Nationalbibliothek: 500.000 Besucher und Visionen

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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ÖNB-Generaldirektorin Johanna Rachinger stellte Zukunftsvisionen bis 2025 zum Thema Digitalisierung und E-Book vor. Die Digitalisierung wird rasant vorangetrieben.

Auch wenn das E-Book an Bedeutung gewinnt: Die Nationalbibliothek (ÖNB) benötige trotzdem den neuen Tiefspeicher unter dem Heldenplatz, erklärte Generaldirektorin Johanna Rachinger am Freitag vor Journalisten. Im Spätherbst soll ein Konzept vorliegen, wie der Speicher gemeinsam mit einer geplanten Garage realisiert werden soll: „Wir sind 2013, 2014 voll, weil wir noch immer 50.000 Bücher im Jahr physisch sammeln müssen.“ Rachinger strebt eine Novelle zum Mediengesetz an, in dem die physische Sammlung von Neuerscheinungen gestrichen werden soll. Die ÖNB wird dann bis auf wenige Ausnahmen nur noch E-Books sammeln.

Hauptthema der Pressekonferenz war das Konzept „Vision 2025“. Die Digitalisierung wird rasant vorangetrieben. Bettina Kann, Abteilungsleiterin für die digitale Bibliothek der ÖNB, und Max Kaiser, zuständig für Forschung und Entwicklung in dieser Abteilung, schilderten im Prunksaal inmitten edler Bücheraltertümer anschaulich die künftige Benutzerfreundlichkeit: Journalisten werden sich online über lang zurückliegende Malversationen von Politikern informieren können, Doktoranden Recherchen in Minuten statt in Tagen oder Wochen durchführen. Unternehmer, die im Zuge der Retrowelle Produkte entwickeln, die aussehen wie vor 100 Jahren, werden diese via Zeitungswerbung online abrufen.

Papyrologen werden weltweit Vergleiche von Papyri anstellen und virtuell Schriften zusammenfügen, die jahrhundertelang getrennt in verschiedenen Bibliotheken verstreut waren. Ein Literaturliebhaber wird eine Ausstellung im ÖNB-Literaturmuseum, die er in Wien gesehen hat, mit seiner Familie wieder aufleben lassen können. Künftig soll der Großteil der ÖNB-Bestände online und nach Möglichkeit in Volltextsuche angeboten werden.

Zwischen Lesesaal und „Web 0.3“

Die ÖNB wolle ein „offenes Wissenszentrum“, ein ebenso virtueller wie realer Treffpunkt sein, erklärte Rachinger: „Wir stehen für einen freien Zugang zu Wissen, für Innovation, Bildung und Verantwortung.“ Die „Vision 2025“ sei bewusst nicht von oben dekretiert, sondern „bottom up“ von den Mitarbeitern erarbeitet worden.

Für die Speicherung werden auch Cloud-Lösungen geprüft. Schwierig an den neuen Technologien sei, so Rachinger, dass Speichermedien, Hardware wie Software, veralten, daher in Abständen große Datenmengen umkopiert werden müssen. Verträge mit privaten Unternehmen wie Google sollen laut einer neuen Direktive der EU-Kommission nach einer bestimmten Maximalfrist die allgemeine Verfügbarkeit sichern: Von den 600.000 Büchern des frühen 16. bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts sind im Zuge des „Austrian Books Online“-Projekts (ABO) bereits 100.000 digitalisiert.

Die Sammlungstätigkeit wird sich stärker digitalen Publikationen, sozialen Netzwerken, Webinhalten, neuen Formaten widmen. Dabei wird die Anreicherung mit „Metadaten“ und die Vernetzung mit Zusatzinformationen im Rahmen eines „semantischen Web“ (Web 0.3) vorangetrieben und als „Open Data“ kostenlos der Allgemeinheit zur Verfügung gestellt. Lesesäle wird es aber auch 2025 geben. 2011 verzeichnete die ÖNB über 500.000 Besucher. Es gab 62 Millionen Seitenaufrufe und 9,3 Mio. Abfragen in den Online-Katalogen. bp

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.09.2012)

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