„Average is Over“: In den unendlichen Weiten der Wirtschaft

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Mit seinem Buch legt der Ökonom Tyler Cowen den stringentesten Science-Fiction-Entwurf seit Jahren vor. Cowens Zukunft gehört jenen, die in der Lage sind, mit intelligenten Maschinen zu kooperieren.

Ilium, New York, ist in drei Zonen eingeteilt: Im Nordwesten die Manager, Ingenieure und Staatsbediensteten; im Nordosten die Maschinen; und im Süden, auf der anderen Seite des Flusses Iroquois, der Rest. Würde man die Brücke über den Iroquois in die Luft sprengen, wären nur wenige Tagesabläufe gestört.“ So beginnt der 1952 erschienene Romanerstling „Player Piano“ von Kurt Vonnegut, der darin eine Gesellschaft skizziert, in der alle Produktion in einem Ausmaß rationalisiert und automatisiert wurde, dass dem überwiegenden Teil der Amerikaner die Arbeit ausgegangen ist.

Die Angst, unter die Räder des technologischen Fortschritts zu geraten, ist nicht neu – die ersten Fälle von Maschinenstürmerei wurden Anfang des 19.Jahrhunderts dokumentiert. Doch die Industrialisierung brachte den Ludditen Arbeit in neuen Fabriken, und auch Vonneguts Hypothese wurde durch die Vollbeschäftigung in den Wirtschaftswunderjahren der Nachkriegszeit eindrucksvoll widerlegt – bis jetzt zumindest, denn das eingangs erwähnte Zitat nimmt in dem soeben erschienenen Buch „Average is Over“ von Tyler Cowen eine zentrale Stelle ein. Der Ökonom, der an der Washingtoner George Mason University unterrichtet, stellt die Behauptung auf, dass die Zukunft nur jenen zehn bis 15Prozent der US-Bevölkerung gehört, die in der Lage sind, mit intelligenten Maschinen zusammenzuarbeiten.

Widerspruch von Barack Obama

Dass die Kernthese des schmalen Büchleins heftig debattiert und kritisiert wird – unter anderem von US-Präsident Barack Obama, der in einem Interview die Selbstheilungskräfte der Vereinigten Staaten als Gegenargument ins Spiel brachte – liegt einerseits an ihrer offensichtlichen Inkompatibilität mit wesentlichen Prinzipien des „American Dream“ und andererseits an der Person des Autors: Der Liberalkonservative betreibt „Marginal Revolution“, einen der weltweit einflussreichsten Wirtschaftsblogs, und sein viel gelobtes Vorwerk, „The Great Stagnation“, aus dem Jahr 2011 gilt als präzise Diagnose der Krise.

Das neue Buch beschäftigt sich mit der mittelfristigen Entwicklung der USA – und es ist die wohl stringenteste Science-Fiction-Vision seit Langem. Cowen entwirft das Bild einer Gesellschaft, in der das Gros der ökonomischen Aktivitäten von Software gesteuert wird und somit als Einkommensquelle wegfällt. Den Ausweg aus der daraus resultierenden schleichenden Massenverelendung sieht er in der Schaffung von staatlich geduldeten bzw. geförderten Favelas im klimatisch begünstigten Süden der USA, wo niedrige Lebenshaltungskosten den Sinkflug der Reallöhne kompensieren, digitale Unterhaltung zum Nulltarif alle Sorgen vergessen macht und Onlinekurse den Weg in den Olymp der Bildungselite öffnen. Sein Fazit: Die neue Welt wird nicht besonders schön sein, aber immerhin besser als alle Alternativen.

Intergalaktische Internationale

Cowen beackert ein fruchtbares, seit geraumer Zeit brachliegendes Feld, denn die Filmstudios und Verlagshäuser haben sich aus dem Geschäft mit dem gesellschaftspolitischen Futurismus weitgehend zurückgezogen – stattdessen gibt es Zombies, Vampire und Superhelden. Das mag damit zusammenhängen, dass der westlichen Kulturindustrie durch die Implosion des real existierenden Sozialismus ein (zumindest ansatzweise) plausibler Gegenentwurf abhanden gekommen ist. Wer einen Blick auf die Bestsellerlisten wirft, sieht entweder lineare Fortschreibungen der kapitalistischen Gegenwart oder apokalyptisches Brachland. Eine der wenigen Ausnahmen in dieser Einöde ist die „Culture“-Romanreihe von Iain Banks. Der heuer verstorbene britische Autor erschuf eine die Milchstraße umspannende, postmaterielle Zivilisation, in der Menschen und denkende Drohnen friedlich zusammenleben – eine intergalaktische Internationale, die Karl Marx bestimmt gefallen hätte.

Während Banks die Frage nach der Verteilung des Wohlstands mit dem kommunistischen Credo „Jedem nach seinen Bedürfnissen“ beantwortet, geht er dem Thema Arbeit aus dem Weg – und überlässt das Feld der Volkswirtschaftslehre. „Average is Over“ ist das letzte, aber nicht einzige Buch, das zu klären versucht, ob Roboter den Menschen die Jobs wegnehmen werden. Cowens Antwort lautet Ja – ebenso wie die von Erik Brynjolfsson und Andrew McAfee, Professoren am Massachusetts Institute of Technology und Autoren des Buchs „Race Against the Machine“ (2011). Selbst John Maynard Keynes machte sich Gedanken zu dem Thema – in dem 1930 publizierten Essay „Economic Possibilities for Our Grandchildren“ hoffte er jedoch auf eine gesellschaftlich einvernehmliche Lösung, die alle entlasten, aber niemanden überflüssig machen würde.

„Star Trek“ oder „Star Wars“?

Abseits der technologischen Staffage geht es bei all diesen theoretischen Überlegungen um eines – den Verteilungsschlüssel, also den Umgang einer Gesellschaft mit steigendem (National-)Wohlstand bei gleichzeitiger Entwertung der menschlichen Arbeit. Für Izabella Kaminska aus dem Team des (ebenfalls zukunftsaffinen) „Alphaville“-Blogs der „Financial Times“ gibt es nur zwei Auswege aus dem Dilemma: das versöhnliche Szenario „Star Trek“ oder das unversöhnliche Szenario „Star Wars“. In der ersten Variante heuert Mister Spock nicht auf der „USS Enterprise“ an, weil er den Kredit für das Sommerhaus auf dem Planeten Vulkan abstottern muss, sondern um nach neuem Leben und neuen Zivilisationen zu suchen. In den unendlichen Weiten des Alls spielt Geld keine Rolle. Anders Variante zwei: Weltraum-Haudegen Han Solo verbringt die gefühlte Hälfte des „Krieges der Sterne“ damit, vor Geldeintreibern zu flüchten, während der finstere Imperator ganze Planeten in Schuldenkrisen stürzt, um den Todesstern zu finanzieren.

Mithilfe dieser Schablone lassen sich alle ökonomischen Ausblicke handlich einteilen: Keynes ist demnach besser bei „Star Trek“ aufgehoben, Cowen tendiert eher Richtung „Star Wars“, wobei er selbst seinen Weltentwurf als optimistisch darstellt – was zwangsläufig zur Frage führt, was der Pessimist Cowen zu bieten hätte. Der von ihm zitierte Kurt Vonnegut ließ „Player Piano“ in einer Revolte der Beschäftigungslosen kulminieren – doch seine Maschinenstürmer konnten am Ende doch nicht ohne Maschinen auskommen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.11.2013)

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