealisierung entzieht, einer Bewahrung für die Ewigkeit? Was kann noch kommen nach all den musealisierten Revolutionen? Oder ist die ganze Institutionskritik nur kokette Metadiskussion?

Jedenfalls sollte man es sich am Beginn des 21er Hauses erlauben, Altgewohntes auf den Kopf zu stellen. Schabus stellt gleich am Eingang das schäbige alte Hinweisschild für Wiens erstes „Museum des 20. Jahrhunderts“ auf den Kopf. Ganz urbaner Archäologe hat er es gesichert, als es im Zuge von Bauarbeiten rund um den neuen Zentralbahnhof Ende des vorigen Jahres abmontiert wurde. In den eisernen Befestigungsreifen der Tafel hat er den ersten Ausstellungskatalog des Hauses eingespannt, „Kunst von 1900 bis heute“, wobei „heute“ das Jahr 1962 meint, als Werner Hofmann den ehemaligen Weltausstellungspavillon als neues Zentrum einer jungen Kunstszene eröffnet hat.

Damals hatte sie kein anderes. Heute hat sie viele. Und doch spürt man hier nach langer Zeit wieder die Kraft eines Neuanfangs. Im Untergeschoß ist Platz für große Einzelprojekte. Im oberen Stock wurde sehr ambitioniert aus den Beständen von Belvedere, Artothek des Bundes und einigen privaten Sammlern eine Dauerausstellung österreichischer Kunst der Nachkriegszeit eingerichtet. Man konnte sich schon gar nicht mehr erinnern, wie schmerzhaft eine solche in Wiens Museumslandschaft gefehlt hat. Im Zweifel also ja. Zumindest zu diesem Haus für die Kunst des 21. Jahrhunderts.

Bis 9. 9., Mi–So: 10–18 h, Mi: bis 21 h.

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