Krimis, die nicht depressiv machen

Krimis nicht depressiv machen
Krimis nicht depressiv machen(c) Fischer
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Zwei exzellente, neu erschienene Krimis, die in der Zeit der Großen Depression spielen, zeigen auf beeindruckende Weise, wozu qualitätsvolle Spannungsliteratur fähig ist.

Seit der aktuellen Finanz- und Wirtschaftskrise haben Ökonomen die Zeit der Großen Depression in den 1930er-Jahren in den USA wiederentdeckt. Wer aber keine Lust auf wissenschaftliche Abhandlungen hat und dennoch mehr erfahren will, kann in der Buchhandlung seiner Wahl auch einfach ins Krimiregal greifen. Ins Krimiregal? Ja. Denn zwischen Serienmördergemetzel und Whodunit-Routine findet man dort seit Kurzem auch zwei aktuelle Spannungsromane, die sich mit jener Ära beschäftigen.

J.R. Moehringers „Knapp am Herz vorbei“ ist das einfühlsame Porträt des legendären US-Bankräubers Willie Sutton und gleichzeitig eine subtile Abrechnung mit dem Bankensystem. Warum der Autor den bis heute als eine Art „Robin Hood“ verehrten Gentleman-Verbrecher als Figur gewählt hat, erklärt er so: „Für mich sind Banker die Architekten der Apokalypse. Nur einer konnte meine Wut auf die Banken übertreffen: ein Bankräuber.“ Mit der Suche nach dem versteckten Geld aus einem Bankraub beginnt auch die Odyssee von Sue Ellen und ihren Freunden in Joe R. Lansdales „Dunkle Gewässer“. Sein Buch ist eine bluttriefende Noir-Interpretation von Mark Twains Klassiker „Huckleberry Finn“, die kaum gegensätzlicher zu Moehringers romantischer Bankräuberballade sein könnte. Doch eines haben die beiden Werke gemeinsam: Sie zeigen, wozu qualitätsvolle Krimis abseits der Bestsellerlisten heute fähig sind. Dass spannende Unterhaltung und Sozialkritik kompatibel sind, weiß man. Was die beiden Autoren abliefern, ist aber nichts anderes als große Literatur.


Wasser bis zum Hals. Moehringer räumt in seinem Buch mit dem Mythos der goldenen Zwanzigerjahre auf. „Das Jahrzehnt hat mit einer Depression angefangen und mit einer Depression aufgehört, und dazwischen gab es viele nervenaufreibende Tage“, lässt er den Bankräuber sagen, der nichts von dem ganzen „F.-Scott-Fitzgerald-Schwachsinn“ hält. „Ein paar Leute haben in Saus und Braus gelebt, aber allen anderen stand das Wasser bis zum Hals.“ Suttons Weg als Krimineller war vorgezeichnet: „Ich dachte nicht, dass es falsch war. Ich wusste, dass es falsch war. Aber es war auch falsch, dass ich hungrig war.“

Der Autor zitiert in einer Textpassage auch eine Radiorede, die der neue Präsident, Franklin D. Roosevelt, im März 1933 gehalten hat. Im Land wurden soeben alle Banken vier Tage lang geschlossen, um einen Bankensturm zu verhindern. Seine Sprüche könnten aber auch aus dem Jahr 2013 stammen. „Es ist sicherer, wenn Sie Ihr Geld in einer wiedereröffneten Bank aufbewahren als unter dem Kopfkissen“, sagte er. Oder: „Sie müssen Vertrauen haben. Wir wollen und werden keine weitere Epidemie von Bankpleiten erleben.“

„Im Vergleich zur Zeit der Großen Depression haben wir heute gute Zeiten“, gibt Joe Lansdale zu bedenken. „Aber natürlich stehen die schlechten Tage heute in Verbindung mit den schlechten Tagen damals.“ In Lansdales Buch stirbt die Hoffnung zwar gleich zu Beginn: in Gestalt von May Lynn, dem schönsten Mädchen der Gegend. Sie träumte von einer Karriere in Hollywood, das in den 1930er-Jahren wie ein magischer Ort, eine Art Oz, erschienen sein muss. Doch ihre Freunde Sue Ellen, Terry und Jinx finden, dass die Tote etwas Besseres verdient hat, und wollen ihre Asche in Hollywood verstreuen. Als sie sich auf die Suche nach der Beute aus einem Banküberfall machen, beginnt ihre verhängnisvolle Reise entlang des Sabine River.


Sieg der Menschlichkeit. Beiden Autoren ist es gelungen, Charaktere zu schaffen, die man nicht wieder vergisst. Trotz aller Widrigkeiten erhalten sie sich eines der höchsten Güter: ihre Menschlichkeit. Beide Romane strotzen von einprägsamen und lebensklugen Zitaten. Sowohl Moehringer als auch Lansdale erweisen sich als Meister des Erzählens. Das ist Lesevergnügen pur. Einziger Schönheitsfehler: Moehringer erliegt phasenweise selbst dem Mythos vom Bankräuber als Volkshelden, und Lansdale kann seine Vorliebe für das Trashige des Horrorgenres nicht ganz verhehlen.

Resümee: Der französische Autor Jean-Patrick Manchette (1942–1995) hat das Krimigenre einmal als „die große moralische Literatur unserer Zeit“ bezeichnet. Er hatte recht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.04.2013)

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