Comics: Die Kunst des Krieges

Jacques Tardi
Jacques Tardi(C) Wikipedia
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Gerade fragt man wieder: Sind Comics Kunst? Den Beweis dafür liefert derzeit etwa eine Reihe von Büchern zum Krieg, darunter neue Meisterstücke von Jacques Tardi und Joe Sacco.

Die „Weltliteratur als Graphic Novel“ lautet der Titel eines neuen 500-Seiten-Sammelbandes des literarischen Verlags Galiani: Es ist die Übersetzung des US-Projekts „The Graphic Canon, Volume1“. Vom Gilgamesch-Epos bis zu David Foster Wallaces Roman „Unendlicher Spaß“ sollen am Ende drei Wälzer eine Art Literaturkanon in Bildgeschichtenform bieten, mit Beiträgen anerkannter Comic-Meister wie Robert Crumb (großartig: seine Version der Boswell-Tagebücher) oder Will Eisner (weniger großartig: seine illustrierte „Einführung zu Don Quijote“).

Unbestreitbar soll hier die Comic-Form mit literarischem Mehrwert und bildungsbürgerlichem Prestige geadelt werden: ein Irrtum, funktionieren Comics mit ihrer rhythmischen Fusion von Wort und Bild doch anders. Aber die aktuelle Welle bringt Comics als angeblich anspruchsvollere Graphic Novels an neue Leserschichten, der Wiener Zeichner Nicolas Mahler hat es für die „FAZ“ mit einem Essay in Comic-Form parodiert, der von einer germanistenfreundlichen Graphic Novel nach Peter Handke bis zum fiktiven „Lucky Luke“-Band 124 („Ein fliehendes Pferd“ von Martin Walser und Morris) erheiternde Fusionen von Hochkultur und vermeintlichem Kinderkram ausmalt. „Sind Comics Kunst?“, fragte rhetorisch die Überschrift des begleitenden Artikels. Natürlich können sie das sein, aber eben nicht nach den Maßgaben einer anderen Kunstform: Das belegt auch Mahlers eben erschienene Comic-Verdichtung von Robert Musils Werk „Der Mann ohne Eigenschaften“.


Der Franzose war ein Affe. Der derzeitige Comic-Boom hat dafür den Vorteil, dass die Vielfalt des Mediums leichter greifbar wird: Die Breite der Zugänge lässt sich etwa an einer Reihe bemerkenswerter Neuerscheinungen ablesen, die ein ewiges Thema verbindet – Krieg. Zurück zu den Napoleonischen Kriegen geht es in „Der Affe von Hartlepool“ von Autor Wilfrid Lupano und Zeichner Jérémie Moreau: In fein farbabgestimmten Tempera-Tönen mit teils skizzenhaften, teils detaillierten Bildern erzählen sie eine Legende als Farce. Denn der gehängte Affe ist in England noch heute sprichwörtlich: 1814 lief ein französisches Schiff vor dem britischen Hafenstädtchen Hartlepool auf Grund. Deren Einwohner beschuldigten einen Überlebenden als Spion und machten ihm den Prozess: übel riechend, haarig, unverständliche Laute absondernd – das konnte nur ein Franzose sein, auch wenn noch nie ein Hartlepooler einen gesehen hatte.

Nach der Hinrichtung zeigte sich, dass es ein Schimpanse in Uniform war. Lupano und Moreau machen aus dem Sujet vielleicht nicht große Kunst, aber eine stimmungsvoll gezeichnete, mit ironischen Spitzen und historischen Anspielungen erzählte Parabel über Rassismus, nationale (Kriegs-)Hetze und (Un-)Menschlichkeit.

