Das Jahr der Comic-Kunst: Gut "gemerzt"!

Jahr ComicKunst gemerzt
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Nach der Welle literarischer Graphic Novels folgen heuer unterschiedlichste Comic-Biografien großer Künstler. Die Königsdisziplin: Wie versöhnt man seinen Stil mit dem Picassos oder Chagalls?

Schon Goethe war begeistert: „Das ist wirklich toll! Es funkelt alles von Talent und Geist!“, lobte er die Bildgeschichten des Schweizers Rodolphe Töpffer, die als Comicvorläufer gelten. Längst hängen Comic-Künstler wie Art Spiegelman und Robert Crumb in Museen, gut ein halbes Jahrhundert nach Ausrufung der „neunten Kunst“ und der Entdeckung des Potenzials von Comics in der Pop Art von Roy Liechtenstein oder Andy Warhol. Eine logische Verbindung: Comics sind eher in der Populär- als der Hochkultur verankert, Schundheftklischees werden langsam von der respektablen Graphic Novel abgelöst.

Deren literarischer Anspruch wird gewürdigt, wenn inzwischen Renommierverlage wie Suhrkamp Comicadaptionen gefeierter Romane publizieren. Das „Jahr der Kunst im Comic“ soll nun Anschluss an die bildende Kunst bringen: Neuerscheinungen bringen unterschiedlichste Künstlerbiografien und Kunstbetriebsreflexionen. Nach vielen Comic-Biografien von Musikern oder Schriftstellern nehmen sich die Annäherungen an Maler nun wie die Königsdisziplin aus: Wie versöhnt der Comiczeichner seinen Stil mit demjenigen seines Subjekts und baut dessen Kunstwerke in seine Erzählung ein?


Museumsreifer „Munch“. Der Norweger Steffen Kverneland legt mit dem dicken Prachtband „Munch“ ein Musterbeispiel vor, das der Kunstbetrieb bereits abgesegnet hat: Norwegens Nationalgalerie hat das erste Kapitel der Comic-Biografie erworben. Sieben Jahre arbeitete Kverneland daran, nachdem er mit seinem Landsmann und Kollegen Lars Fiske 2005 im amüsanten Comic „Olaf G.“ (über den norwegischen Maler, „Simplicissimus“-Karikaturisten und Nudisten Olaf Gulbransson) quasi einen Vorläufer geschaffen hatte.

Bei aufwendigen Recherchen war Kverneland auch wieder mit Fiske unterwegs, ihre trinkfreudigen Debatten hat er karikaturistisch und sogar in Form von Fotodokumenten als Zwischenspiele eingebaut. Gleich zu Anfang besuchen sie das Munch-Museum: „Diese aktuellen romantischen Künstlerbiografien à la Im-Kopf-von-Munch sind echt ein richtiger Scheiß“, flucht Kverneland und fordert: Die Quellen sollen selbst sprechen. Authentische Zitate Munchs sowie seiner Kollegen, Kritiker, Verwandten und Rivalen liefern die Basis: Trotz unterhaltsamer Neigung zu irren Anekdoten wird ein kunstgeschichtlicher Anspruch eingelöst (den ein Fußnotenapparat am Ende untermauert).

Der hemmt Kverneland keineswegs: Wild springt er durch die Zeiten und wechselt virtuos die Stile – von reduzierten Rückblenden in die traumatische Kindheit zur kubistisch explodierenden Berlin-Sauftour mit August Strindberg, von skizzenhaften Andeutungen zu expressionistischen Höhenflügen. Bei aller angelegentlichen Respektlosigkeit und ironischen Distanz – sein Munch ist nicht realistisch, sondern als pralle Comicfigur gezeichnet – geht es Kverneland aber um ein profundes Porträt von Munchs Sensibilität: ein erstaunliches und obsessives Werk über einen Obsessiven, der sein Leben letztlich ganz der Kunst verschreibt.
Steffen Kverneland: „Munch“. (Avant-Verlag, 270 Seiten, 34,95 Euro).


