See this Kopfzerbrechen

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Mit „See this Sound“ gelingt dem Lentos die stimmigste Schau des Kulturhauptstadtjahrs – eine festliche Reunion von Medien- und bildender Kunst.

Mit dem Kopf tief zwischen die Hände gesunken kauern zwei junge Frauen hoch konzentriert am einfachen Holztisch mitten in der Ausstellung. Aber sie sind weder verrückt, noch verzweifeln sie gerade über Gott und die Welt. Sie lauschen. Ihre Ellbogen liegen in zwei Grübchen in der Holzplatte, die wie Lautsprecher funktionieren, ihre Knochen leiten die Schwingungen weiter, durch ihren Körper fließt also klassische Musik, so hat sich Laurie Anderson das 1978 für uns überlegt. „...the way you moved through me“ steht auf einem Foto an der Wand, und es ist tatsächlich ein seltsam intimer Moment, der hier erlebt werden kann.

Ebenfalls erst durch unseren Körper machen wir Musik hörbar in David Rokebys Wunderkammer: Eine Videokamera überträgt unsere Bewegungen in ein Computerprogramm, das uns je nach Pirouette oder hektischem Handwedeln mit mehr oder weniger exotischen Tönen belohnt. Kunst oder technisches Experiment? Den Unterschied haben über die Jahrzehnte nur die geldgebenden Systeme gemacht, die hinter den scheinbar getrennten Labels New Media Art und Contemporary stehen – Technikfestivals oder Kunstmarkt.

Die Trutzburgen von Kunst und Technik

Die Ausstellung „See this Sound“ im Lentos will diese beiden getrennt voneinander wahrgenommenen Gattungen mittels gemeinsamen Themas an einem Ort wieder versöhnen – was derart smooth gelingt, dass man fast versucht ist zu denken, dieser „Brückenschlag“ könnte vielleicht nur in Linz nötig sein, wo die beiden Trutzburgen der Genres einander frontal gegenüberstehen, auf der einen Donauseite das Ars Electronica Center, auf der anderen das Lentos Kunstmuseum. Allein diese lokalspezifische Geste prädestiniert die Ausstellung schon zur bisher stimmigsten des Kulturhauptstadtjahres.

Doch auch das Thema überzeugt, Kuratorin Cosima Rainer hat es sich nicht leicht gemacht: Denn „See this sound“ hat mit konventionellen Ausstellungen, die den wechselseitigen Einfluss von Kunst und Musik illustrieren, wenig zu tun. Kein Arnold Schönberg prangt hier, kein Kokoschka-Bühnenbild. In acht Kapiteln geht es quer durch die Jahrzehnte darum, wie Künstler seit der Moderne neue technische Entwicklungen nutzten, um das Zusammenspiel von Ton und Bild zu untersuchen. Das kann so simpel und eindrucksvoll sein, wie Louise Lawler es 1979 tat, als sie ihre Freunde in ein Kino in Los Angeles lud, um ihnen im absoluten Dunkel dann nur die Tonspur des Films „Misfits“ vorzuspielen. Peter Kubelka dagegen filtert den Ton aus seinem 1960 entstandenen Film „Arnulf Rainer“ heraus (der so heißt, weil der Maler ihn damals gesponsert hat, wie Kubelka erzählt): Er steckt die Filmstreifen einfach mit Nadeln auf der Wand zu einem abstrakten Bild zusammen. So klar, so unanfechtbar.

Oder aber das Ganze ist so unanfechtbar gefinkelt, wie nur Peter Weibel denken kann, der elf Jahre vorher, 1968, in Köln zur „Action Lecture“ bat. Etwas vereinfacht kann zusammengefasst werden: War das Publikum aufmerksam, schaltete sich das Bild- und Tonsystem aus, kein Film, keine Rede waren zu hören. Machten die Leute Lärm, ging das System zwar wieder an – Weibels Rede ging im Tumult aber erst recht wieder unter. Ja, die bösen Massenmedien, sie standen am Pranger damals. Und zeigten sich in ihrer Entwicklung davon wenig beeindruckt, muss rückwirkend konstatiert werden.

