Der Held des Romans, der bin ich!

(c) APA (Roland Schlager)
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Autoren bauen sich selbst in ihre Romane ein. Clemens J. Setz zieht einem Mann die Haut ab, Tilman Rammstedt verhilft einem Bankräuber zur Flucht, Wolf Haas lässt sich mit einem Manuskript verdreschen.

Clemens J. Setz gehört zu den derzeit wohl spannendsten jungen Autoren in Österreich. Mit seinem beklemmenden Erzählungsband „Die Liebe zur Zeit des Mahlstädter Kindes“ hat er den Leipziger Buchpreis gewonnen, sein Roman „Indigo“ – ein Gruselstück über eine Welt voller ausgestoßener, beziehungsloser Kinder – schaffte es 2012 auf die Shortlist des Deutschen Buchpreises.

Clemens J. Setz ist allerdings auch eine sehr zwielichtige Gestalt – jedenfalls wenn er als Figur in einem Roman von Clemens J. Setz auftaucht: Er soll einem Tierquäler bei lebendigem Leib die Haut abgezogen haben! Clemens J. Setz (der Autor) beharrt übrigens darauf, die Figur sei völlig autobiografisch. „Außer der Geschichte, die Clemens Setz im Roman erlebt, ist nichts erfunden.“

Es scheint ein Trend zu sein: Autoren lassen ihre Alter Egos Abenteuer sonder Zahl erleben, erfinden für sie neue Kindheiten, neue Karrieren, neue Amouren, ja neue Welten gar: Sie verhelfen unter dem eigenen Namen Bankräubern zur Flucht wie Tilman Rammstedt, sie geraten zwischen die Fronten wie Wolf Haas, erfinden sich eine Biografie als Stardirigentin wie Felicitas Hoppe.

Ko-Star Bruce Willis

Das ist manchmal irritierend wie in Setz' Roman „Indigo“ (Suhrkamp), der in einer sich brutalisierenden Gesellschaft spielt, die sich stets damit zu entschuldigen versucht, dass es ohne diese Brutalität eben nicht geht. Besonders verstörend: Die Opfer sind Kinder, sogenannte Indigo-Kinder. Man kann sich ihnen nicht gefahrlos nähern, in ihrer Gegenwart wird selbst den eigenen Eltern übel. Darum werden sie weggesperrt. Darum werden sie versteckt. Darum werden mit ihnen allerlei Experimente angestellt. Mittendrin der Mathematiklehrer Clemens J. Setz, der dem eigentümlichen Verschwinden der Kinder nachforscht – und dessen Leben in der Folge entgleist.

Es geht auch heiterer: In „Die Abenteuer meines ehemaligen Bankberaters“ (DuMont) stellt der Autor Tilman Rammstedt die Figur Tilman Rammstedt in den Mittelpunkt einer wahren Räuberpistole, samt Banküberfall, wilder Verfolgungsjagd und totem Hund. Da flieht er gemeinsam mit dem verletzten Bruce Willis auf einem Fahrrad, versteckt sich in den Wäldern, entkommt nur knapp in einem Boot und gräbt am Ende verzweifelt eine Tunnel, der nicht aus dem Gefängnis hinaus-, sondern ins Gefängnis hineinführen soll – und zwar mit der Kraft seiner bloßen Hände...

Manuskript als Waffe

Wobei: Ganz so einfach stellt sich dieser Fall nicht dar. Autor Tilman Rammstedt schreibt zwar über den Autor Tilman Rammstedt – aber die Abenteuer finden allesamt nur in Briefen statt, die der fiktive Rammstedt an einen fiktiven Bruce Willis schreibt: Er will den Actionhelden überreden, eine Rolle in des Autors neuem Film anzunehmen – und spinnt sich dabei in immer halsbrecherischere, immer absurdere, immer komischere Abenteuer ein.

Da ist sie wieder, die bekannte Lust am Tanz auf der Meta-Ebene, dieser Spaß am Überschreiten der Fiktion, der so alt ist wie der Roman selbst: Schon im „Don Quijote“, diesem Vorbild aller Romane, jenem Text, der die Gattung Roman erst begründete, taucht der Name des Autors plötzlich im Text selbst auf: Im ersten Teil des Werkes äußert sich ein Pfarrer äußerst kritisch über diesen Autor namens Miguel de Cervantes: „Sein Buch hat einiges von guter Erfahrung, legt einiges an und führt nichts durch. Man muss den zweiten Teil abwarten, den er verspricht.“ Im zweiten Teil outet sich eine Herzogin als Fan jener „Geschichte, die im Drucke umläuft“ und vom sinnreichen Junker Don Quijote handle. Sie und ihr Gemahl haben „beide den ersten Teil unserer Geschichte gelesen und daraus die närrischen Grillen Don Quijotes erfahren“. Sie laden den Ritter von der traurigen Gestalt und seinen Schildknappen ein – um Scherz mit ihm zu treiben.

Man sieht: Im Roman ist das Spiel mit der Form schon angelegt, später folgte das Drama – am bekanntesten wohl in Pirandellos „Sechs Personen suchen einen Autor“, am vergnüglichsten in den unterschätzten Stücken von Wolfi Bauer, in denen der Autor sich selbst auf die Bühne stellte, als Berserker oder aber nur als armen Wicht, dabei über sich und die Literaturproduktion sinnierend. Man könnte nun glauben, nach all der Zeit seien die kreativen Möglichkeiten dieser Spielerei irgendwann erschöpft: Setz, Rammstedt, Haas und Hoppe, deren Romane alle 2012 erschienen sind, belegen das Gegenteil. In „Die Verteidigung der Missionarsstellung“ etwa wird das erste Kapitel des Buches, an dem der Autor schreibt, gegen ihn selbst verwendet: Eine liebe Freundin stolpert nämlich über das Manuskript, sie beginnt darin zu lesen und erfährt, dass ihr Ehemann in eine andere verliebt war. „Es war das erste Mal in meinem Leben, dass ich aufgeweckt wurde, indem mir jemand mein Manuskript über den Schädel drosch.“

Hoppes „Traumbiografie“

Und Felicitas Hoppe hat mit ihrer „Traumbiografie“ über eine Autorin namens Felicitas Hoppe sogar den Büchner-Preis bekommen, die renommierteste Auszeichnung für deutschsprachige Literatur. Im lapidar „Hoppe“ genannten Band erfahren wir von einer Autorin, die in Kanada aufwächst (statt in Deutschland), die sich in der Jugend als Eishockey-Talent erweist, später als Dirigentin reüssiert und als Deutschlehrerin von ihren Schülern angehimmelt wird. Sogar ein paar erfundene Kritiken hat sie eingestreut – durchaus amüsant.

Aber warum schreiben sich die Autoren in ihre Bücher hinein – steckt da mehr dahinter als Spieltrieb? Manche mögen auf die beständigen Fragen danach reagieren, wie autobiografisch ihre Werke denn nun seien – indem sie den Lesern erst recht Rätsel aufgeben. Sicher ist: Die meisten haben zumindest den Charakter nicht verändert. „Die Geschichten sind echt, aber sie sind trotzdem Fiktion, weil man sich die eigene Biografie auch zurechtredet“, so Wolf Haas. Noch weiter geht Felicitas Hoppe: Das Schreiben von „Hoppe“ sei einer Selbsterkundung gleichgekommen: Es sei ihr ehrlichstes Buch.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.01.2013)

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