Peter Menasse kämpft gegen die Opferrolle

(c) AP (Jonathan Alpeyrie)
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„Rede an uns“ ist ein Plädoyer für stärkeres Selbstverständnis der Juden. Menasse spart auch nicht mit Kritik an hohen Funktionären der Kultusgemeinde und empfiehlt Nichtjuden ironisch einen „Test zur Wehrhaftigkeit“.

Wer waren die erfolgreichsten Juden der Geschichte? Der Wiener Peter Menasse lässt sich in seinem eben erschienenen Essay „Rede an uns“ auf eine gewagte Reihung ein: Karl Marx vor Jesus von Nazareth und Mark Zuckerberg. Alle drei – der deutsche Philosoph, der aramäische Religionsgründer und der US-amerikanische Geschäftsmann, der Facebook gründete – haben mehr als eine Milliarde Anhänger, Gläubige, Mitglieder, sind also im Match der „publikumswirksamen“ Juden weit vorn.

Diese Liste, die noch u. a. durch Levi Strauss (den mit den Blue Jeans), Irving Berlin (den Komponisten von „White Christmas“) und Albert Einstein (Physik) ergänzt wird, ist auch ein wenig humorvoll gemeint. Denn im Kontext des Essays will uns Menasse auch sagen, dass es unmöglich ist, den Juden an sich zu definieren. Zu unterschiedlich sind die historischen Hintergründe. Einstein zitiert der Autor mit folgendem Bonmot: „Wenn ich mit meiner Relativitätstheorie recht behalte, werden die Deutschen sagen, ich sei Deutscher, die Franzosen, ich sei Weltbürger. Erweist sich meine Theorie als falsch, werden die Franzosen sagen, ich sei Deutscher, und die Deutschen, ich sei Jude.“

Mit einer Fülle solcher Anekdoten lockert Menasse sein Buch auf, es hat jedoch einen äußerst ernsten Hintergrund. „Rede an uns“ ist eine kompakte Streitschrift, die dazu ermuntert, dass die Juden sich nicht auf ihre Opferrolle reduzieren lassen. Der Essay ist ein Appell an positives Denken, an Dialogfähigkeit. Bei allem Respekt für die Ermordeten der Shoa setzt sich Menasse offenbar dafür ein, dass zur Geschichte wird, was bisher als Zeitgeschichte galt. „Ich meine nicht, dass wir den Kampf gegen Antisemiten beenden sollen“, schreibt er: „Im Gegenteil, wir müssen wachsam und wehrhaft bleiben. Aber wir sollten dabei einen selbstbewussten Gestus einnehmen und nicht die klagende Haltung des Opfers.“

Wandelt der Ex-Prokurist des Jüdischen Museums auf den Spuren von Philosophen, die einer Kultur des Vergessens das Wort reden? Zumindest will er offenbar eine Akzentuierung setzen, die gerade im Umfeld der Präsidentenwahl in der Israelitischen Kultusgemeinde aktuell scheint. Menasses Buch sucht auch die Konfrontation innerhalb der Gemeinde und warnt vor dem vorschnellen und unüberlegten Gebrauch des Vorwurfs des Antisemitismus: „Wenn wir jederzeit ohne wirklichen Anlass ,Pogrom‘ rufen, verspielen wir jedes Verständnis.“

Der Vorwurf Menasses an höchste Repräsentanten der Kultusgemeinde: Sie redeten die Gefahr des Antisemitismus größer, als sie ohnehin sei. Kritik an der Führung sei dort ganz und gar nicht erwünscht: „Wenn wir es dennoch tun, steht der Vorwurf im Raum, wir spielten den Feinden in die Hände.“ So also erstarrten „viele von uns in der Position der Opferschafe, die folgsam ihren Hirten nacheilen, damit sie nicht von den angeblichen Schlächtern geholt werden“. Die Beschlussfassungen des Gremiums erinnern den Autor an jene in „Parlamenten stalinistischer Diktaturen“. Ein ähnlich massiver Vorwurf Menasses, ohne dass explizit ein Name genannt wird: Einer der wichtigsten Repräsentanten der Wiener Kultusgemeinde nutze seine Position als Vertreter der Juden und die Drohung des Antisemitismus aus, um sich Vorteile zu verschaffen.

Dieser Teil des Essays mag vielleicht von lokaler Brisanz sein, für den allgemeinen Leser interessanter ist es jedoch, wenn sich der Autor von solchen Interna löst und über den Umgang mit Antisemitismus, Gedenkstätten oder Entschädigungen schreibt. Dabei skizziert er ein starkes jüdisches Selbstverständnis. Es klingt auch sehr viel Ironie durch, etwa wenn er den Nichtjuden einen „Test zur Wehrhaftigkeit“ empfiehlt: Man könne ja an einem Stammtisch ein jüdisches Lied singen oder mit einer Kippa zu einem Fußballspiel gehen – oder ganz einfach Freunden und Bekannten widersprechen, die über Ausländer schimpfen. Die angenehmste Aufgabe, die am besten den Geist dieses schmalen Buchs vermittelt: „Finden Sie drei Gründe, warum es Ihnen eigentlich sehr gut geht und Sie daher keinen Sündenbock brauchen, der an Ihrem Elend Schuld trägt.“

. . . mehr als ein  bisserl Juden berauben

Menasse befasst sich mit (fehlender) Vergangenheitsbewältigung in Österreich und dem Bösen an sich, er entzaubert en passant erneut manchen Mythos – etwa den, dass der Fußballstar Matthias Sindelar, wie im Gedicht von Friedrich Torberg impliziert, zum Widerstand gegen die Nazis gehörte. Sindelar war Nutznießer bei der Arisierung eines jüdischen Cafés, dessen Vorbesitzer wurde im KZ Theresienstadt ermordet.
Auf entsprechende Artikel Menasses reagierte Wiens Kulturstadtrat und setzte eine Kommission ein, die herausfinden sollte, ob Sindelar weiterhin würdig für ein Ehrengrab der Stadt sei. Es blieb ihm erhalten. Menasse: „Eine gute Ballbehandlung zählt in Österreich allemal mehr als ein bisserl Juden berauben.“ Solche Sätze sind typisch für diesen kecken Essay.  Er ist abgeklärt aufgeklärt und sogar hilfreich für eine ernste Debatte.

Zur Person

Peter Menasse (*1947) ist Kommunikationsberater in Wien. Als Betriebswirt war er über 20 Jahre lang in der Energiewirtschaft tätig. Bei der IKG-Wahl kandidierte er auf der Liste Chaj. Seit 2000 ist er Chefredakteur des Magazins „NU“, das sich dem heutigen jüdischen Leben widmet (www.nunu.at). Sein Essay „Rede an uns“ ist soeben in Wien bei der Edition A erschienen. [ Privat ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.11.2012)

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