Dennoch geht es immer um große Erwartungen, wenn Sound and Vision in der Kunst zu einem Ganzen verbunden werden: Das Gesamtkunstwerk fällt einem da natürlich sofort ein. Aber Hermann Nitsch und sein Lärmorchester fehlen auffällig. Dafür zerlegt Christian Philipp Müller das Weltrettungsrezept von Le Corbusier in seine hässlichen Einzelteile: Aus einem zellenartigen, fensterlosen, sechs Quadratmeter kleinen Büro hat der Architekt mit den Komponisten Iannis Xenakis und Edgar Varèse für die Brüsseler Weltausstellung 1958 einen Pavillon mit spektakulärer Multimediashow entwickelt, übrigens Jahre vor Andy Warhols Exploding-Plastic-Inevitable-Show. Müller entlarvt die damals vermittelte Moderne-Propaganda aber als Sackgasse, „aus der wir Auswege finden müssen“, wie er sagt, und als kolonialistisch. Durch einen Nachbau von Corbusiers klaustrophobischen Büros geht es in eine zappendustere Zelle, in der Vareses minimalistische Klänge (u.a. Glocken und Werkgeräusche vom Philipps-Werk) erklingen. Ein perfider Schließmechanismus lässt einen aber diese Kammern nicht einfach so wieder verlassen, um draußen die Dias zu studieren, mit denen Müller nur die Namen der Motive projiziert, die Corbusier damals bestimmt hat, nicht die Bilder selbst: „die Affen“, „die Babys“, „das Negermädchen“ etc.

Zwischen derartige Kopfzerbrechungen mischen sich aber immer wieder Kostbarkeiten zum Genießen: Etwa das Lichtballett, das sich 1934 in Mary Ellen Butes Kopfkino abspielte, als sie „Anitras Tanz“ aus Griegs Per-Gynt-Suite hörte. Oder Josef Dabernigs Spiel mit unserer Vorstellungskraft, wenn er in einem leeren Fußballstadion zwei scheinbare Trainer auf der Bank sitzen lässt. Und sich nur über den dazu eingespielten Ton eines leidenschaftlichen Matches in unseren Köpfen die ganze Atmosphäre täuschend echt verdichtet.

Tanzen unter Argusaugen

„Nicht versöhnt“ heißt dieses Kapitel, in dem Ton und Bildspur seziert werden. Gemeinsam mit „Come together – Let's Dance“ ist es der kurzweiligste Abschnitt. Wenn Hans Weigand als eine Art männliche Cindy Sherman 1977 die Posen des Saturday-Night-Fevers durchspielt und Adrian Piper weiße Seminarteilnehmer zu schwarzer Funkmusik, zur Musik der Bürgerrechtsbewegung, grooven lässt und Mathias Poledna mit Argusaugen und in Großaufnahmen die Paarungs- und Repräsentationsgesten der shakenden Jeunesse Dorée beobachtet, lernt man Audio/Video/Sound/New-Media-Diskurse auch lustvoll zu konsumieren.

Um nur einige Einblicke in die vielen Kojen zu geben, die man auf dem langen Weg durch diese bemerkenswerte Schau entdecken kann. Schiebt man erst einmal die schweren grauen Samtvorhänge beiseite, die diese Ausstellung gliedern und dabei gnädig die überall über einen hereinbrechenden Geräusche aufsaugen. Fast möchte man sich ein wenig an diese so vertrauten Insignien theatraler Traditionen klammern, in ihren tiefen Falten Schutz suchen vor all den künstlerischen Grenzüberschreitungen, Aufbrüchen, die sie festlich inszenieren sollen. Aber nur keine Scheu, lieber „Happy new ears!“, wie John Cage seinem Publikum wünschte.

Auf einen Blick

„See this Sound. Versprechungen von Bild und Ton“: bis 10. Jänner im Lentos Kunstmuseum Linz. Öffnungszeiten: täglich 10–18 Uhr, Do 10–21 Uhr; während der Ars Electronica (3. bis 8. September): 10–19 Uhr.

Begleitprogramme: Ein Symposiumzu Ton-Bild-Relationen in Kunst, Medien und Wahrnehmung wird am 2.September um 19.30Uhr mit Tony Conrad eröffnet, am 3.Sep. bei freiem Eintritt fortgesetzt. Weitere Sonderveranstaltungen – Filmvorführungen, Liveauftritte – folgen bis Dezember. Nähere Informationen unter www.lentos.at

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.08.2009)


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