Süchtig nach Verbrechen

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Der US-Krimiautor Ross Thomas war auf dem Gebiet des Politthrillers eine Klasse für sich. Auch weil er erlebt hatte, wovon er erzählte. Ein Naturtalent, endlich in Neuübersetzung.

Die Bücher von Ross Thomas machen süchtig, meinte einmal sein deutscher Schriftstellerkollege Jörg Fauser. Und das ist keine Übertreibung: Der US-Krimiautor Thomas (1926–95) ist auf dem Gebiet des Politthrillers eine Klasse für sich. Dass er sich trotz Begeisterung bei Krimikennern aber im deutschsprachigen Raum nie so richtig durchsetzte, lag wohl auch an den mäßigen und meist gekürzten Übersetzungen in Ullsteins „Gelber Reihe“.

Seit einigen Jahren widmet sich der Alexander Verlag nun vollständigen Neuübersetzungen, die schlagartig klarmachen, warum Thomas gern mit zwei der ganz Großen des Thriller-Genres verglichen wird. Als Stilist braucht er sich nicht vor Raymond Chandler zu verstecken, mit dem Thomas die Gabe für scharfzüngige Dialoge, präzise Beschreibungen entscheidender Details und die Liebe zu verknoteten Verschwörungen teilt. Und wie bei Chandler ist hinter der Krimihandlung das Lebensgefühl einer Generation zu entdecken. Der weiche Kern hinter der harten Schale von Chandlers berühmtem Detektiv Philip Marlowe wäre Thomas jedoch wohl zu sentimental gewesen: Die New-Deal-Hoffnung, dass sich die korrumpierten USA wieder aufrichten, ist bei ihm längst verflogen.

Fesselnde Fabulierfreude. Thomas, der selbst eher Hemingway verehrte, war ein Schlüsselautor des späteren Kalten Kriegs: Die Gier und die Ängste der Ära tränken bei ihm den Alltag. Den zersetzenden Unterton konterkariert Thomas aber mit fesselnder Fabulierfreude und einem Vergnügen an überlebensgroßen Schurken und verschlagenen Intriganten. Die Welt politischer Affären als Paradies für gute Geschichenterzähler: Da war der spät berufene Schriftsteller Thomas ein Naturtalent.

Darum vergleicht man ihn auch öfters mit dem britischen Spionageroman-Spezialisten John le Carré: Aber wo der aus Agenteneinsätzen Weltliteratur über die Selbstzweifel und Einsamkeit jener Männer machte, die hinter Schreibtischen das Schicksal der Welt lenken, blieb Thomas einem zupackenderen, knappen US-Ideal treu: Bei aller Wortgewandtheit haben seine Helden auf ihrem Hindernislauf durch die Welt des Kalten Kriegs keine Zeit für philosophische Abschweifungen, höchstens für hintergründige Aperçus.

Und wie der Ex-Geheimdienstler le Carré wusste Thomas aus eigener Erfahrung, wovon er erzählte. Er hatte im Zweiten Weltkrieg auf den Philippinen gekämpft, danach in Bonn den Rundfunksender der US-Streitkräfte mitaufgebaut, als Journalist, Gewerkschaftssprecher und Wahlkampfberater (u.a. für Lyndon B. Johnson) gearbeitet. Seine Romane sind somit auch die unterhaltsamsten Lehrbücher, die je über politische Machenschaften geschrieben wurden: Wie man eine Wahl manipuliert, wie man Warentermingeschäfte abwickelt oder wie man sich die Macht in der Gewerkschaft sichert.

„Wenn ich ein Hobby habe, dann Politik – als Beobachter, nicht mehr als Teilnehmer“, erzählte Thomas 1981 in einem Interview: „Ich war in den Hinterzimmern, wo die Deals gemacht werden. Wenn es in meinen Büchern eine Spur Zynismus gibt, dann nur, weil das der Wirklichkeit entspricht.“ Zusammen mit seiner Beobachtungsgabe, der treffsicheren Beschreibung von Moden, Autos und diversen Zeitgeistphänomenen liefert sein Werk ein Kompendium dreier Dekaden in Krimiform. 1967, in seinem gleich preisgekrönten Debüt „Kälter als der Kalte Krieg“ demontierte er das damalige Deutschland. Der Thomas ähnliche Held Cyril McCorkle betreibt die Bar „Mac's Place“ im Politikerbezirk von Bonn – mit seinem mysteriösen Freund Padillo, der nebenbei widerwillig als Geheimdienst-Killer arbeitet.


Unvergessliche Figuren. Eine Intrige führt sie über die Berliner Mauer: Thomas' Antwort auf „Der Spion, der aus der Kälte kam“ ist typisch bitterböse, zugleich überschwänglich, nicht zuletzt dank seines Arsenals unvergesslicher Figuren. Etwa eines Alkoholikers, der in seiner Wohnung strategisch Flaschen verteilt, damit er nicht weit kriechen muss, falls ihn der Durst packt. (Würde man mitzutrinken versuchen, wäre man in der Regel nach 20 Seiten eines Thomas-Romans bewusstlos.)

Zwei weitere McCorkle-Padillo-Romane kamen in kurzem Abstand, doch erst 1991 folgte das eben neu übersetzte Abschiedswerk „Dämmerung in Mac's Place“. Die im Debüt gesprengte Bar betreibt das gealterte Duo längst in Washington, ihre Welt zerfällt: „Es wird nie mehr so schön sein wie früher“, wird angesichts Gorbatschows Friedenskurs gejammert. Im Zentrum der Aktivitäten stehen eher McCorkles Tochter und der Sohn eines CIA-Agenten, der dessen entlarvende Memoiren an den Meistbietenden verkaufen will.

Eine neue Generation kommt, aber der Witz, die schreiberische Raffinesse, die Präzision der politischen Analyse – alles beim Alten. Auch beim Suchtfaktor. Gott sei Dank sind schon zwölf Ross-Thomas-Romane neu übersetzt. Aber wann kommen die restlichen 13?

Nächste Woche: Zwei exzellente neue Krimis über die Depressionszeit.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.04.2013)

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