Buchtipps: Erlesener Sommer

Künstler, Intendanten und prominente Kulturschaffende geben Lesetipps: Von Ovid über Literaturklassiker bis hin zu strandkompatiblen Krimis sind alle Genres vertreten.

Alexander Hauer, Melk

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„Auf ,Man Down‘ von André Pilz, 1972 in Vorarlberg geboren, bin ich zufällig gestoßen. Es hat mich vollkommen gefesselt, mit welch kraftvoller sprachlicher Pranke dieser Autor das Leben eines jungen Menschen im Großstadt- und Lebensdschungel beschreibt. Schon lange gehört der portugiesische Nobelpreisträger José Saramago zu meinen Lieblingsautoren – ein literarischer Leitstern für mich. ,Die Stadt der Blinden‘ ist einer der größten Psychothriller aller Zeiten und bietet eine genaue Beschreibung der menschlichen Seele. Die gesammelten Reden des Kinderpsychiaters und Schriftstellers Paulus Hochgatterer, die unter dem Titel ,Katzen, Körper, Krieg der Knöpfe‘ erschienen, sind zu meinem literarischen Lebensbegleiter geworden. Immer wieder erinnere ich mich im Alltag an das Buch. Es ist eine unglaublich poetische Beschreibung über den Umgang miteinander, die Zerbrechlichkeit von Kindern und die Kraft der Geschichten. Das Buch ist ein Mutmacher, auf andere mit Fantasie zuzugehen und einander etwas zu erzählen.“ Der Theaterwissenschaftler und Germanist Alexander Hauer hat über 50 Inszenierungen gemacht. Er ist seit 2001 Intendant der Melker Sommerspiele, wo er heuer die Uraufführung von „Der Graf von Monte Christo“ nach dem Roman von Alexandre Dumas herausbrachte – mit Denis Petkovic in der Titelrolle (Vorstellungen bis 3. 8.). Ferner gibt es in Melk eine Musikrevue über die 1960er-, 70er-, 80er-Jahre (bis 17. 8.).

Anne Bennent, Stockerau

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„,Der Schwarm‘ von Frank Schätzing  ist seit Langem der erste Wälzer und vielleicht überhaupt der erste Fantasy-Thriller, den ich verschlungen habe. Oder vielleicht ist in diesem Fall das Gefühl von einem Buch verschlungen zu werden das Besondere gewesen: Es geht um die Bedrohung der Menschheit aus den unerforschten Tiefen der Meere. Da ich am und im Meer aufwuchs, kenne ich das schwindelnde Gefühl sehr gut, weit hinauszuschwimmen und mit offenen Augen von der blauen Tiefe magnetisch angezogen zu  werden. Das Buch ist wissenschaftlich wahnsinnig gut recherchiert, spannend und im wahrsten Sinne des Wortes zutiefst intelligent, sogar  bewusstseinserweiternd. Da ich gerade Dürrenmatt spiele, blättere ich wieder einmal mit Hochgenuss in Peter von Matts ,Die tintenblauen Eidgenossen‘, einer Geschichte der Schweizer Literatur bis ins 20. Jahrhundert, mit wunderbaren Zitaten, voll Liebe und Erleuchtung kommentiert. Von Dürrenmatt selbst lese ich Essays und  zwei Erzählungen: ,Mondfinsternis‘, die archaische Urfassung des Stücks ,Der Besuch der alten Dame‘ und  ,Der Rebell‘.“ Anne Bennent steht bei den Stockerauer Sommerspielen noch bis 10. August als Claire Zachanassian in Dürrenmatts „Der Besuch der Alten Dame“ auf der Bühne.

Isabella Gregor, Gutenstein

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„,Der junge Ovid, eine unvollendete Biografie von Diane Middlebrook‘, dieses Buch hat mein Interesse und meine Neugier auf Ovid und seine Dichtung geweckt. Man liest über die Zeit, in der Ovid geboren wurde, seine Familie, seine junge Ehe, Beschreibungen des römischen Lebens, man wohnt Zeremonien und Dichterrunden bei, taucht in das Mäzenatentum der damaligen Zeit ein. ,Eisenvogel‘ von Yangzom Brauen: drei Frauengenerationen aus Tibet zwischen Traditon und Moderne: Ich habe eine dieser faszinierenden Frauen kennengelernt. In dem Buch geht es auch um den Kampf für die Freiheit Tibets und um die Frage, was Heimat ist. Mein dritter Tipp ist: „ungewöhnlich gewöhnlich“, Text von Christine Haiden. 17 Frauen – wie sie wurden, was sie sind. Das Buch ist im Eigenverlag Anna Spitzbart erschienen. Mir gefällt die Direktheit und Einfachheit des Erzählens vor dem Hintergrund des einmaligen Papiermachermuseums in Steyrermühl/Oberösterreich.“ Isabella Gregor, Schauspielerin und Regisseurin, ist neue Intendantin der Raimundspiele-Gutenstein, die heuer ihren 20. Geburtstag feiern – mit dem „Verschwender“ (18. Juli bis 11. August).

