Josef Winkler: "Die drehen uns die Gurgel um"

Josef Winkler:
Josef Winkler: "Die drehen uns die Gurgel um"(c) APA (GEORG HOCHMUTH)
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Erst spät ist Josef Winkler explizit politisch geworden. Mit der "Presse" sprach er über den Wahlkampf, den Katholizismus, die Kärntner Slowenen und die Welt der Bilder.

Die Presse: Herr Winkler, sind der Nationalsozialismus und der Katholizismus in Österreich immer noch so stark wie in Ihrem Werk beschrieben?

Josef Winkler: Das Nationalsozialistische muss weiterhin hartnäckig bekämpft werden. Diese braunen Pilze tauchen ja immer wieder auf. Aber die katholische Abhängigkeit auf dem Land, die ist natürlich vorbei. In meiner Kindheit hat's zwei Messen am Tag gegeben, jetzt gibt's im Monat eine.


Halten Sie den Katholizismus in Österreich mittlerweile für irrelevant?

Irrelevant wird er wohl nicht sein, aber er hat nie mehr diese Macht, diese Kraft von früher. Es ist vorbei. Die Menschen, Junge wie Alte, können sich heute auf den Weg machen. Unser Weg damals war das kreuzförmig gebaute Dorf. Das waren wenige tausend Quadratmeter. Wir waren Gefangene in der Enge des Dorfes, in den Beziehungen, im Elternhaus, von Lehrern und der Kirche.


Sie sind ja ein vehementer Kritiker der katholischen Kirche. Was halten Sie vom neuen Papst?

Der gefällt mir. Seit Johannes XXIII. ist das der Erste, der einem Hoffnung gibt. Es ist natürlich die Frage, was er wird umsetzen können, weil er unter den Kardinälen ja mehr Feinde als Freunde hat, wie ich vermute. Einer davon ist verstummt, der geglaubt hat, er wird's: der österreichische Kardinal Christoph Schönborn. Als dieser Papst gewählt worden ist, hat er keinen Satz mehr grammatisch richtig sprechen können. Auch an der Stimme hat man gemerkt, er ist gebrochen. Inzwischen dürfte er halb zerbrochen sein. Man hört und sieht von ihm nichts mehr.


Wie erleben Sie den Wahlkampf?

Für uns in Kärnten ist es wichtig, dass einmal eine Regierung abgewählt worden ist. Das muss eine Partei erst einmal zustande bringen, 45 Prozent kriegen und dann fast 30 verlieren. 15 Prozent bleiben auch in jeder Diktatur übrig. Man spürt schon ein Aufatmen in diesem Land. Aber wenn wirtschaftlich alles ruiniert ist und die Kassen leer sind, kann man nicht erwarten, dass die neue Regierung dieses Land verzaubern wird. Und wehe, diese Ausstände von der Hypo werden schlagend, dann drehen die in Kärnten oder vor allem auch dieser Verstorbene, der ordentlich mitgemischt hat, der Republik die Gurgel um. Was sonst den Wahlkampf betrifft, ist es jetzt halt doch eher die gähnende Langweile der Leere. Wenn es den Grünen jetzt nicht gelingen sollte, aus allem, was passiert ist, Stimmkapital herauszuschlagen, dann müssen sich die auch überlegen, was sie tun werden.


Was wäre Ihre Wunschkonstellation für die nächste Regierung?

Man muss das realistisch sehen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass die beiden Großparteien gemeinsam nicht mehr auf 50 Prozent kommen, und da hoffe ich, dass die Grünen stark werden und über 15 Prozent kommen. Es ist nach 20 Jahren endlich an der Zeit, dass sie nicht nur reden und trommeln, sondern auch zeigen, was sie können.

Wann sind Sie zum ersten Mal ins „Tito- land“ – wie das Ihre Mutter in Ihrem jüngsten Buch bezeichnet – gefahren?

Das ist nicht so lang her, vielleicht zehn, 15 Jahre. Ich habe mich immer mehr nach Italien hingezogen gefühlt oder nach Frankreich, und vor 20 Jahren haben ja schon meine Indien-Fahrten begonnen.


Waren die Kärntner Slowenen in Ihrer Kindheit kein Thema?

Es hat in meinem Heimatdorf in Oberkärnten ja keine Slowenen gegeben, nur einen einzigen, einen Jugoslawen, der sich geweigert hat, Deutsch zu lernen. Er war Maurer, hat viel getrunken und ist auch als slowenischer Staatsbürger gestorben. Ich bin erst beim Ortstafelstreit unter Kreisky draufgekommen, dass es Kärntner Slowenen gibt.


Hat das Ihr politisches Bewusstsein nicht sehr geprägt?

Nein, politisch hat mich das damals nicht so mitgenommen. Es war für mich die Zeit, in der ich mich für Weltliteratur, für Dichtung interessiert habe, und darin habe ich mich so verbarrikadiert, dass alles, was draußen war, in mich nicht eingedrungen ist.


Was hat Sie an Indien so fasziniert?

Beim ersten Besuch habe ich einen Weinanfall gekriegt, weil ich dachte, ich halt's da nicht aus. Ich kann da nicht leben, ich kann da nicht essen, nicht schlafen, ich kann da überhaupt nix, was soll ich da tun? Aber dann hat sich das entwickelt. Und jetzt war ich schon zwölfmal in Indien.


Wieso hat sich das verändert?

In Indien habe ich viele Bilder gefunden. Als Schreibender ist man nach jedem Buch wieder am Fuße des Analphabetismus. Immer die Angst zu verstummen. In Indien brauchte ich nur die Augen aufzumachen, um Bilder zu sehen. In den tausenden Seiten, die ich geschrieben habe, gibt es wenige Sätze, die nicht aus einem Bild bestehen. Deshalb habe jetzt keine Angst mehr, nicht schreiben zu können, weil ich dort so viel sehe.


Was sagen Sie als Präsident des Kunstsenats dazu, dass die Kultur im Wahlkampf keine Rolle gespielt hat?

Es ist traurig, ich nehm's aber auch gelassen. Nach dieser Wirtschaftskrise haben die Politiker eben größere Probleme.

ZUR PERSON

Josef Winkler wurde am 3. März 1953 in Kamering, Oberkärnten, geboren. Er debütierte 1979 mit dem Roman „Menschenkind“, der zusammen mit „Der Ackermann aus Kärnten“ und „Muttersprache“ die Trilogie „Das wilde Kärnten“ bildet. Zuletzt erschien im Suhrkamp-Verlag „Mutter und der Bleistift“. Josef Winkler wurde mit dem Alfred-Döblin-Preis und dem Georg-Büchner-Preis ausgezeichnet. Er ist Präsident des Österreichischen Kunstsenats.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.09.2013)

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