Achtung, Sprachwandel: Weib, Dirne, Neger

(c) AP (JENS MEYER)
  • Drucken

Früher war Maria „gebenedeit unter den Weibern“ und das Rotkäppchen der Brüder Grimm war eine kleine, süße Dirne. Und früher sagte man auch „Neger“. Über Sprachwandel und unsere Schwierigkeit mit ihm.

„Ein Tisch ist ein Tisch“ – so lautet der Titel einer Erzählung des Schweizer Schriftstellers Peter Bichsel: Sie handelt von einem alten Mann, der eines Tages beschließt, dass sich etwas ändern muss. Er beginnt damit, zum Bett nicht mehr Bett zu sagen, sondern Bild: „Ich bin müde, ich will ins Bild.“ Am nächsten Morgen überlegt er, wie er zum Stuhl sagen soll, und nennt ihn Wecker. So geht es weiter: Zum Tisch sagt er Teppich, zur Zeitung Bett, zum Teppich sagt er Schrank. „Aber eine lustige Geschichte ist das nicht. Sie hat traurig angefangen und hört traurig auf.“ Die Leute verstehen den alten Mann nicht mehr, und der alte Mann versteht die Leute nicht mehr.

„Die Bedeutung eines Wortes ist sein Gebrauch in der Sprache“, schrieb Wittgenstein. Eine Sprache, die nur von einem einzelnen Menschen gesprochen wird, verfehlt ihren Zweck, ja, es ist die Frage, ob man sie überhaupt Sprache nennen kann. Aber Bichsels Geschichte ist nicht nur eine Parabel auf die Notwendigkeit der Kommunikation. Sie weist auch darauf hin, dass die Wörter, mit denen wir Gegenstände bezeichnen – von lautmalerischen Ausnahmen abgesehen – willkürlich gewählt sind. Tatsächlich wäre es jederzeit möglich, zum Tisch Stuhl zu sagen. Man muss sich nur darauf einigen.

Böse Anglizismen?

Dass die Verbindung zwischen Zeichen und Bedeutung eine Frage des Gebrauchs ist, schafft erst die Voraussetzung dafür, dass Sprache sich wandelt, dass sie sich anpasst – indem sie etwa neue Wörter hervorbringt für all die neuen Dinge, ob Perücke (von franz. peruque, Haarschopf) oder Auto, ob Internet oder Smartphone: Auf diese Neuschöpfungen vergisst oft, wer die Verarmung der Sprache beklagt. Die Angst vor dem Sprachwandel wurzelt ja oft in der Sorge, dass Vertrautes verschwindet und/oder von Fremdem verdrängt wird. Sprache ist Heimat. Es ist die Heimat unserer Kindheit und Jugend.

Vor allem Anglizismen sind manchem ein Dorn im Auge, wobei oft übersehen wird, dass englische Begriffe die deutschen nicht unbedingt verdrängen, sondern ergänzen – das Mail bezeichnet die elektronische Post, nicht die papierene, das Game das Computerspiel, während alle anderen Spiele weiter heißen dürfen, wie sie immer hießen. Aber die Sprache importiert nicht nur, sie erfindet auch: Handy etwa ist ein Scheinanglizismus – und auch wenn sich Sprachwissenschaftler über seine Herkunft streiten, so schlecht ist dieses Wort nicht geraten: Man trägt es in der Hand, und es ist klein, dafür steht das „y“, das wie jenes „i“ ausgesprochen wird, das wir vom Heinzi und vom Katzi kennen.

