Graphic Novel: Goliath als Underdog

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Der erfolgreiche schottische Cartoonist Tom Gauld erzählt in seinem ersten Comicbuch die Geschichte von Goliath und dessen biblischen Mythos
neu – sein Wiener Kollege Nicholas Mahler hat übersetzt.

Das Ende ist unausweichlich und allgemein bekannt – aber wie es dazu kommt, widerspricht der Überlieferung doch frappant: „Zunächst denkt bei der Geschichte von David gegen Goliath jeder an den Kampf eines kleinen Jungen gegen einen Riesen“, erklärt der als Cartoonist (u. a. im „Guardian“ und der „New York Times“) erfolgreiche Schotte Tom Gauld den Ansatz zu seinem ersten Comicbuch: „Doch wenn man genauer hinschaut, kämpfen eigentlich ein kleiner Junge und der allmächtige Schöpfer des Universums gemeinsam gegen einen Riesen, und dann realisiert man, wer hier eigentlich der Underdog ist.“

In Gaulds reduzierter, aber hintersinniger Umdeutung des biblischen Mythos hat Goliath nämlich einfach Pech. In mehrerlei Hinsicht, aber vor allem wegen seiner enormen Körpergröße. Deswegen wählt ihn nämlich sein Hauptmann – ein Pionier der psychologischen Kriegsführung, dessen Ausdrucksweise verdächtig an Manager-Motivierungsseminare erinnert – aus, um das Heer Israels täglich im Alleingang herauszufordern und mit seinem hünenhaften Anblick ins Bockshorn zu jagen. Wer würde sich schon mit so einem Riesen anlegen?

Absurder Leerlauf wie bei Beckett

Gaulds Goliath protestiert vergeblich: „Ich bin kein Krieger. Ich bin der fünftschlechteste Schwertkämpfer meiner Einheit. Ich mach den Schreibkram. In Verwaltung bin ich ziemlich gut.“ Aber der Hauptmann beruhigt: „Zu einem Kampf wird es gar nicht kommen. Das spielt sich alles im Kopf ab.“ Für Goliath eine irreführende Verheißung, aber für Gaulds Ästhetik eine ziemlich gute Beschreibung: Der bleibt in „Goliath“ dem Understatement und verknappten Stil seiner Cartoons treu. In denen schickt er etwa die Brontë-Schwestern in ein Super-Mario-Videospiel, widmet sich der Straße, in der Tom Waits aufwuchs, oder konfrontiert Roboter mit existenziellen Krisen. Seine erste Graphic Novel hat fast 100 Seiten, aber das muss man sich eher als absurden Leerlauf wie bei Samuel Beckett vorstellen: Die meiste Zeit wird mit Warten verbracht. Kein Wunder, dass sich Goliaths Schildknappe bald beschwert, wie langweilig es ist.

Der ahnt ebenso wenig wie Goliath, was nach wochenlanger Routine auf ihn zukommen wird: kein Happy End für den Underdog. Im Kopf des Lesers sieht es anders aus, schon zu Anfang, als der Titelheld nachts herumstreift. Überhaupt ist Gaulds Goliath introvertiert, im Innersten vielleicht sogar ein Pazifist, der ahnt, dass er hier in einem Krieg gefangen ist, den keiner versteht. Den Schaukampf Riese gegen Bär, den ihm seine Kameraden vorschlagen, lehnt er ab („Das gibt mir nichts“), lieber tauscht er seinen Patrouillendienst gegen Verwaltungsaufgaben.

Der biblische Goliath war aggressiv: „Ich habe heute dem Heere Israels hohngesprochen, als ich sagte: Gebt mir einen Mann und lasst uns miteinander kämpfen.“ Im Gegensatz dazu ist Gaulds Goliath bescheiden und so schüchtern, dass es ihm recht peinlich ist, als sich sein Schildknappe (im Auftrag einer interessierten Tante) erkundigt, ob sein „Du weißt schon“ auch so riesig sei.
Gauld geht es nicht um Religion oder gar um ein Statement zu derzeitigen Konflikten in Nahost. Sondern um einen existenziellen Zustand: Goliath ist ein Rädchen in der Maschinerie, das zum Opfer unglücklicher Umstände wird. Verloren in der Welt, als wüsste er bereits, dass ihn das Schicksal brutal überwältigen wird. Seine offensichtliche Unschuld gibt der Geschichte eine tragische Dimension.

Gauld setzt auf einen verhalten elegischen Minimalismus: Strichmännchen in der Wüstenei, ratlos zwischen Felsbrocken. Kleine, präzise Details genügen für die Charakterisierung, neben Schwarz und Weiß gibt es nur einen Farbton: Braun wie die Erde, in der wir begraben werden. Geredet wird auch nicht viel, aber das pointiert: Gerade in seiner Lakonie eröffnet dieser Band seinen großen Resonanzraum. Es kann einen nicht verwundern, dass ein Seelenverwandter die Übersetzung vorgenommen hat: Der großartige Wiener Comic-Künstler und Cartoonist Nicholas Mahler, ebenfalls ein existenzialistischer Experte für die Verschränkung von weltschmerzendem Witz, minimalen Mitteln und maximaler Melancholie.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.01.2013)

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