Eric Drooker: "Gefühl, dass ein Sturm kommt"

Eric Drooker Gefuehl dass
Eric Drooker Gefuehl dass(c) Avant-Verlag
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Anlässlich der Veröffentlichung seiner Graphic Novel "Flut!" in Deutschland berichtet der US-Künstler über Bilder als Universalsprache und die Fusion von Kunst und politischem Aktionismus.

Mit Art Spiegelmans „Maus“ begann in den 1980er-Jahren der Durchbruch von Comics im Mainstream: Als respektable Graphic Novel wurden sie plötzlich künstlerisch ernst genommen. Aber die Akzeptanz verdankte sich nicht nur Art Spiegelman: Ein anderes Schlüsselwerk kam ebenfalls aus New York. Mit „Flut!“ legte Künstler Eric Drooker 1992 ein Buch vor, dessen außerordentliche Ästhetik für Aufsehen sorgte: Sie erinnerte an die wortlosen Holzschnitt-Romane des Belgiers Frans Masareel und des US-Künstlers Lynd Ward aus der Zeit der Weltwirtschaftskrise 1929.

Eric Drookers autobiografisch inspirierte Geschichte vom Comic-Zeichner, der samt New York in den Fluten versinkt, fing eine ähnliche Stimmung von drohender Apokalypse und brodelndem Klassenkampf ein, rein über holzschnittartige Bilder erzählt. Zur späten Publikation in Deutschland beim Avant-Verlag gab der mittlerweile durch die Zusammenarbeit mit Allen Ginsberg („Illustrated Poems“) und Cover-Zeichnungen für den „New Yorker“ zu großer Bekanntheit gelangte Künstler ein Telefoninterview aus seinem Studio in Berkeley bei San Francisco.

Riesenfrau gegen Panzer und Polizei

„Ich habe lange genug in New York gelebt, um die Stadt völlig zu verinnerlichen“, erklärt er den Umzug: „Noch immer haben fast alle meine Bilder New York zum Thema.“ Wie „Flut!“, das seine Erfahrungen in der Protestbewegung gegen die Gentrifizierung New Yorks in den 1980ern verarbeitete: Als eine friedliche Demonstration von der Polizei brutal attackiert wurde, war das ein Schlüsselerlebnis. Sein Bild einer riesenhaften Frau, die Polizei und Panzern Einhalt gebietet, verbreitete sich rasch. Noch heute stellt Drooker auf seiner Homepage Motive zur Weiterverwendung für Protestbewegungen zur Verfügung: „Ich sehe sie überall als Plakate – besonders in Deutschland!“

Bands wie Rage Against the Machine oder Faith No More haben Drooker auf ihre Plattencover gegeben, Ginsberg „wohnte um die Ecke“ und entdeckte Drookers Arbeit auf der Straße. Die Leute so zu erreichen war immer schon sein Ziel: „Ich bin ein Geschichtenerzähler: Ob ein Comic oder ein Einzelbild – es geht um die Reduktion auf die Essenz, damit es etwas erzählt. Indem ich rein visuell arbeite, ist es überall verständlich, das ist mir wichtig. Und die Einfachheit von Tusche auf Papier wird gerade in unserer technologisierten Zeit wieder geschätzt: So wie akustische Musik – nur Stimme und Gitarre – heute fast stärker wirkt, weil wir ständig eine Überdosis überproduzierter Musik bekommen.“ Sucht Drooker eine Art universale Ursprache? Der Begriff gefällt ihm: „Aber vielleicht kompensiere ich nur: Wie so viele US-Bürger bin ich zurückgeblieben und kann nur Englisch!“