Helga Rabl-Stadler, Salzburg

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„Weil Verdi-Jahr ist, habe ich mir die Taschenbuchausgabe von ,Verdi – eine Biografie‘ gekauft und mich wieder mit diesem herrlichen Roman von Franz Werfel befasst. Unnachahmlich schreibt er darin gegen das Ausspielen von außergewöhnlichen Persönlichkeiten an: ,Ach, warum fühlen wir das ungeheure Nebeneinander der Welt immer als ein Gegeneinander? Es gibt Eichen und Zypressen.‘ Ein Plädoyer für die Eiche Richard Wagner und die Zypresse Giuseppe Verdi. Weil Joachim Meyerhoff ein ganz besonderer Schauspieler ist, habe ich mir seinen neuen Roman ,Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war‘ besorgt und das Buch an einem Wochenende eingesaugt. Ich schwöre Ihnen, Sie werden Berg und See lassen und lesen. Als Vorbereitung für den 100. Jahrestag des Beginns des Ersten Weltkriegs empfehle ich ,The Sleepwalkers: How Europe Went to War in 1914‘ von Christopher Clark. So können nur die Angelsachsen leichtfasslich Geschichte aufbereiten! Clarks These: ,Im Sommer 1914 gab es nicht einen Schuldigen mit einer rauchenden Pistole in der Hand – alle hatten eine.‘ Gleichzeitig kann man sein Englisch verbessern.“ (Clarks Buch erscheint im Herbst auch auf Deutsch.) Die gebürtige Salzburgerin Helga Rabl-Stadler studierte Jus, Publizistik und Politikwissenschaften. Sie schrieb für „Presse“, „Wochenpresse“ und „Kurier“. Sie war Abgeordnete zum Nationalrat für die ÖVP, Vizepräsidentin der Wirtschaftskammer Salzburg und Miteigentümerin des Modehauses Resmann in der Salzburger City. 1995 wurde Rabl Präsidentin der Salzburger Festspiele. (Salzburger Festspiele 19. Juli bis 1. September 2013)

Wolfgang Böck, Kobersdorf 

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„Ich lese gern Kriminalliteratur. Meine ,Hirngreißlerei‘ ist eine winzige Buchhandlung, in der man oft mit anderen Lesern zum Plaudern kommt. Dabei war eine der Kulturhauptstädte Europas 2013 Thema: Marseille. Wenn man schon nicht hinfahren kann, wäre darüber lesen eine gute Alternative. So wurde mir zur Marseille-Trilogie von Jean-Claude Izzo geraten. Die Hauptfigur heißt Fabio Montale, ist Polizist und entstammt – wie der Autor selbst – einer italienischen Migrantenfamilie. Wenn Montale dem Verbrechen auf der Spur ist, nimmt er den Leser mit zu Land und Leuten, dementsprechend fühlt man sich mittendrin, man nimmt teil an der Gesellschaft, es ist wie verreisen, ohne wegzufahren. Wenn ich Anfang nächsten Jahres tatsächlich fortfahre,  lese ich Reisebücher oder Reiseführer über Neuseeland. Da bin ich aber noch am Stöbern.“ Wolfgang Böck spielt diesen Sommer bei den Schloss-Spielen Kobersdorf in Feydeaus „Die Dame vom Maxim“, bis 28. Juli.

Gregor Bloéb, Haag

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„Ein wahnsinnig witziger, zukünftiger Kultroman ist ,Bin gesund und guter Dinge‘ von Philip Traun. Darum ist dieser Tipp auch streng geheim!  Da ich Jägerstätter spiele, habe ich ,In Solitary Witness. The Life and Death of Franz Jägerstätter‘, die Biografie von Gordon C. Zahn, gelesen. Außerdem ,Wasser für die Elefanten‘, Zirkusdrama von Sara Gruen, verfilmt mit Christoph Waltz. Das Buch ist nicht wirklich gut, aber es liest sich schön leicht. Man kann es jederzeit weglegen, ins Wasser springen, Seiten überfliegen und wegscharmützeln.“ Gregor Bloéb ist als Landwirt und Wehrdienstverweigerer Franz Jägerstätter (1907–1943), den die Nationalsozialisten hinrichten ließen, in einer Uraufführung von Felix Mitterer zu erleben: Das Stück hatte im Juni im Wiener Josefstädter Theater Premiere - und ist bis 9. August beim Theatersommer Haag zu sehen.

