Bibliotheca Vaticana: Dantes Inferno und das Vaterunser

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So einzigartig wie die Institution Vatikan ist ihre Bibliothek. Seit Kurzem werden alle 80.000 Handschriften digitalisiert, darunter einige der kostbarsten weltweit.

Papier kann brennen, brennt eine Bibliothek, geht oft Unersetzliches verloren. Davon hat die Vatikanische Bibliothek besonders viel: etwa das älteste erhaltene Vaterunser, ein Evangeliar von Karl dem Großen, zentnerschwere Musikhandschriften aus der Capella Sixtina, aus denen seinerzeit der ganze Chor die Noten ablas, Vorzeichnungen zum Vier-Ströme-Brunnen auf der Piazza Navona, Berninis erste Skizzen zu den Kollonaden am Petersplatz ...

Eine der bedeutendsten Handschriftensammlungen der Welt lagert in der Bibliotheca Apostolica Vaticana. In den kommenden Jahren wird dafür gesorgt, dass diese Kulturschätze möglichst für immer erhalten bleiben. Alle insgesamt 80.000 Handschriften sollen in den kommenden Jahren digitalisiert werden, dank Nasa-Technologie in einer Qualität, die sie noch besser lesbar macht als im Original. Und man hat bereits damit begonnen: Vor wenigen Wochen wurden die ersten 256 Handschriften auf der Seite vaticanlibrary.va online gestellt.

Der humanistische Vatikan

Wenn es Dinge im Vatikan gibt, die einen verstehen lassen, was die Kirche als Institution so unvergleichlich macht, dass immer noch bei jedem Konklave „die ganze Welt“ nach Rom schaut, dann gehört die päpstliche Bibliothek dazu. Ihre Geschichte beginnt im 15.Jahrhundert mit einem fortschrittlichen Papst, Nikolaus V., dem ersten Humanisten unter den Päpsten. Er nahm sich Bibliotheken wie jene der Medici in Florenz zum Vorbild, ließ in Europa und Kleinasien Bücher kaufen und beschäftigte ein Heer von Schriftgelehrten, die Bestände aus anderen Bibliotheken kopierten. Nur durch Wissen und intellektuelle Anstrengung könne die Autorität der römischen Kirche ganz erkannt werden, begründete er seine Einstellung auf dem Sterbebett.

Bei seinem Tod war die Sammlung mit 1500 Werken schon eine der größten Europas und offen für Gelehrte, es gab auch schon Ausleihregister. Einige der ältesten Bibel-, Vergil-, Cicero- oder Dante-Handschriften finden sich darin. Mindestens seit dem 15. Jahrhundert etwa gehört ihr der Codex Vaticanus an, nach seinem Aufbewahrungsort in der Bibliothek auch Codex B genannt. Die griechische Handschrift aus dem 4. Jh. n. Chr. enthält den vollständigen Text des Alten und Neuen Testaments. Erst Ende der 1960er-Jahre erhielt die Bibliothek ein weiteres Herzstück. Der Schweizer Sammler Martin Bodmer schenkte Paul VI. den 1952 in Ägypten entdeckten Papyrus Bodmer VIII mit den ersten beiden Petrusbriefen.

Um Napoleon Ende des 18. Jahrhunderts zum Abzug aus Rom zu bewegen, musste der Papst ihn unter anderem mit 500 kostbaren Kodizes entschädigen, die Napoleon für sein geplantes europäisches Zentralarchiv verwenden wollte. Nicht alles kam nach Rom zurück, vieles vermeintlich (aber nicht in allen Fällen wirklich) Wertlose kam auf den Papierschnitzelmarkt und als Packpapier auf den Fischmarkt.

Aus eigenen Listen lässt sich die Geschichte der Diebstähle, der „Furti“, nachlesen. „Die Diebe kamen nicht nur von außen, auch Bibliothekare haben gestohlen“, sagt die Österreicherin Christine Grafinger, die in der Handschriftenabteilung arbeitet: „Oft wurden einfach Seiten herausgerissen.“

Heute kann das praktisch nicht mehr passieren, die Vatikanische Bibliothek ist seit einem dreijährigen Umbau eine der modernsten und damit auch sichersten der Welt. „Ich renne hier wie mit einer Hundemarke herum, ohne die geht hier kein Schranken auf“, sagt Grafinger. Mit 80 Kameras ist alles überwachbar, jedes Buch hat einen Mikrochip, niemand kann es mehr unbemerkt bewegen.

Obwohl sie eine der bedeutendsten ihrer Art ist, wird die Vatikanische Bibliothek in der Öffentlichkeit weniger beachtet als das 1612 von ihr abgespaltene ominöse päpstliche Privatarchiv, das „Archivum Secretum Apostolicum Vaticanum“, auf Deutsch als Vatikanisches Geheimarchiv bekannt.

Das abgespaltene Geheimarchiv

Dort liegt Korrespondenz wie etwa ein Brief Heinrichs VIII., in dem er den Papst um die Annullierung seiner Ehe bittet, oder der letzte Brief Maria Stuarts vor ihrer Hinrichtung. Dort liegen auch die Akten zum Pontifikat des wegen seiner Haltung während des Nationalsozialismus umstrittenen Pius XII.

Historiker warten begierig auf deren Freigabe, die für die nächsten Jahre vorbereitet wird. „Eine unglaubliche Arbeit“, sagt Grafinger, „alle Bestände müssen durchgesehen, jede Seite abgestempelt werden. Als die Bestände von Pius XI. geöffnet wurden, haben wir geflucht.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.03.2013)

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