Katherine Boo: Kinder des Elends

Katherine Kinder Elends
Katherine Kinder Elends(c) Droemer
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Die Journalistin Katherine Boo hat ihren ersten Roman im indischen Slum Annawadi angesiedelt. Vielleicht keine Lektüre für schwache Herzen. Aber außergewöhnlich gut.

So, wie Katherine Boo das Leben im Slum beschreibt, hat man sich das Leben im Slum vielleicht nicht vorgestellt. Was die Frage aufwirft: Haben wir uns überhaupt je vorgestellt, wie es sich im Elend lebt? Die mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnete Journalistin Boo knallt in ihrem Buch „Annawadi oder der Traum von einem anderen Leben“ die Unerträglichkeit dieser Existenz dem Leser ins Gesicht.

Wir befinden uns in Bombay (Mumbai), Indiens brodelndem Kessel, auf einem Stück Land der indischen Luftfahrtbehörde, wo sich 3000 Menschen in 300 notdürftig gezimmerte Hütten quetschen. Annawadi heißt der Slum. Seine Bewohner verdingen sich als Müllsucher und Tagelöhner, ernähren sich von Rattenfleisch, wenn der Tag schlecht war, träumen davon, einen iPod zu besitzen, wissen aber, dass sie das Schicksal auch am nächsten Tag rechts und links ohrfeigen wird. Boo erzählt von der muslimischen Familie Husain, von der ehrgeizigen Asha, die Slumlord werden will, von Fatima, die Einbein genannt wird und sich anzündet – und damit die Husains ins Verderben stürzt. In Annawadi sind Freundschaften und Feindschaften ein und dasselbe.

Boo hat für ihr Buch lange vor Ort recherchiert. Sie zeichnet das Bild von einem traurigen, nein, niederschmetternden, korrupten Indien. Ihre Sprache ist gestochen scharf, mit ihren Protagonisten geht sie wohltuend behutsam um. Kein Buchstabe wurde in diesem Buch verschwendet. Außergewöhnlich gut. duö


Katherine Boo: „Annawadi oder der Traum von einem anderen Leben“. Übersetzt von Pieke Biermann. Droemer, 336 S., 20,60 €.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.11.2012)

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