David Pountney, Bregenz

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„Ich empfehle ,Wolf Hall‘ und ,Bring Up the Bodies‘ von Hilary Mantel, zwei fantastische Beschreibungen des Lebens am Hofe Heinrichs VIII. Mantels Bücher sind psychologisch derart treffend, dass man glauben könnte, sie war zeitreisende Augenzeugin der damaligen Geschehnisse“.

Der in Oxford geborene Regisseur David Pountney ist seit 2003 Intendant der Bregenzer Festspiele, wo er heuer am See Mozarts „Zauberflöte“ inszeniert.

Peter und Renate Loidolt

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Peter und Renate Loidolt führen seit 1988 die von ihnen gegründeten Festspiele Reichenau. Renate Loidolt: „Abseits der ,Pflichtlektüre‘, aus der dann unsere Theaterprogramme entstehen, lasse ich mich gern von Filmen anregen, Bücher auszusuchen, die bestimmte Themen vertiefen. So hab ich z. B. nach Steven Spielbergs oscargekröntem Film ,Lincoln‘ die Biografie ,Abraham Lincoln‘ von Jörg Nagler gelesen, die 2009 im Beck-Verlag erschienen ist. Sehr interessant fand ich auch ,Sie schufen Amerika‘ von Joseph J. Ellis über die Gründergeneration von  John Adams bis George Washington. Das Buch ist ebenfalls im Verlag Beck herausgekommen (2005). Als Romanlektüre passt dazu die alte Ausgabe von  James A.Michener ,Die Bucht‘ von 1978. Das Buch hatten wir zu Hause. Alle diese Bücher lese ich parallel. Wenn man Glück hat, läuft im Fernsehen noch ein Film über Oliver Cromwell oder die US-Serie über John Adams. Ich finde diese Zeit des Aufbruchs besonders spannend, als das Streben nach Freiheit und Selbstbestimmung noch den ganzen Mut und Einsatz des Lebens erforderte, was ich unendlich bewundere.“ Peter Loidolt empfiehlt: „Die Schönen und die Verdammten“ von F. Scott Fitzgerald (1922), „Die Wasserfälle von Slunj“ von Heimito von Doderer (1963) und „Die Beute“ von Emile Zola (1871). Die Festspiele Reichenau zeigen heuer ab 3. Juli Ibsens „Stützen der Gesellschaft“, Schnitzlers „Der einsame Weg“, Nestroys „Einen Jux will er sich machen“ sowie „Madame Bovary“ nach dem gleichnamigen Roman von Flaubert. Einige Anmerkungen zu den Büchern: James A. Michener (1907–1997) wurde in New York City geboren. Er war Waise, arbeitete als Lehrer, Lektor und war im Zweiten Weltkrieg Soldat im Südpazifik. Er schrieb viele höchst erfolgreiche historische Romane, darunter „Die Bucht“, darin beschreibt er über vier Jahrhunderte die Welt der Ostküste. F. Scott Fitzgerald (1896–1940) lebte ein illustres Leben als Autor. Sein heute bekanntestes Buch „Der große Gatsby“ (1925) über die Roaring Twenties, das mehrfach verfilmt wurde, mit Robert Redford, Leonardo DiCaprio, war zu seinen Lebzeiten kein Erfolg. „Die Schönen und die Verdammten“, die Höllenfahrt eines Dandy-Paares, wurde bei Diogenes neu aufgelegt.

Anna Badora, Graz

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Die Intendantin des Grazer Schauspielhauses empfiehlt „Die Abenteuer des Joel Spazierer“ von Michael Köhlmeier: „Diese Geschichte muss einfach wahr sein. Sie ist so unwahrscheinlich, so extrem, abwechselnd brillant und dann wieder so banal. Joel Spazierer ist ein unschuldiger, sympathischer, charmanter und gewissenloser, weil naiver Vielfachmörder. Er ist ein schrecklicher, ein komischer, ein schrecklich komischer Schelm. Diese epochale zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts kann man wohl seriös nicht anders erzählen als durch die Erlebnisse eines Schelms, der sich durch viele europäische Länder und politische Systeme lügt, stiehlt, mordet und betrügt. Und das alles nur, weil er als Kleinkind fünf Tage ganz allein in einer Wiener Wohnung überlebt hat.  Michael Köhlmeier lässt uns in skurrilen Sentenzen, in mäandernder Sprache, in peniblen Details und großen (Winkel-)Zügen die Zeitgeschichte hautnah miterleben, miterleiden und mitgenießen. Wer will, kann, Joel Spazierer‘ als reine Unterhaltung lesen. Wenn man aber die letzte Seite bedauernd umgeblättert hat, schleicht sich der Verdacht ins Hirn, dass es doch viel mehr war, was man da auf 652 Seiten genossen hat.“

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