Alexis Jenni: Krieg und kein Frieden

Alexis Jenni Krieg kein
Alexis Jenni Krieg kein(c) Luchterhand
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Das erste Buch des französischen Biologielehrers Alexis Jenni wurde mit Preisen überhäuft. Recht so: Er seziert mit messerscharfen Sätzen die jüngsten Kriege Frankreichs.

General Sunzi, so will es eine alte chinesische Geschichte, General Sunzi also behauptet vor dem Kaiser, dass er alle Menschen wie im Krieg exerzieren lassen könne. Zum Beweis soll es Sunzi an den kaiserlichen Konkubinen versuchen. Es will nicht gelingen. Die Damen stehen auf dem Feld wie Kraut und Rüben, nehmen die Befehle nicht ernst, kichern unentwegt, da können die Kommandos noch so deutlich, der General noch so streng sein. Dann schließlich lässt Sunzi die Lieblingskurtisane des Kaisers, die zum Lachen angestiftet hatte, enthaupten: „Die hübschen Kurtisanen exerzierten stumm wie die besten Soldaten.“

So einfach ist das. Wir gehorchen. Wir führen Kriege. Ein knappes, aber gruseliges Fazit, das wir aus Sunzis Geschichte schöpfen – dabei füllt sie nur knappe zwei Seiten in Alexis Jennis 760-Seiten-Schinken „Die französische Kunst des Krieges“. Zu erzählen gibt es in der Tat viel, denn Jenni tranchiert Scheibe für Scheibe die jüngsten Kriege Frankreichs, ein Land, in dem Waffenruhe bisweilen als Ausnahmezustand gelten könnte. Oder wie Jenni seinen Protagonisten Victorien Salagnon mit der Achsel zucken lässt: „Ich? Alles. Die Résistance, Indochina, Algerien. Ein bisschen im Knast und seitdem nichts mehr.“

Jenni hat sein Buch in zwei parallelen Welten angesiedelt, mit zwei Protagonisten, die einander begegnen. Salagnon ist Kriegsveteran. Er hat Dinge gesehen, die kein Mensch zu beschreiben vermag, daher hat Salagnon seine Erlebnisse mit Tusche gezeichnet. Der zweite Protagonist, der anonyme Erzähler, ist ein Nachkriegskind Frankreichs, dem bewusst wird, dass es in Frankreich keine Nachkriegskinder gibt. Per Fernseher erlebt er den Zweiten Golfkrieg, als Frankreich 1991 im Rahmen der „Opération Daguet“ tausende Soldaten in die Wüste schickt: „Der Golfkrieg entstellte die Wirklichkeit, und die Wirklichkeit gab erstaunlicherweise nach.“

Im Land selbst tobt seit geraumer Zeit ein anderer Krieg, in den viel zitierten Vororten französischer Städte, wo sich Hoffnungslosigkeit und Gewalt zusammenfügen lassen wie ein Reißverschluss. Ein Pulverfass, wie es gern in den Nachrichten heißt. Ein Krieg mit seinen eigenen Regeln.

Jenni verwebt in seinem Roman alle diese Kriege wie ein Spinnennetz miteinander. Die Protagonisten, die sich in einer Spelunke am Stadtrand begegnen, schließen einen Pakt: Der Erzähler erzählt Salagnons Geschichte, dieser bringt ihm dafür das Zeichnen bei. Mit sprachlicher Akribie und messerscharfen Sätzen lässt Jenni schildern, wie sich Salagnon der Résistance anschloss, um die Wehrmacht zu bekämpfen – und anschließend in die sengende Hitze Indochinas und Algeriens ging und dort selbst zum Dämon wurde. Frei nach dem Motto: „Wenn wir nur die Partisanen töten würden“, wie Jenni einen deutschen Offizier sagen lässt, „dann wäre das ganz normaler Krieg. Der Terror ist ein sehr raffiniertes Instrument, das darin besteht, eine panische Angst zu verbreiten, die die Straßen freimacht.“

Die Geschichte des Erzählers selbst ist zeitweise ebenso packend und nervenzerreißend wie Salagnons Vergangenheit, oft aber langatmig, vielleicht hervorgerufen durch eine ständige und seltsame Wortwiederholung. Häufig franst der Gedankenschwall des Erzählers, und das ist ärgerlich, in alle Himmelsrichtungen aus. Das soll aber bitte nicht täuschen: Jennis Buch ist ein Wahnsinn.

Soldaten in Mali. Hätte er mit dem Roman noch ein bisschen gewartet, er hätte erzählen können, wie französische Soldaten nach Mali geschickt wurden, wie es erst vor ein paar Tagen passiert ist. Er hätte auch erzählen können, dass das gefühlte zwei Minuten nach der Verleihung des Friedensnobelpreises an die EU – und somit auch an Frankreich – passiert ist.

Jennis Buch war jedenfalls eine große Überraschung. Es ist das erste Werk des Biologielehrers (geb. 1963), das er übrigens im Kaffeehaus verfasst haben soll. Den hymnischen Rezensionen folgten namhafte Preise wie der Prix Goncourt. Das lässt vielleicht folgenden Schluss zu: Frankreich setzt sich nun mit den Kriegen in Algerien und Indochina auseinander.

Alexis Jenni: „Die französische Kunst des Krieges“, übersetzt von Uli Wittmann, Luchterhand-Verlag, 768 Seiten,25,70 Euro

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.01.2013)

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