Voss liest Voss, der über Voss geschrieben hat

(c) APA GEORG HOCHMUTH (GEORG HOCHMUTH)
  • Drucken

Gert Voss hat seine Autobiografie „Ich bin kein Papagei“ in ein Hörbuch verwandelt. Aus diesem Anlass philosophiert er im "Presse"-Gespräch über Sprache und die Musikalität, die auch das Sprechtheater braucht.

Gert Voss hat seine Memoiren geschrieben und vor Jahresfrist als Buch veröffentlicht. Nun hat er sie auch gelesen – auf CD erschien soeben die Hörbuchvariante von „Ich bin kein Papagei“. Womit sich der Schauspieler auf eine neue Ebene begeben hat: Voss liest Voss, der über Voss geschrieben hat.

Beides, das Schreiben wie das Lesen des Geschriebenen, war keine leichte Übung. Die Biografie entstand im Gespräch zwischen dem Schauspieler und seiner Frau, der Dramaturgin Ursula Voss – und zwar in zwei Anläufen.
Zunächst wurden die Dialoge aufgenommen und transkribiert. „Was dabei herauskam, hat mir überhaupt nicht gefallen“, sagt Voss. „Wir haben dann noch einmal von vorn begonnen.“ Das sei ein Lernprozess gewesen. Einfach „drauflosplaudern“, das sei nicht möglich. Zumindest ergibt es keine Grundlage für ein gutes Buch.
„Beim zweiten Mal hab ich dann mehr an die Geschichte gedacht, mein Erzählduktus hat sich dadurch verändert. Ich wollte auch, dass meine Frau nachhakt“, um den Fluss der Erzählungen aufrechtzuhalten und Unklarheiten gleich aufzuklären.

„Wir sind zu schnell, zu flüchtig“

So konnte der Erzähler Voss vor dem Leser Voss bestehen. Die Verwandlung des Textes in die Grundlage eines Hörbuchs stellte die nächste Hürde dar. Ein Lesetext ist zum Sprechen nur bedingt geeignet. „Mein Regisseur hat mir immer gesagt: Sie dürfen mir das nicht vorlesen. Sie müssen mir die Geschichte erzählen. Das ist ein gewaltiger Unterschied. Ich habe dann auch manche Textpassagen entsprechend geändert.“

„Wenn man ein Buch liest“, sagt der Schauspieler, „denkt man nicht an einen möglichen Hörer, dem man das vorlesen könnte. Aber  wenn ich im Rundfunk etwas höre, freue ich mich über Schauspieler, die mir Zeit geben. Das ist ein Vorgang, der für das Theater übrigens genauso gilt: Wir sind oft viel zu schnell. Viel zu flüchtig, denke ich. Gerade bei den Klassikern geht es ja nicht um Sätze, wie wir sie im Alltag sprechen.“ Die durchaus „komplizierte, poetische Sprache“ bei Schiller oder Kleist komme heute kaum zu ihrem Recht, weil man im Theater „Angst vor dem Deklamieren“ hat.

Freilich: „Man kann plastisch sprechen, ohne zu deklamieren.“ Im Übrigen: „Was heißt das: jemand deklamiert? Bei einem Dichter wie Schiller kann die Sprache sich verselbstständigen, sodass das Publikum gar nicht mehr zuhört. Die Jamben setzen sich fort. Sie klingen nur noch und man fragt sich: Was hat der da jetzt eigentlich gesagt? In all diesen rhythmisierten Sätzen muss doch der Gedanke klar werden, trotz dieser äußerlichen Melodie?“

Die Angst vor dem Sprachstrom

Aus Furcht, vom Strom der Sprache hinweggespült zu werden, versucht man am Theater heutzutage gern, „die Dinge auf Menschenmaß zurückzubringen. Man spricht, als könnte man die Sprache sozusagen in die Tasche stecken. Das funktioniert aber nicht. Die Figuren bei Schiller reden nicht wie einer von uns. Ein Marquis Posa spricht immer auf einem gewissen Niveau. Wenn wir versuchen, das auf unser Maß zu dimmen, wird die ganze Handlung lächerlich.“

Vor allem deutsche Dramen hält Gert Voss diesbezüglich für extrem verletzlich. Im Vergleich dazu Shakespeare: „Ein Hamlet kann Sätze sagen, die für die Ewigkeit geschrieben wurden. Im nächsten Moment aber sagt er Dinge, wo man denkt: Wie kann dieselbe Figur jetzt so etwas von sich geben? Shakespeare spielt mit der Sprache, bricht das Pathos mit Trivialität. Er hat so viel über die Menschen gewusst. Selbst wenn sie übergroß werden, dann stehen sie in ihrer Übergröße doch mit beiden Beinen auf dem Boden.“

Um das erkennen zu können, bedarf es freilich der Lektüre der Originaltexte. Ein deutscher Shakespeare-Darsteller hat seine liebe Not mit den Übersetzungen: „Im Englischen hat fast jedes Wort mehrere Bedeutungen. Es schwingt mit der ernsten auch die komische mit. Das können wir im Deutschen kaum wiedergeben.“

Aber der Schauspieler kann es mitdenken, die Ebenen des Sprechens und des Spiels entsprechend harmonisieren. Voss, wenn er von der Theaterpraxis erzählt, argumentiert wie ein Dirigent bei einer Orchesterprobe. „Solistische“ Auftritte sind ihm ein Gräuel. Ein Schauspieler sollte stets „das Ganze“ im Auge haben, auch, wenn er gerade einen Monolog zu sprechen hat: „Die Frage, wie lange ein Pause sein darf“, sagt er, „hat auch etwas mit dem Rhythmus, mit dem Tempo zu tun“ – Parameter, die man sich aus Text und Gehalt eines Stückes wie aus einer Partitur herauslesen müsse.

Demnächst gibt es – in Leipzig – wieder einmal Gert Voss auf dem Konzertpodium: „Ich darf wieder einmal an einer Aufführung von Schumanns ,Manfred‘ mitwirken“, sagt er, „als ich das zum ersten Mal gemacht habe, war ich fasziniert von der unterirdischen Übereinstimmung, die zwischen den Musikern herrscht.“ Das Aufeinander-Hören sei auch eine wesentliche Eigenschaft „in allen großen Schauspielaufführungen“, sagt er, „wenn auch unausgesprochen, instinktiv“.

Theater zum Hören

Apropos Musikalität: Gert Voss, wenn er sich auf eine neue Rolle vorbereitet, hört gern CDs mit Tonaufnahmen großer Kollegen: „Da war mir immer wichtig, nichts zu sehen, sondern mich auf die Sprache zu konzentrieren.“
Freilich: Theater nur akustisch wahrzunehmen, „das geht nur in der Oper. Da habe ich oft die Augen geschlossen, wenn ich nicht mochte, was auf der Bühne vor sich ging. Im Schauspiel ist die Körperlichkeit, die ja auch durch die Sprache bedingt ist, wichtig.“

„Je besser ein Schauspieler mit der Sprache umgehen kann, desto stärker verändert er sich auch körperlich. Sprache muss durch den ganzen Körper gehen. Wenn sie nur im Kopf stecken bleibt, bringt sich das Theater um die Hälfte seines Wesens. Dann würde es wirklich genügen, es sich auf CD anzuhören . . .“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.12.2012)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.