Die neuen Wörter, ob geliebt oder ungeliebt, sind eine wichtige Kraft des Sprachwandels – aber nicht die einzige: Wörter verändern ihre Bedeutung, oft sogar radikal. Im Althochdeutschen bezeichnete „thiorna“ die Jungfrau. „Es war einmal eine kleine, süße Dirne“, schrieben die Brüder Grimm. Später verstand man – Dialekte ausgenommen – unter Dirne eine Prostituierte (wobei diese Bedeutung vom Aussterben bedroht zu sein scheint – „Nutte“ und die „Hure“ haben ihr den Rang abgelaufen). Ähnliches passierte dem „Weib“. Das Althochdeutsche versteht unter „wib“ die Ehefrau ganz generell, später nur mehr die Frau aus einer niederen Schicht. Die Bezeichnung „frouwe“ war dem Adel vorbehalten. Aber wie es so ist: Der Mensch schmeichelt gern – immer häufiger wurden Weiber als Frauen angesprochen, weshalb ein neuer Begriff nötig war, um den hohen Rang zu betonen: Die Dame war geboren. Die Frau wurde die Norm, das Wib vulgär. Wie auch bei der „Dirn“ bewahrten übrigens die Dialekte die ursprüngliche Bedeutung: „A nett's Dirndl“ ist in Tirol immer noch ein nettes Mädchen, „a guats Wib“ in Vorarlberg eine tolle Frau.

Als weiteres Beispiel für Pejorisierung, also Abwertung, wird gern das Wort „Neger“ angeführt. Es hat seine Wurzeln im Lateinischen und hätte ursprünglich nichts weiter bedeutetet als: schwarz. Heißt es. Aber war diese Bezeichnung tatsächlich neutral? Der Begriff kam im 16. Jahrhundert im Zuge des Sklavenhandels in Portugal und Spanien („negro“) auf. Es war die Bezeichnung für eine Ware. Und wo man nicht den Sklave meinte, meinte man ein Volk, über das man sich erhob. Der Brockhaus von 1839 definiert den „Charakter des Negers“ als eine Mischung von „Regsamkeit und Schlaffheit“. Afrikanische Musik sei „roher Lärm“, der Glaube „gröbster Aberglaube“.

Die Geschichte des Begriffs ist also von der Geschichte des Sklavenhandels, des Kolonialismus nicht zu trennen. Die Denunzierung des Wortes „Neger“ geht einher mit dem Zurückdrängen des Rassismus in den USA. Martin Luther King hat seine berühmten Worte „I have a dream“ 1963 formuliert: In der Folge setzten sich die Bezeichnungen „Schwarze“ oder „Afroamerikaner“ durch. Sprache wandelt sich auch hier nicht willkürlich – sie spiegelt gesellschaftliche Prozesse wider.

Doch Wandel braucht oft Zeit: Menschen beharren gern darauf, so sprechen zu dürfen, wie sie es in der Kindheit und Jugend getan haben – und Kinderbücher, die man damals geliebt hat, sieht man ebenfalls ungern verändert. Das hat mit Nostalgie zu tun. Ein anderer Bremsfaktor des Wandels zeigte sich etwa bei den Debatten um die Rechtschreibreform: Man ist in seiner Sprache nicht nur heimisch, man beherrscht sie auch, man weiß um lateinische oder griechische Wurzeln, weiß um Ableitungen. Dieses Wissen soll nicht verloren gehen. Je gebildeter, desto skeptischer scheinen Menschen gegenüber sprachlichen Veränderungen zu sein.

„Dieses Weib“ – das klingt rüde

Bis sich eine neue Bedeutung, bis sich ein neues Wort durchgesetzt hat, dauert es. Aber irgendwann ist es so weit: Keiner würde eine anwesende Frau heute rüde als „dieses Weib“ bezeichnen, sogar Maria im Rosenkranz ist längst „gebenedeit unter den Frauen“. Und wenn man die Grimm'schen Kinder- und Hausmärchen liest, wird man immer häufiger feststellen: Aus Rotkäppchen, der süßen Dirne, ist ohne großes Aufsehen ein „Mädchen“ geworden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.01.2013)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Literatur

Nöstlinger gegen Umschreiben von Kinderbüchern

Die Kinderbuchautorin Christine Nöstlinger hält das politisch korrekte Ändern anstößiger Wörter in Kinderbüchern für „Unfug“.
Warum Wort bdquoEskimoldquo verwenden
Subtext

Warum man das Wort "Eskimo" verwenden darf

Dass Völker andere Völker mit Namen bezeichnen, die nicht aus deren eigener Sprache kommen, ist nicht per se diskriminierend.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.