Ambitionierter geht es Joe Sacco an, der mit Bänden wie „Palästina“ zum gefeierten Pionier der Comic-Reportage wurde: Sein neues Opus, „The Great War“, ist nur in englischsprachigen Verlagen erschienen, aber ohnehin ein wortloses Werk. Die großformatigen Seiten sind wie ein Leporello auszufalten: zum Panorama des ersten Tags der Schlacht an der Somme, der verlustreichsten des ersten Weltkriegs. Vom britischen General über die Front bis zu den Massengräbern – ein Schlachtengemälde als epische Erzählung: Seine narrative Schulung als Cartoonist habe unwillkürlich den Band geprägt, wiewohl er sich eher den Teppich von Bayeux als Vorbild für seine schwarz-weiße, minutiös gezeichnete und recherchierte Bildstrecke genommen hätte, erzählte Sacco kürzlich der „New York Times“ im Interview.


Langjähriges Herzensprojekt. Wo Sacco dem Textreichtum seiner Reportage-Comics abschwört, arbeitet eine andere Comic-Größe weiter am ausgefeilten Kontrapunkt von Wort und Bild: der Franzose Jacques Tardi, berühmt für fantastische Historien („Adeles ungewöhnliche Abenteuer“), kongeniale Krimiadaptionen von Léo Malet oder Jean-Patrick Manchette oder viele Comics zum Ersten Weltkrieg, etwa die zweibändige Schützengraben-Todesarie „Elender Krieg“, die Kino-Breitwandbilder beschwört – wie es Saccos „The Great War“ auf andere Art tut.

Das lange angekündigte Herzensprojekt „Ich, René Tardi, Kriegsgefangener im Stalag IIB“ wendet sich nun dem Zweiten Weltkrieg zu. Tardis Comics zum Ersten Weltkrieg waren vom Großvater inspiriert, der in den Gräben gekämpft hatte, doch zeitlebens darüber schwieg. Nun schildert Tardi die Erlebnisse seines Vaters in fünf Jahren deutscher Kriegsgefangenschaft – über die Papa Réne Tardi auch nie redete. Auf Bitten des Sohnes schrieb er aber drei Notizhefte mit seinen Erinnerungen voll. Gut drei Dekaden später ist nun große gezeichnete Geschichte daraus geworden, die in der Heimat zum aufsehenerregenden Erfolg wurde.

Parallel erschienen ist der empfehlenswerte, wiewohl weniger erschöpfende Comic „Auf den Spuren Rogers“ von Florent Silloray, der ausgehend von posthum entdeckten Aufzeichnungen des Großvaters dessen Kriegsgefangenschaft rekonstruiert. Auch der hatte geschwiegen, wie so viele Franzosen: Denn die gefangenen Soldaten fühlten sich bei der Heimkehr 1945 als gedemütigte Verlierer (im Gegensatz zu den Résistance-Siegern), ihre Schreckenszeit im Stalag war von den Gräueln der Konzentrationslager überschattet. Apropos: Ließ sich Tardi auch Zeit, um entsprechenden Abstand zu Art Spiegelmans Holocaust-Comic „Maus“ zu haben? In beiden Büchern wirkt die Vater-Sohn-Beziehung entscheidend.

Tardi zeichnet sich nun als fiktiven Gesprächspartner in die Erinnerungen des Vaters, die in subtilen Grauschattierungen ausgestaltet sind (nur kurz blitzt Farbe auf, etwa wenn erstmals NS-Flaggen ins Bild kommen). Mache Fragen, die dem Sohn zu spät eingefallen sind, müssen also offen bleiben. Aber als unheroisches Gegenbild zu den Abenteuern vieler Lager-Kriegsfilme lässt Tardis exakt recherchierte und gewohnt meisterhaft gestaltete Historie von unten nichts zu wünschen übrig.

Eben neu erschienen:

Jacques Tardi: „Ich, René Tardi, Kriegsgefangener im Stalag IIB“ (Edition Moderne, 200 Seiten, 35 Euro)

Joe Sacco: „The Great War – July 1, 1916. The First Day of the Battle of the Somme“ (Norton & Company, 56 Seiten, ca. 17 Euro)

Wilfrid Lupano und Jérémie Moreau: „Der Affe von Hartlepool“ (Avant-Verlag, 96Seiten, 19,95 Euro)

Florent Silloray: „Auf den Spuren Rogers“ (Avant-Verlag, 112 Seiten, 24,95 Euro)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.11.2013)

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