Wie Masareel will Drooker Sprachbarrieren überwinden, und das funktioniert rund um die Welt: Vor Kurzem war er in Israel und Palästina und erhielt auf beiden Seiten starke Reaktionen. Aber er entdeckt auch überall die Spuren einer Entwicklung, deren Beginn er in „Flut!“ verewigt hat: „Da war New York noch ein echter Schmelztiegel, wo sich alle Schichten durchmischten. In Manhattan Island, wo ich lebte, gibt es nur mehr Reiche, in der Pariser Innenstadt, sogar in Berlin ist auch so ein Umbruch zu spüren. Mein Buch steht im Zeichen einer beginnenden Polarisierung: dem Siegeszug der neoliberalen Politik unter Ronald Reagan und Margaret Thatcher. Die ökonomische Segregation geht immer weiter, bis zu Obama und den Bail-outs. Mit den USA geht es seit 30 Jahren bergab, die Verarmung steigt. In Europa ist es weniger ausgeprägt.“

In Arbeiten der Zwischenkriegszeit wie denen Masareels sieht er Ähnlichkeiten mit heute: „Es dominiert dieses Gefühl, dass ein Sturm kommt. Jetzt haben Großkonzerne Macht über die Regierung, militärischer Einfluss und Nationalismus steigen. Und religiöser Fundamentalismus, egal, ob islamisch, jüdisch oder christlich! Ich sehe darin eine Gegenbewegung zum Feminismus, vielleicht das letzte Todesröcheln des alten Patriarchats als Reaktion auf die Gleichstellung der Frau.“ Die Frau vom Panzer-Poster sei nicht zufällig auch in „Flut!“: Ich baue sie bis heute in meine Zeichnungen ein: Sie ist eine Art feministisches Symbol geworden!“

„Nicht mit dem Zeigefinger, als Komödie!“

Drookers nächstes Projekt sind Nacktstudien: „Ich will aber eine erzählerische Ebene einbauen, die auch den politischen Aspekt berührt: nicht mit dem Zeigefinger, sondern als Komödie. Das ist zwar schwieriger als Tragödie, aber meine Arbeit soll auch unterhaltsam sein!“ Was soll man sich in dem Kontext bloß unter Cartoons vorstellen, die er als „Dr. Ook“ für das Sex-Magazin „Screw“ zeichnete? „Das war Politsatire“, lacht Drooker: „Kein anderes Magazin wollte das drucken, es war sogar der ,Village Voice‘ zu gewagt. Karikaturen wie Ronald Reagan, der die Freiheitsstatue belästigt. In einem grotesken Stil wie von Otto Dix oder George Grosz. In den späten 80ern schlug ich mich als Straßenhändler durch, ,Screw‘ war eine der wenigen Publikationen, mit denen ich ein bisschen Geld machte.“ Erst in den 90ern kam der „New Yorker“ und damit Bekanntheit: „Ich mache etwa zwei Cover-Zeichnungen im Jahr, aber die werden oft erst abgelehnt. Zu viel Sozialkritik! Mein ,Moloch‘-Motiv nach Ginsberg war ihnen zu verstörend, erst als die Occupy-Bewegung in die Schlagzeilen kam, wollten sie es: Es kam auf die Titelseite der Geld-Sondernummer!“

Sieht Drooker in der Occupy-Bewegung einen Neuanfang? „Ich zeichne viele Poster dafür, es ist sehr ermutigend, nach all den Jahren des Stillstands seit diesen 80er-Protesten, die ich in ,Flut!‘ verarbeitet habe. Da ist eine neue Generation, die Taktiken aufgreift, die sich auch in Kairo oder Mexiko bewährt haben. Und dass es auch in den Medien Resonanz findet, gibt mir Hoffnung.“

Leben & Werk

Eric Drooker, geb. 1958 in New York, studierte Bildhauerei. Während er sich in den 80ern in der Hausbesetzerszene engagierte, erregte er mit politischen Plakaten Aufsehen. Publikationen folgten, daraus ging 1992 die Graphic Novel „Flut!“ hervor, die nun beim Avant-Verlag erschien. (192 Seiten, € 19.95). Drookers Zeichnungen werden von Aktivisten verwendet, bekannt sind auch Cover für den „New Yorker“ und die Zusammenarbeit mit Allen Ginsberg. [Eric Drooker]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.08.2013)

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