Die Tipps von Kunst-Profis wie Max Hollein, Andrea Jungmann oder Jasper Sharp
Der Frage - "Und? Welchen Pavillon muss man sehen?" entkommt man nicht. Es sind schließlich über 80, verteilt in ganz Venedig, niemand kann alles sehen, also ist man auf Hilfe angewiesen. So kann man etwa sagen: Syrien und Island auf der Giudecca - muss man nicht gesehen haben. Die Syrer bauen auf Palmyra-Sentimentalität, wofür sie vor allem auch ein paar wenig überzeugende italienische Künstler eingeladen haben. Island ist lustig, wenn man schon immer einmal mit Trollen Espresso trinken wollte (zwei Trolle sollen den Pavillon übernommen haben und beherrschen ihn mit einer trashigen Video-Installation, lustig, aber lange Reise...)
Den Irak würde ich allerdings empfehlen, er liegt halbwegs zentral bei der Accademia, man kann sich gleichzeitig die "Glasstress"-Ausstellung im selben Palazzo anschauen - und er hat durchaus kritische Künstlerinnen und Künstler zugelassen, die sich mit ebenfalls ausgestellten babylonischen Artefakten aus dem im Irakkrieg geplünderten Nationalmuseum Baghdad beschäftigen. Inklusive eines Videos von Francis Alyss über seinen Besuch an der Kriegsfront.
Das politisch skurrilste Statement kommt übrigens von dem ehemaligen Direktor des Victoria and Albert Museum in London, Martin Roth, der 2016 England aus Protest gegen die nationalistische Brexit-Stimmung verließ, und jetzt ausgerechnet den Aserbaidschanischen Pavillon kuratiert hat. Die Aliyev-Diktatur feiert hier "The Art of Living together", u. a. mit zumindest tatsächlich sehr poetischen schwebenden Musik-Objekten von Elvin Nabizade.
In den Giardini ist es einfacher. Da muss man natürlich Deutschland gesehen haben, das intensive Dark-Play von Anne Imhof (die Menschenschlange? Ja, da muss man durch).
Aber sonst? Was empfehlen die professionellen Kunstschauer? Damit sie nicht jeder einzeln fragen muss, hier ein paar gesammelte Must-See-Tipps (die Beschreibungen in Klammer stammen von mir, damit Sie sich ein bisschen ein Bild machen können).
Max Hollein, Direktor Fine Arts Museums San Francisco:
Deutschland (Anne Imhofs Dark-Play-Performance-Installation), USA (subtil Trump-kritische Malerei-Installation von Kunstmarkt-Star Mark Bradford), Belgien (schwarz-graue-symbolistisch-melancholische Analogfotografie von Dirk Braeckman)
Jasper Sharp, Zeitgenossen-Kurator im KHM:
Deutschland, Rumänien (Retrospektive auf die Grande Dame der rumänischen Konzeptkunst Geta Batescu), Polen (Sharon Lockharts sehr klare Foto/Video-Installation, in der sie die Erinnerung an einen historischen jüdischen Reformpädagogen mit heutigen sozialen Problemen in Polen verbindet)
Elsy Lahner, Kuratorin für Zeitgenössisches, Albertina
Deutschland, Kanada (Geoffrey Farmers außer Kontrolle geratener Springbrunnen, eine dichte, verschlüsselt erzählte Geschichte über seine Familie und sein Land), Australien (Tracey Moffats perfekt gemachte falsche sentimentale Erinnerungen in Foto und Film an ein Land, das heuer mit ihr erstmals einen Künstler mit indigenen Wurzeln zur künstlerischen Nationenrepräsentation entsandt hat)
Christoph Thun-Hohenstein, Direktor MAK
Rumänien, England (Phyllida Barlows wuchtig-spielerischer Skulpturenwald), Südafrika (im Arsenale, Candice Breitz' Videoinstallation, in der sie die Hollywoodstars Alec Baldwin und Julianne Moore Lebensgeschichten von Flüchtlingen lesen lässt)
Andrea Jungmann, Sotheby's Österreich-Chefin
Schweiz (eine sehr sensible Hommage an die Frauen bei Giacometti von der Bildhauerin Carol Bove und den Video-Künstlern Teresa Hubbard / Alexander Birchler), Südafrika, USA
Bettina Leidl, Kunsthaus Wien-Direktorin
Deutschland, Polen, Griechenland (George Drivas' Videoinstallation "Labor der Dilemmas")