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Sibylle Berg: „Es ist erstaunlich, wie jung Madonna ist“

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Am Sonntag gastierte Madonna zum zweiten Mal in ihrer Karriere in Wien. Autorin Sibylle Berg empört es, dass die bald 54-jährige Sängerin häufig „Pop-Oma“ genannt wird.

Die Presse: Frau Berg, Sie finden es eine Frechheit, wenn Madonna als „Pop-Oma“ bezeichnet wird. Was stört Sie daran so?

Sibylle Berg: Frechheit ist das falsche Wort. Eher entlarvend dumm. Das Alter eines Menschen abwertend konnotiert anzuwenden ist ein hilfloser Versuch, die Person lächerlich und vor allem ungefährlich zu machen. „Oma“ impliziert die Erwartung, dass stereotype Geschlechtsnormen erfüllt werden. Sehr langweilig, so wie die immer abwertende Verwendung der Worte: alternde Frau. Ja, altern passiert, sogar den Journalisten, Bloggern und Moderatoren die diesen Schwachsinn schreiben.

Solche Wortkreationen werden von Medien geschaffen. Wer degradiert da wen: Männer die Frauen – oder die Jungen die Älteren?

Nein, der Schwachsinn ist inzwischen massentauglich geworden, wie viel sexistischer Unfug. Plötzlich redet jeder über Pop-Omas, Anorexie und Liftings, ohne eine Ahnung zu haben, was er eigentlich damit meint. Frauen als alt zu bezeichnen ist natürlich auch eine Beurteilung ihrer Verwertbarkeit auf dem Markt der Fortpflanzung. Madonna wird die Fähigkeit ihrer Reproduzierbarkeit abgesprochen, und sie wird damit für wertlos erklärt – das vornehmlich von Männern und jüngere Frauen, die nicht die Hellsten sind, sie müssen ihre eigenen vermeintlichen Vorteile herausheben, indem sie sich abfällig über ältere, meist schönere oder erfolgreichere Frauen äußern.

Die Häme über das fortschreitende Alter ist bei Madonna seit Jahren besonders groß. Zumindest wird sie von bunten Blättern gern für ihren Sport- und Trainingsdrang und angebliche Botox-Eskapaden verurteilt. Vielleicht ist es die Verbitterung ihrer Fans, die mit ihr älter geworden sind?

Es ist erstaunlich, wie jung Madonna ist. Die Wut über die Dauer ihres Erfolgs, der sicher den aller Menschen, die über sie urteilen, übersteigt, hält sich seit gut einem Jahrzehnt. Den Berichten nach zu urteilen müsste sie heute in Jopi Heesters Alter sein. Sie ist aber nur in einer Altersgruppe mit Brad Pitt, George Clooney oder Bono, und sie ist um einiges jünger als Sting, der vermutlich selten als „Pop-Opa“ bezeichnet wird. Vielleicht hat Madonna sich liften lassen, vermutlich verwendet sie Botox – so what? Egal, ob man Madonnas Musik mag oder nicht, hat die Frau eine einzigartige Karriere gemacht. Würde sie nicht auf ihr Äußeres achten, egal mit welchen Hilfsmitteln, wären die Kommentare noch hämischer. Falten sind an einer Frau in der öffentlichen Wahrnehmung erst akzeptabel, wenn sie über 100 ist. Das Wunder der Doppelmoral. Werde alt und faltig – als Frau ist es nicht recht, machst du was dagegen, ist dir die Häme auch sicher. Am besten sind Frauen vermutlich nicht öffentlich oder tot.

Ab welchem Jahresring darf das Alter bei Künstlern denn anerkennend erwähnt werden?

Ich habe keine Ahnung, was vor allem Medien im deutschsprachigen Raum am Alter eines Menschen so erregt. Was wollen sie uns mitteilen? Alter ist kein Verdienst. Es passiert.

Die Rolling Stones sind fast 70, trotzdem werden sie selten Rock-Opas genannt. Woran liegt das?

An den Penissen, die – vermutlich – an den Körpern der Bandmitglieder befestigt sind? Erfolgreiche Frauen, egal in welcher Branche, sind immer noch scheinbar Exoten in einer heteronormativen Welt. Versucht man nicht, sie über ihr Alter zu diskreditieren, müssen eben ihre Fähigkeiten als Mutter oder Geliebte ran. Die Journalisten sind ja weltweit fast vor Glück kollabiert, als die Ehe von Demi Moore und dem 16 Jahre jüngeren Ashton Kutcher endlich auseinanderging. Eine ältere, nicht mehr zur Nachwuchserzeugung brauchbare Frau mit einem jüngere Mann! Zeter und Mordio!

Zurzeit löst ziemlich viel an Madonna Provokation aus: Auf ihrer Tour sorgten u. a. eine blitzartig entblößte Brust in Istanbul und ein Hakenkreuz auf Marine Le Pens Stirn in einem Video für Aufregung. Ist diese Empörung von ihr gewollt, oder entsteht sie schon automatisch, egal, was sie tut?

Wenn die Demonstration von Sexualität provoziert, dann ist das eben so. Aber wen provoziert es und warum? Untersuchen wir nur Madonnas sogenannte sexuelle Provokationen, so tut sie nichts anderes als sehr viele männliche Kollegen. Brust raus, enge Klamotten, Geschlechtsverkehrsposen. Bei einer Frau ist das also eine Provokation. Mit Hakenkreuz und Co. ist Madonna auch nicht der erste Popstar, der politische Anliegen verfolgt.

Trägt Madonna also keine Mitschuld daran, dass ihr Alter ständig thematisiert wird?

Madonna thematisiert ihr Alter nicht. Man könnte darüber reden, ob ihre Kostüme geschmackvoll sind, ob sie stilsicher ist und so weiter. Aber über ihr Alter zu reden, in Kategorien wie „zu alt“ zu denken offenbart einen kümmerlichen, engen Verstand.

In Ihren Büchern geht es immer wieder um das würdevolle Altern und darum, wie schwer das ist. Kann es überhaupt funktionieren? Wenn ja, wie?

In meinen Büchern geht es vor allem um die Frage: Wie ist es im Wissen um unser Ende überhaupt möglich, würdig zu leben? Das Altern ergibt sich von selbst, da muss man kein großes Theater machen.

Für Toto, die naive, gutherzige Hauptfigur in Ihrem neuen Roman, „Vielen Dank für das Leben“, wäre Madonna, egal, wie alt oder künstlerisch gut, vermutlich perfekt?

Als Partner? Partnerin? Ich weiß nicht. Toto denkt nicht in solchen Klischees. Sie ist der Versuch eines perfekten Menschen, da verbietet man sich so etwas.

Zur Person

Sibylle Berg, geb. 1962 in Weimar, deutsche Schriftstellerin und Dramatikerin, lebt in Zürich. Werke: „Ein paar Leute suchen das Glück und lachen sich tot“, „Die Fahrt“, „Der Mann schläft“. In wenigen Tagen erscheint ihr neuer Roman „Vielen Dank für das Leben“ (Hanser). [Katja Hoffmann/LAIF]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.07.2012)

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