Meisterhafte Merz-Kunst. Etwas weniger voluminös, aber ebenso eindrucksvoll geht es Kvernelands Kumpel Lars Fiske an, der sich sieben Jahre mit dem Deutschen Kurt Schwitters befasste, für den Norwegen eine Exilstation war, nachdem ihn die Nazis als „entarteten Künstler“ diffamiert hatten. Auch Fiske karikiert sich zwischendurch mit Kverneland bei alkoholbefeuerter Reflexion auf gemeinsamen Recherchereisen: Wo sein Kollege in Munchs „Lebensfries“ einen Comicvorläufer (und Anlass) findet, tut es Fiske in den Collagen von Schwitters, der im Spätwerk tatsächlich Comics integrierte. Fiskes „Kurt Schwitters: Jetzt nenne ich mich selbst Merz. Herr Merz“ arrangiert ebenfalls Originalquellen, seine Zeichnungen sind vielleicht weniger vielfältig als Kvernelands, aber konsequenter und klarer, geschult an den Strömungen um Schwitters: Konstruktivismus, etwa mit geometrischen Mondrian-Farbflecken, oder De Stijl. Fiskes Buch ist so informativ, fundiert und – mehr schräge Anekdoten – amüsant wie „Munch“, es hat einen der ungewöhnlichsten (Comic-)Helden im schrulligen Kleinbürger Schwitters, der den nahestehenden Dadaisten schon als solcher suspekt war. Die von ihm ausgerufene Merz-Kunst war ihnen auch nicht Antikunst genug. Aus gefundenem Müll „merzt“ Schwitters, trotz aller Rückschläge: Sein Optimismus rührt, sein spezieller Humor eignet sich ideal für diese Umsetzung. Und rückt ihn seine berühmte Ursonate nicht logisch in die Nähe der Nonsens-Lautmalerei in Comics? „Fummsböwö!“ Um überhaupt mit Schwitters zu sprechen: inhaltlich wie grafisch grandios „gemerzt“.
Lars Fiske: „Kurt Schwitters: Jetzt nenne ich mich selbst Merz. Herr Merz“. (Avant-Verlag, 112 S., 29,95 Euro.)


Poesiealbum-Picasso. Auch Pablo Picasso sollte dem Medium nahestehen: „Das Einzige, was ich in meinem Leben bedauere, ist, keine Comics gezeichnet zu haben“, wird als Zitat überliefert (dabei sind Picasso-Werke wie „Traum und Lüge Francos“ von 1937 zumindest Protocomics), und der Spanier liebte den Comicstrip „Krazy Kat“. Im ersten Band des französischen Comicvierteilers „Pablo“, geschrieben von Julie Birmant und gezeichnet von Clément Oubrerie, spielt weder das noch Picassos bestenfalls skizzenhaft sichtbares Schaffen eine Rolle. Im Rückblick erzählt Picassos spätere Muse Fernande Olivier von seinen wilden Jahren mit Trunk und leichten Mädchen nach der Ankunft in Paris 1900. Aber nur nicht zu wild! Bis zum ersten Kuss vermitteln gedeckte Farben, Schreibschrift und leicht karikierender Stil eine unverbindliche, poetisierende Oberflächlichkeit. In diesem gehobenen Jugendcomic bleibt Picasso austauschbarer Bohemien, er kennt keine Tiefgründigkeit zwischen Exzessen wie Kvernelands Munch, nur Sentiment und Nettigkeit. Band zwei folgt demnächst.
Birmant & Oubrerie: „Pablo – 1.Max Jacob“. (Reprodukt, 88 S., 20 Euro.)


Fantasieflug. Der Stil von „Pablo“ ist wohl von Joann Sfar beeinflusst: Der Franzose fiel zuletzt als Regisseur der Filmbiografie „Gainsbourg“ auf, ein Comicstar ist er schon lange. Dabei ist sein Projekt außergewöhnlich: Von „Klezmer“ bis „Die Katze des Rabbiners“ erweckt Sfar die vom Nationalsozialismus zerstörte Welt des europäischen Judentums wieder zum Leben. Auch in „Chagall in Russland“, wo der junge Maler die verfolgten Juden rettet, indem er sie in seine Kunst eingehen lässt. Chagalls grüner Jesus ist ebenso Nebenfigur wie der Golem oder ein Jidl mit dem Fidl, und wie in Chagalls Bildern lässt Sfar die Figuren fliegen – auch sein Band ist ein Flug der Fantasie, keine Biografie.
Joann Sfar: „Chagall in Russland“. (Avant-Verlag, 112 S., 19,95 Euro.)


Weißer Würfel. Ganz auf den Glanz berühmter Namen verzichtet der Flame Brecht Evens in seiner Kunstbetriebssatire „Die Amateure“: Sein Held Pieterjan ist mäßig erfolgreich und leicht frustriert, wird jedoch wie ein Star behandelt, als er bei einer Provinzbiennale als einziger Profi teilnimmt. Bei der Errichtung seiner „ironischen wie ikonischen“ Skulptur – ein riesiger Gartenzwerg – läuft einiges schief, ein Selbsttherapiemaniker wird sogar im „White Cube“ eingesperrt. Spannender als solche Seitenhiebe ist aber Evens' Stil: eine bunte Aquarelltechnik voller Farbspiele und Kunstgeschichtezitate, bei der die Bilder oft in Auflösung begriffen scheinen. An ihren Rändern ist zu erahnen, welche Wege der Kunstcomic noch produktiv einschlagen könnte. Vielleicht bald: Mit dem Museumsschulausflug „Einmal durch den Louvre“ von David Prudhomme und der Kunstkritikerfarce „White Cube“ von Brecht Vandenbrouke erscheinen bald weitere einschlägige Comics.
Brecht Evens: „Die Amateure“. (Reprodukt, 224 S., 34 Euro.)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.08.2013)

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